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AMERICAN NIGHTMARE – Neues Album nach 15 Jahren!

Nach 15 Jahren Sendepause melden sich die Bostoner Hardcore-Ikonen American Nightmare (a.k.a. Give up the Ghost) im Original-Lineup von 2004 mit einem neuen Album zurück. Das Album, welches den Namen der Band trägt, erscheint am 16. Februar auf dem Label Rise Records. Wer sich einen ersten Eindruck davon verschaffen möchte, der schaue sich das Video…

No Future

Conveyer aus dem amerikanischen Eau Claire, Wisconsin, sind so etwas wie ein lebendes Fossil, denn ihren Stil kann man im Jahr 2017 getrost als ‚old-school‘ bezeichnen. Conveyer machen Melodic Hardcore mit einer Prise Metalcore wie er zu Beginn der 2000er Jahre gerade in Mode gekommen war. Im Juni erschien ihr zweites Studioalbum mit dem Titel ‚No Future‘, der, wie die Musik selbst, ebenfalls aus einer vergangenen Zeit stammen könnte, in der Punk noch etwas mit Rebellion zu tun hatte. Die erste Reaktion beim Anspielen der Scheibe ist zumindest der unmittelbare Blick auf das Veröffentlichungsdatum, lässt dieses doch auf einiges schließen, nur nicht auf ein Release in diesem Jahr. Conveyer kochen hier ein Süppchen, das sehr nach Bands wie The Carrier, Killing The Dream, This Is Hell, With Honor oder auch der ersten Scheibe von Carpathian klingt. Prägnante Shouts, treibende Mid-Tempo-Gitarren, kontinuierliche Melodiewechsel und der eine oder andere wohldosierte Breakdown. Alles irgendwie schon mal gehört aber eine gute Suppe schmeckt aufgewärmt manchmal eben auch besser. Hausmannskost für die die Millennia-Hardcore-Generation.

Witziger Weise ist es genau das, was Conveyer so herausragend macht – die Vertrautheit mit dem Altbekannten. Bei genauerer Überlegung bekommt man auf ‚No Future‘ (bezeichnenderweise) nämlich in keinster Weise irgendetwas neues geboten. Weder vom klanglichen Überbau, noch inhaltlich von den Texten, die vom Frust über die böse Welt, Entrückung vom Leben, die Suche nach dem Sinn und ‚Teenage Angst‘, sämtliche Themen des Melodic Hardcore aufgreifen und wiederkäuen. Vor zehn Jahre, wäre dieses Album wahrscheinlich unter ferner liefen und mit einem müden Lächeln ad acta gelegt worden. Heute hingegen löst es bei den Hörern der auf dem Lebensweg etwas weiter fortgeschrittenen Generation jedoch ein wohlig nostalgisches Gefühl in der Magengrube aus. Und das obwohl man seinerzeit eigentlich schon über die ‚Zauberformel‘ der Breakdowns stöhnte. ‚No Future‘ zu bewerten ist daher nicht ganz einfach. Conveyer springen auf einen Zug auf, der eigentlich längst abgefahren ist. Dies aber mit einer solchen Eleganz, dass man von einem gelungenen Reboot des Melodic Hardcore sprechen kann. Ob es davon jetzt unbedingt mehr braucht, steht auf einem anderen Blatt aber für den Moment darf der Trip in die Vergangenheit gerne mit einem wohlmeinenden Augenrollen über die vielen Klischees genossen werden.

In Dark Places

Jedes neue Album von Brutality Will Prevail ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt. Die Metalcore-Band aus dem britischen Südwales ist durch ihre Experimentierfreudigkeit und immer wieder wechselnde Stileinflüsse bekannt. Ihr jüngster Langspieler ‚In Dark Places‘ sieht nicht nur aus wie ein finsteres Doom-Metal-Album, es klingt an vielen Stellen auch genauso. Schwere und behäbige Gitarrenriffs, düstere Texte über Tod und innere Leere, ‚aufgelockert‘ mit melancholischen Instrumentalstücken. In vielerlei Hinsicht eine musikalische Rückbesinnung auf die ersten Alben ‚Forgotten Soul‘ und ‚Root Of All Evil‘. In fast jeder Hinsicht eine Abkehr vom Vorgänger ‚Suspension of Conciousness‘ mit seinen Thrash-Metal-Einlagen und cleanem Gesang. Wer davon nicht so angetan war, der sollte ‚In Dark Places‘ mal ein Ohr leihen.

‚Serpent‘ leitet das Album ein und beginnt wie ein herannahendes Gewitter mit immer lauter werdenden, kreischenden Gitarren und einem plötzlich einsetzenden Donnerschlag. Zunächst behäbig, dann sich im Tempo steigernd, jedoch nie über Midtempo hinaus. Stets untermalt von einem zornig klingenden Bass und einem schwerfälligen Schlagzeugrythmus. Tempowechsel, Break-Downs und abgestoppte Gitarrenriffs sind gängige Stilmittel des Albums. Beispielhaft dafür ist der Song ‚Penitence‘. Abwechslung von der sonst schwerwiegenden Kost entsteht durch das Instrumentalstück ‚Nybbas‘ und das traurig-melancholische ‚Into The Gloom‘ mit seichtem, hoffnungslosen Gesang. ‚Forever Restless‘ und ‚Elegy‘ wagen Ausflüge in Richtung des Melodic Hardcore und mischen die harten Riffs mit Melodieanteilen. Letzteres erinnert sowohl musikalisch als auch textlich und kompositorisch zuweilen sehr an Life Long Tragedy. ‚I know my time has come I don’t need faith to save my soul.‘

Mit ‚In Dark Places‘ gehen Brutality Will Prevail mit ihrem ohnehin schon düsteren Stil noch eine Etage tiefer. Stimmung und Visualisierung wecken eher Assoziationen mit einschlägigen Black-Metalbands, deren Bandnamen der ungeübte Leser nicht entziffern kann. Ein ganz so heftiger Genrewechsel findet am Ende dann doch nicht statt. Nach wie vor gibt es geballten Hardcore- oder Metalcore-Sound auf die Ohren. Nur eben eine Spur langsamer und vom Ton her düsterer. ‚In Dark Places‘ unterscheidet sich merklich von seinem Vorgänger ‚Suspension Of Consciousness‘ und nähert sich wieder mehr an die Ursprünge der Band an. Wer den Stil von Rise And Fall mag, wem Gitarren nicht tief genug gestimmt sein können und wer den einen oder anderen wohldosierten Break Down zu schätzen weiß, wird mit der neuen Scheibe sicher schnell warm werden.

Here I Made This For You Volume 2

Beach Slang aus Philadelphia legten 2013 quasi aus dem Kaltstart eine steile Erfolgskurve hin und galten ein Jahr später schon als Geheimtipp am Punk-Rock-Himmel. Nach zwei EPs folgte 2015 das erste Full-Length-Album und ein Jahr später bereits das zweite. Bei so viel Produktivität bleibt jedoch oftmals etwas künstlerische Freiheit und Experimentierfreudigkeit auf der Strecke. Wie zum Beispiel das Verfolgen von anderen musikalischen Einflüssen, abseits des eignen Genres oder das covern von Songs der eigenen Vorbilder. Dieses Problem haben Beach Slang mit der Mixtape-Serie ‚Here I Made This For You‘ gelöst, von der zum Jahresbeginn Volume 2 erschienen ist.

Darauf enthalten sind fünf eher unbekannte Songs, aus den siebziger und achtziger Jahren, die Sänger Alex James maßgeblich beeinflusst und berührt haben. Die EP beginnt mit ‚Bored Teenagers‘, der britischen Punkrock-Band The Adverts. Für Beach Slang quasi ein Brot-und-Butter-Cover, denn sowohl vom Text als auch von der Songstruktur hätte der Titel ebenso ein eigener sein können. Darauf folgt der Britpop-Song ‚Wembley‘ von den Candyskins, den sie gekonnt interpretieren, dass es wahrscheinlich selbst Fans des Originals kaum auffällt. ‚Sometimes Always‘ von The Jesus And Mary Chain überrascht dann mit seinen eher seichten, aber unheimlich eingängigen Melodien und einem Duett, bei dem Beach Slangs Tourmanagerin Charlie Lowe die weibliche Stimme übernimmt und mit Bravour meistert. Mit Tommy Keenes ‚Nothing Can Change You‘ unternimmt die Band einen kurzen Ausflug in die New-Wave-Ära und verströmen pulsierender Achtziger-Jahre-Flair. Das Tape schließt mit dem klassisch-rockigen ‚Roadrunner‘ von The Modern Lovers, das originalgetreu mit Rockorgel daherkommt und vom Stil her sehr an Thin Lizzy erinnert.

An der zweiten Version von Beach Slangs Mixtape-Kompilation gibt es absolut nichts auszusetzen. Die Auswahl gestaltet sich sehr abwechslungsreich, die Titel haben durchweg Ohrwurm-Potential und sind sowohl gut eingespielt als auch produziert. Kritik ließe sich höchstens in der Form üben, dass die Titel eine eigene Note der Interpretation vermissen lassen. Technisch gesehen top, aber kein Song klingt auch nur im entferntesten nach Beach Slang, sondern wie eine fast perfekte Kopie ihrer Originale. In gewissem Sinne bleibt der Mehrwert gegenüber selbigen daher fragwürdig. Aber darüber, was ein gutes Cover ausmacht, streiten sich wahrscheinlich die Musikgeister.

Split EP

Mit Alcoa und den Choir Vandals haben sich zwei aufstrebende Indie-Rock-Bands aus den USA zusammengefunden, um eine gemeinsame Split-EP zu veröffentlichen. Alcoa ist das Akustik-Songwriter-Projekt von Defeater-Frontmann Derek Archambault, das vor allem durch seine melancholisch-introspektiven Texte und eingängigen Melodien heraussticht. Choir Vandals aus St. Louis haben sich in etwa in der gleichen Zeit zusammengefunden und bieten alternativen Rock mit leichtem Südstaaten-Flair.

Mit ‚At Home‘ und ‚What A Fool‘ steuer Alcia zwei B-Seiten-Tracks ihres letzten Albums ‚Parlour Tricks‘ bei. Zumindest ‚At Home‘ merkt man relativ schnell an, warum es der Song nicht auf das Album geschafft hat. Strophe und Refrain sind mehr oder weniger identisch und vermögen es nicht, eine Spannung aufzubauen. So zieht sich das gesamte Lied relativ gleichförmig über drei Minuten hin. ‚What A Fool‘ bietet mit häufigeren Instrumentalpausen etwas mehr Abwechslung, lässt jedoch auch einen eingängigen Refrain vermissen.

Die Choir Vandals liefern mit ‚Yellow Lucifer‘ und ‚The Center‘ zwei brandneue Titel. Ersteres schleppt sich gemächlich und mit langsam steigender Dramatik dahin und hätte durchaus das Potential für das Intro einer Folge ‚True Detective‘. ‚The Center‘ bietet ähnlich ausgelebte Melancholie, steigert sich aber im Verlauf in seinem klanglichen Umfang. Insgesamt fehlt es den vier Titeln der Split EP etwas an Dynamik und Mitreißungsvermögen. Was bei den Choir Vandals eher zum Stil gehört, hat man bei Alcoa schon einmal besser gehört. Die EP plätschert daher etwas dahin wie ein Regentag, ohne wirkliche Höhepunkte.

Stage Four

Touché Amorés 2009 Debütalbum ‚…To The Beat Of A Dead Horse‘ klang genauso zerrissen und fragil wie es im Inneren von Sänger Jeremy Bolm aussah. Ein junger Mann mit Identitätsproblemen, auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz im Leben. Tragisch, zerhackt, hektisch und im positiven Sinne inkonsistent. Sieben Jahre später erscheint mit ‚Stage Four‘ das vierte Album der Kalifornier und zeigt eine ganz anderen Seite. Eine musikalisch stringentere, weniger experimentell wirkende aber gleichwohl emotionale mit einem Wechsel im thematischen Fokus. ‚Stage Four‘ bezieht sich nämlich nicht nur auf die Nummerierung der Alben oder die nächste Stufe in der musikalischen Entwicklung. Vielmehr beschreibt der Titel das Endstadium von Krebs. Der Krankheit, dem die Mutter des Sängers vor einigen Jahren erlag, während er mit seiner Band auf Tour war. Das Konzept des Albums ist demnach die Aufarbeitung vom Verlust und den eigenen Schuldgefühlen.

Wie bereits erwähnt wirkt das Album weit weniger verspielt und abstrakt als seine Vorgänger. Das Tempo ist bis auf den letzten Track durchgängig flott und schlägt punkigere Töne an, als man es von einer Post-Hardcore-Band wie Touché Amoré erwarten würde. Oftmals erinnert ‚Stage Four‘ vom Stil an Title Fight oder die letzte Veröffentlichung von La Dispute, ‚Rooms Of The House‘, die ebenfalls vom ursprünglich eigenwilligen Stil der Band abwich. Auf diese Weise entsteht ein überragender Kontrast aus energiegeladenen Gitarren-Riffs, Bolms vor Dramatik strotzender Stimme und den bewegenden Texten. Schon der erste Titel, ‚Flowers And You‘, stimmt den Hörer auf die Atmosphäre des Albums ein. Zu einem treibenden Schlagzeugtakt und schnellen aber bedrückenden Akkorden, offenbart Bolm seine Gefühlswelt und das ihn plagende Gewissen über verlorene Momente mit erschütternder Ehrlichkeit.

‚Just a simple conversation about nothing much at all, couldn’t keep me in the room, I just kept walking down the hall. But now I understand just what a fool I’d been. No matter what the context, I won’t have that time again (and I live with that).‘

Weiterhin beispielhaft für hohes Tempo und prägnante Texte steht ‚Palm Dreams‘, in dem Bolm sich fragt, was seine Mutter einst westwärts gezogen hat, während er ihren Nachlass durchgeht, wohl wissend, dass sie ihm die Antwort darauf für immer schuldig bleiben wird.

‚I dug through forty years all alone. On my own.‘

Ähnlich bewegend ist ‚Eight Seconds‘, das den Moment beschreibt, in dem Bolm die Nachricht über den Tod seiner Mutter erhält und diesen mit einem Auftritt vergleicht, für den er nicht geprobt hat. Der Song endet abrupt mit den Worten

‚She passed away an hour ago while you were on stage living the dream.‘

Die unmittelbare Wirkung dieser Worte und den daraus resultierenden Schuldgefühle dürfte niemandem verborgen bleiben. Einen anderen Weg geht ‚Benediction‘, das überwiegend auf cleanen Gesang und einen sehr eingängigen Refrain setzt. Hier hätten auch Bands wie Balance And Composure am Werk sein können. Der finale Track ‚Skyscrapers‘ weicht stilistisch vollkommen vom restlichen Repertoire und gänzlich allem ab, was die Band bisher abgeliefert hat. Statt harten Klängen und kreischender Stimme, untermalen hier ätherische Gitarren eine engelsgleiche Frauenstimme und einen mehr sprechenden als singenden Jeremy Bolm. Das Album endet mit der letzten Sprachnachricht der Mutter, kurz vor ihrem Tod, in der sie ihrem Sohn mitteilt, dass sie endlich das Krankenhaus verlassen durfte. Gänsehaut.

‚Stage Four‘ schafft es, mit seinen eingängigen Melodien und einem durchgängigen Narrativ über eine sehr emotionales Thema sowohl zu unterhalten als auch zu berühren. Zwar klingen die Songs weniger ausgefallen als noch zu Anfangszeiten der Band und weisen überwiegend eine klare Struktur auf, trotzdem fehlt es Touché Amoré auch bei ihrer vierten Veröffentlichung nicht an Kreativität und Originalität. Das beweisen nicht zuletzt Songs wie ‚Water Damage‘ und ‚Skyscrapers‘, die neue Wege einschlagen und auch beim Gesang vom Gewohnten abweichen. ‚Stage Four‘ ist in jeder Hinsicht ein großartiges Album und eine Elegie an einen geliebten Menschen, der plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Keine leichte Kost für einen Nachmittagsspaziergang, schließlich dürfte dieses Thema einen jeden bewegen, unabhängig davon, ob er ähnliches bereits durchlebt hat oder nicht. Doch der Herbst greift bereits um sich und schlägt mit seine grau-in-grauen Nägel in die Gemüter. Touché Amoré liefern mit ‚Stage Four‘ den passenden Soundtrack dazu.

With Regret

Das Hardcore-Quartet Expire aus Milwaukee geistert schon seit sieben Jahren über die Bühnen weltweiter Alternativ-Schuppen und hat bereits drei EPs und zwei Alben auf dem Kerbholz, von denen das letzte, ‚Pretty Low‘, 2014 erschien. Einhergehend mit der Bekanntgabe ihrer bevorstehenden Auflösung im Frühling 2017, holt die Band Ende September noch einmal zu einem letzten Hammerschlag aus und veröffentlicht ihr drittes Studioalbum ‚With Regret‘. Erstmals in einem neuen Studio aufgenommen, wirkt der Sound der neuen Scheibe spürbar dichter und geschliffener, dafür aber auch weniger individuell. Die Stimme tritt etwas mehr in den Hintergrund und die Gitarren wirken metallastiger. Nicht nur aus diesem Grund sticht ‚With Regret‘ wenig hervor. Der Inhalt ist solide, trotz mehrmaligem Durchhören bleibt jedoch keiner der dreizehn Titel in Erinnerung. Wo bei den Vorgängern noch Höhen und Tiefen auszumachen waren, verweilt der Langspieler auf einem konstanten Niveau. Keinem schlechten aber auch keinem hohen.

‚With Regret‘ klingt dennoch eindeutig nach Expire. Groovige Riffs im Mid-Tempo, tiefgestimmte Gitarren, angepisster Gesang und ehrliche Texte voller Enttäuschung und Verzweiflung. Genau das richtige Ventil, um sich mal gepflegt mental auszukotzen. Statt harten Breakdowns gibt es viel abgestopptes Riffing sowie Tempo- und Rhythmuswechsel, die für Abwechslung innerhalb der Songs sorgen. Die Rezeptur wird dann allerdings immer wieder aufs Neue wiederholt. Originelle Hook-Lines sucht man vergebens, weswegen es auch schwierig fällt, Anspieltipps zu geben. Mit geschlossenen Augen ins Blaue tippen macht man nichts falsch. Jeder Titel repräsentiert gleichbedeutend, den Geist der Platte. Ein grundsolides Hardcore-Brett ist das vorerst letzte Album allemal, einen bleibenden Eindruck hinterlässt es jedoch nicht. Expire verlassen die Bühne mit einem lauten Knall, der aber ohne jegliches Echo verhallt.

Stage Four

Touché Amorés 2009 Debütalbum ‚…To The Beat Of A Dead Horse‘ klang genauso zerrissen und fragil wie es im Inneren von Sänger Jeremy Bolm aussah. Ein junger Mann mit Identitätsproblemen, auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz im Leben. Tragisch, zerhackt, hektisch und im positiven Sinne inkonsistent. Sieben Jahre später erscheint mit ‚Stage Four‘ das vierte Album der Kalifornier und zeigt eine ganz anderen Seite. Eine musikalisch stringentere, weniger experimentell wirkende aber gleichwohl emotionale mit einem Wechsel im thematischen Fokus. ‚Stage Four‘ bezieht sich nämlich nicht nur auf die Nummerierung der Alben oder die nächste Stufe in der musikalischen Entwicklung. Vielmehr beschreibt der Titel das Endstadium von Krebs. Der Krankheit, dem die Mutter des Sängers vor einigen Jahren erlag, während er mit seiner Band auf Tour war. Das Konzept des Albums ist demnach die Aufarbeitung vom Verlust und den eigenen Schuldgefühlen.

Wie bereits erwähnt wirkt das Album weit weniger verspielt und abstrakt als seine Vorgänger. Das Tempo ist bis auf den letzten Track durchgängig flott und schlägt punkigere Töne an, als man es von einer Post-Hardcore-Band wie Touché Amoré erwarten würde. Oftmals erinnert ‚Stage Four‘ vom Stil an Title Fight oder die letzte Veröffentlichung von La Dispute, ‚Rooms Of The House‘, die ebenfalls vom ursprünglich eigenwilligen Stil der Band abwich. Auf diese Weise entsteht ein überragender Kontrast aus energiegeladenen Gitarren-Riffs, Bolms vor Dramatik strotzender Stimme und den bewegenden Texten. Schon der erste Titel, ‚Flowers And You‘, stimmt den Hörer auf die Atmosphäre des Albums ein. Zu einem treibenden Schlagzeugtakt und schnellen aber bedrückenden Akkorden, offenbart Bolm seine Gefühlswelt und das ihn plagende Gewissen über verlorene Momente mit erschütternder Ehrlichkeit. ‚Just a simple conversation about nothing much at all, couldn’t keep me in the room, I just kept walking down the hall. But now I understand just what a fool I’d been. No matter what the context, I won’t have that time again (and I live with that).‘

Weiterhin beispielhaft für hohes Tempo und prägnante Texte steht ‚Palm Dreams‘, in dem Bolm sich fragt, was seine Mutter einst westwärts gezogen hat, während er ihren Nachlass durchgeht, wohl wissend, dass sie ihm die Antwort darauf für immer schuldig bleiben wird. ‚I dug through forty years all alone. On my own.‘ Ähnlich bewegend ist ‚Eight Seconds‘, das den Moment beschreibt, in dem Bolm die Nachricht über den Tod seiner Mutter erhält und diesen mit einem Auftritt vergleicht, für den er nicht geprobt hat. Der Song endet abrupt mit den Worten ‚She passed away an hour ago while you were on stage living the dream.‘ Die unmittelbare Wirkung dieser Worte und den daraus resultierenden Schuldgefühle dürfte niemandem verborgen bleiben. Einen anderen Weg geht ‚Benediction‘, das überwiegend auf cleanen Gesang und einen sehr eingängigen Refrain setzt. Hier hätten auch Bands wie Balance And Composure am Werk sein können. Der finale Track ‚Skyscrapers‘ weicht stilistisch vollkommen vom restlichen Repertoire und gänzlich allem ab, was die Band bisher abgeliefert hat. Statt harten Klängen und kreischender Stimme, untermalen hier ätherische Gitarren eine engelsgleiche Frauenstimme und einen mehr sprechenden als singenden Jeremy Bolm. Das Album endet mit der letzten Sprachnachricht der Mutter, kurz vor ihrem Tod, in der sie ihrem Sohn mitteilt, dass sie endlich das Krankenhaus verlassen durfte. Gänsehaut.

‚Stage Four‘ schafft es, mit seinen eingängigen Melodien und einem durchgängigen Narrativ über eine sehr emotionales Thema sowohl zu unterhalten als auch zu berühren. Zwar klingen die Songs weniger ausgefallen als noch zu Anfangszeiten der Band und weisen überwiegend eine klare Struktur auf, trotzdem fehlt es Touché Amoré auch bei ihrer vierten Veröffentlichung nicht an Kreativität und Originalität. Das beweisen nicht zuletzt Songs wie ‚Water Damage‘ und ‚Skyscrapers‘, die neue Wege einschlagen und auch beim Gesang vom Gewohnten abweichen. ‚Stage Four‘ ist in jeder Hinsicht ein großartiges Album und eine Elegie an einen geliebten Menschen, der plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Keine leichte Kost für einen Nachmittagsspaziergang, schließlich dürfte dieses Thema einen jeden bewegen, unabhängig davon, ob er ähnliches bereits durchlebt hat oder nicht. Doch der Herbst greift bereits um sich und schlägt mit seine grau-in-grauen Nägel in die Gemüter. Touché Amoré liefern mit ‚Stage Four‘ den passenden Soundtrack dazu.

Descendents – Comeback Kids

Die legendäre Punkrock-Band aus Kalifornien ist wieder am Start! Ende Juli veröffentlichten die Descendents nach zwölfjähriger Abstinenz eine neue Platte. Während sie durch Europa tourten, nahm sich Sänger Milo die Zeit, uns ein paar Fragen zu beantworten.

Hijrah

Sommer, Sonne, gute Laune…all das wird man auf dem neuen Album von Harm Wülf, welches in diesen heißen Augusttagen erschien, garantiert nicht finden. Stattdessen grüßt der kalte November bereits vom Bild auf dem Cover her, das ein Flugzeugwrack in einer kargen Ödnis zeigt. Am ehesten mit der Hitze in Verbindung bringt man vermutlich noch den Titel: ‚Hijrah‘ beschreibt den Auszug des Propheten Mohammed nach Medina und seine Wanderung durch die arabische Wüste. Mit dem Islam hat Harm Wülfs Sophomore-Album allerdings nichts zu tun. Das Umherirren ist wohl eher metaphorisch zu verstehen. Wer den Sänger George Hirsch und dessen Hauptband Blacklisted kennt, wird unweigerlich verständnisvoll mit dem Kopf nicken. Die Pilgerfahrt geht hier eher durch die Abgründe der menschlichen Psyche und über ein Meer der Depression. Ungemein ehrlich und aufgrund dessen ziemlich erschütternd. So präsentiert sich Hijrah wie ein kurzer Abstecher in tausend Jahre Einsamkeit. Der Stil lässt sich kaum in eine Schublade stecken: Da sind die packenden Kontraste zwischen zerknirschender Selbtoffenbarungen in den Texten und den sie begleitenden, teils euphorischen Melodien wie sie bei Blacklisted spätestens seit ‚No One Deserves To Be Here More Than Me‘ zu finden sind. Da sind die teils repetitiven Textpassagen und dominierende Musik wie bei Self Defense Family und da ist die Anklänge von Dark-Ambient-Sound.

Der Einstieg in Hijrah ist etwas gewöhnungsbedürftig. Der erste Titel ‚Descent, I’ve Been Waiting‘ erstreckt sich zwar über sechs Minuten, erscheint dem Hörer aber eher wie ein in die Länge gezogenes Intro, das zu allem Überfluss auch noch recht unmelodisch daherkommt. Schwerfällig und distanziert klingen die schrägen Gitarreneffekte und schallenden Becken. Müde und heiser wirkt Hirschs Stimme, die mehr lamentiert als singt, während sie den baldigen Niedergang begrüßt. Kein Lied, eher eine Klangexperiment. Ab dem zweiten Titel, ‚Matryoshka‘ ändert sich dies jedoch. Der Ausdruck ‚an Fahrt aufnehmen‘ wäre hier zwar deplatziert, denn Tempo, Stimmung und Intonation verbleiben düster und schleppend. Dafür haben alle Titel individuelle Alleinstellungsmerkmale, die sich zuordnen lassen und im Ohr bleiben. Da ist ‚Put The Kettle Back On (They’ve All Gone Anyway)‘, mit seinen dumpfen Toms, das vollkommen ohne Schlagzeug auskommende ‚Survivor Guilt‘ oder ‚Welcome Home Our Sister‘ mit leichten Grunge-Anleihen. Natürlich dürfen auch die psychopathischen Kontraste nicht fehlen, die bezeichnend für Hirschs Stil sind. So besingt er in ‚Warm Snow‘, wie ihm seine Mutter stets einbläute, ihm liege die Schlechtigkeit im Blut und ihr zu entkommen würde an der Realität scheitern. Dies mündet dann in einem regelrecht lebhaften Mundharmonika-Solo, das an die Musik in einem Pariser Straßencafé erinnert, als wäre diese niederschmetternde Nachricht das normalste der Welt.

Harm Wülf ist bestimmt keine Band für jeden und so kontrovers wie das Buch, dessen Hauptcharakter Pate für den Bandnamen stand. Hijrah braucht, genau wie sein Vorgänger ‚There’s Honey In The Soil So We Wait For The Till‘, Zeit, um an einem zu wachsen. Deprimierende Texte und schwermütige Melodien vermischen sich beim Hören im Kopf zum Bild einer trostlosen Vulkanlandschaft auf der kein Leben gedeiht. Selten hat ein Cover-Motiv das Hörerlebnis so gut visualisiert wie hier und mit Deathwish hätte kein passenderes Label für dieses Album gefunden werden können. Die beste Musik, um an einem regnerischen Herbsttag aus dem Fenster zu schauen oder Zwiebeln zu schneiden. Leider zieht sich der Anfang etwas in die Länge, ohne dabei viel Eindruck zu hinterlassen, was ungeduldige Naturen vielleicht von einem intensiven Reinhören abhalten könnte. Auch Hirschs raue Stimme ist zunächst gewöhnungsbedürftig, passt am Ende aber in die Gesamtstimmung und geht in den dystopischen Melodien auf. Das Album nach dem ersten Anspielen aber gleich wieder zur Seite zu packen, wäre ein Fehler, denn es offenbart sich einem erst nach mehrmaligem hören. Für Freunde düsterer Instrumentalmusik mit langsamem Tempo und Menschen mit dunklen Flecken auf der Seele sehr zu empfehlen. Vielleicht bis zum Herbst liegen lassen…