Lykaia Revisited

Grundsätzlich gibt es ja nur wenig Nervtötenderes als eine Band, die nur ein Jahr nach Erstveröffentlichung ihr Album wiederveröffentlicht und mit Bonustracks aufhübscht. Da kann man es dem Fan, der am ersten Tag losgerannt ist und sich das Album gekauft hat, um seiner Lieblingsband eventuell den Charteinstieg zu ermöglichen (wenn er es nicht sogar per Crowdfunding unterstützt hat), kaum krummnehmen, wenn er zukünftig eben doch illegal downloadet oder nur per Spotify streamt, bis die „vollständige“ Version der Scheibe erhältlich ist. Aber, so ist das Musikbusiness: die Probleme sind alle hausgemacht und schuld sind die bösen Immigranten, äh, die Fans.

Auch die Proggies Soen reihen sich nun in die Reihe der unappetitlichen Wiedergänger ein. Knapp 29 Minuten unveröffentlichte Musik wurde ans 2017er Album „Lykaia“ angehängt, zwei neue Studiosongs und zwei Liveversionen von Albumtracks. Das bringt die Scheibe immerhin auf satte 79 Minuten Spielzeit. Die beiden neuen Songs ‚Vitriol‘ und ‚God’s Acre‘ laufen beide um die acht Minuten und setzen den mit „Lykaia“ begonnenen Weg zu eingängigerem und generell weniger Tool-lastigen Material fort – es ist anzunehmen, dass die beiden Stücke den gleichen Sessions entstammen. Qualitativ stehen sie den Albumtracks jedenfalls in nichts nach, gerade ‚Vitriol‘ mit seinem Opeth-aber-nach-Martins-Zeit-Flair ist ein echter Gewinner. Die beiden Livesongs, ‚Sectarian‘ und ‚Lucidity‘, wurden in Lissabon und Rom mitgeschnitten und können auch soundmäßig überzeugen – in Sachen Performance sowieso. Das originale Albummaterial wurde auch remastert – das macht sich aber nur wenig positiv bemerkbar. Im Gegenteil, bei den härteren Songs wie ‚Opal‘ wurde scheinbar beim Mastering noch mehr komprimiert, was gerade in dessen Refrain zu ziemlichem nervigem Gezerre führt. Menno, wir sind doch hier nicht im Schranz! Wie fast alles wird aber auch das Geschmackssache sein, und es gibt ja tatsächlich Menschen, die sogar die Produktion von „Death Magnetic“ mögen.

Was also ’ne schöne EP für ’nen Fünfer geworden wäre, kann als vollwertiger Re-Release zum vollen Preis einer neuen CD nicht unbedingt überzeugen. Wer das Album noch nicht besitzt, darf freilich gerne zugreifen – „Lykaia“ ist schließlich das bislang reifste und eigenständigste Album der Band, die bislang immer mit den Erwartungen der Fans (und der eigenen Tool-lastigkeit) zu kämpfen hatte, und die Qualität des Bonusmaterials ist, wie erwähnt, fraglos sehr hoch. Der Rest darf sich zurecht über die Veröffentlichungspolitik ärgern und wartet, bis das Ding zum Nice Price auf dem Wühltisch landet – Weihnachten ist ja auch schon bald.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar