Kategorie: reviewcompilation

Archivarium

Der Titel „Archivarium“ verrät es bereits: für das neue Album hat sich The Samurai Of Prog aka Marco Bernard mit seinen mittlerweile auch offiziell zur Band gehörenden Mitstreitern Kimmo Pörsti und Steve Unruh im Archiv vergraben und schließlich unveröffentlichtes Material der letzten Jahre zutage gefördert. Die meisten Stücke wurden laut Sleeve-Notes auch mit oder von anderen Musikern des finnischen Colossus-Kollektivs kreiert, dem ja auch das Samurai-Projekt entsprang. So dürften harte Follower der finnischen Prog-Szene bereits Einiges auf dem Album kennen – das dürften aber vermutlich eh nicht Allzuviele sein.

Stilistisch liegen die Stücke alle auf der bewährten Samurai-Linie: klassischer, symphonischer Siebziger-Prog mit viel Gegniedel, Gefiedel, Pomp und Pathos, der perfekt taugt, dem modernen Prog-Hipster das Lachen aus dem Gesicht zu treiben. Emerson, Lake & Palmer, PFM, Camel, Rick Wakeman solo, aufgrund der Violine auch die frühen Kansas – nein, Zurückhaltung wird hier nicht praktiziert. Das funktioniert aber natürlich auch bei einem Sammelsurium wie dem Vorliegenden prächtig, wenn die Musiker a. die Kompetenz und b. die nerdige Leidenschaft mitbringen, sich dem gänzlich unzeitgemäßen Sound voll und ganz zu verschreiben. Beides darf man bei The Samurai Of Prog zu keiner Sekunde anzweifeln. Technisch agiert man auf dem gleichen Level wie die „Originale“, und wie gewohnt gibt’s zur tollen Musik auch wieder ein aufwändiges Artwork als Dreifach-Digisleeve mit dickem Booklet inklusive Fotos, Lyrics und ausführlichen Linernotes und einem eigenen, ebenfalls bedruckten Hochglanz-Innersleeve-Bag für die CD. Ob für die Band dadurch beim Verkauf ihrer Alben wirlich noch Geld hängenbleibt, muss zumindest angezweifelt werden. Zwar gibt’s diesmal aufgrund der unterschiedlichen Herkunft der Songs kein durchgängiges Konzept, das macht aber überhaupt nichts. Songs wie ‚La Oscuridad‘, in dem man ein höchst willkommenes Wiederhören mit Michelle Young hat, ‚Keep The Ball Rolling‘ oder ‚The Sleeping Lover‘ hätten ohne Frage auf jedes bisherige Samurai-Album gepasst, ohne dabei durchs Raster zu fallen. Dazu gibt’s noch zwei Coversongs. Camels ‚Ice‘ ist ziemlich gelungen, wenn auch ein wenig zu nahe am Original, um richtig zu begeistern, doch die abschließende Fassung des David Bowie-Schlüsselsongs ‚“Heroes“‚ ist als einziger Song ziemlich enttäuschend ausgefallen. Das Flair des Originals wird zu keiner Zeit erreicht, leider hat die Band auch nicht versucht, dem Song eine neue Facette abzugewinnen. So bleibt eine blutleere und offen gesagt auch reichlich kraftlose Tralala-Version, die aber zum Glück am Ende des Albums steht und somit nicht den Fluss stört.

Eine schöne Zusammenstellung von „odds’n’ends“, die Fans des/der Samurai ohne Frage gefallen wird. Für Einsteiger ist zwar eher eines der drei bisherigen regulären Alben zu empfehlen, aber für die ist diese Sammlung auch nicht gedacht. Zu beziehen im Webshop von Just For Kicks.

Who Came First (Deluxe Edition)

Die vor einigen Jahren erscheinen „Expanded Editions“ der Soloalben von Pete Townshend waren für einige Fans durchaus leicht enttäuschend ausgefallen. Ja, das Material wurde remastert, und es gab auch einige Bonustracks. Die Aufmachung hingegen war relativ spartanisch ausgefallen und auch im Bereich der Bonustracks klafften noch einige Lücken. Da die guten Stücke in Europa auch nur als teure Importe erhältlich waren, ist die mit „Who Came First“ losgetretene, neue Reihe an Deluxe-Editionen ein sehr willkommenes Projekt.

Townshends erstes offizielles Soloalbum ist dabei eigentlich gar keines: „Who Came First“ versammelte die Highlights zweier zuvor zu Ehren von Petes Guru Meher Baba veröffentlichten Alben und fügte noch ein paar The Who-Demos und zwei neu aufgenommene Songs hinzu. Noch dazu bot das Album auch jeweils einem Song von Ronnie Lane, bei dem Townshend nur Gitarre spielte, und Billy Nicholls, auf dem Pete selbst überhaupt nicht zu hören war. Das Ganze hätte also auch ein unhörbarer Mischmasch werden können. Nun, zugegeben, Billy Nicholls ‚Forever’s No Time At All‘ fällt wirklich aus dem Rahmen und stört den Fluss. Doch die restlichen Songs, inklusive Lanes launigem ‚Evolution‘ bestätigen klar, dass Pete Townshend von 1970 bis 1973 in der Form seines Lebens war. Weit weniger heavy als mit seiner Hauptband, kommen die Songs geradezu folkig, entspannt und gutgelaunt daher, wie es sich auf „Who’s Next“ ja bereits mit ‚Going Mobile‘ angedeutet hatte. Mit ‚Parvardigar‘ vertonte Townshend ein Gedicht Babas, und das Cover des Country-Klassikers ‚There’s A Heartache Following Me‘ wurde ausgewählt, weil es einer der Lieblingssongs des Gurus war.

Nun hatte Townshend bei der Wahl seines Gurus im Gegensatz zu den Beatles richtiges Glück, denn Meher Baba war offensichtlich ein eher genügsamer und entspannter Zeitgenosse, der 44 Jahre lang – bis zu seinem Tod – schwieg und als letzte Worte vor besagtem Gelübde seiner Gemeinde die Worte ‚Don’t Worry, Be Happy‘ hinterließ. „Je größer die Liebe, desto sanfter die Stimme“ predigte er – kein Wunder, dass er beim erwachsen gewordenen Krachmacher Townshend, der ja einst gehofft hatte, zu sterben, bevor er alt wurde, direkt ins Herz traf. Vieles von „Who Came First“ entstammt auch dem ebenfalls von Babas Lehren beeinflussten „Lifehouse“-Konzept, das die Grundlage von „Who’s Next“ gab. So funden sich auf der Bonus Disc die restlichen Townshend-Songs der erwähnten Tribute-Alben an seinen spirituellen Mentor, darunter ein neunminütiges (!) Instrumentaldemo von ‚Baba O’Riley‘, aber auch einige ziemlich feine, vornehmlich von Akustikgitarren getragene Songs wie ‚Sleeping Dog‘ und Cole Porters ‚Begin The Beguine‘. Dazu kommen ein paar spätere Stücke wie das für eine Dokumentation über Baba komponierte ‚Meher Baba In Italy‘, eine in besagtem Film enthaltene Liveversion von ‚Drowned‘ und Townshends eigene, sehr emotionale Version von ‚Evolution‘ – aufgenommen 2004 bei einem Erinnerungskonzert an seinen Freund Ronnie Lane.

Auch optisch steht das Album, ein aufwändiges Vier-Panel-Digipack im DVD-Format mit Slipcase, 24-Seiten-Booklet und Poster, im Zeichen Babas. Man muss es Townshend aber zugute halten, dass er, im Gegensatz zu vielen anderen religiös inspirierten Rockmusikern, zu keiner Sekunde ins Predigen verfällt, sondern das Ganze eher persönlich hält. Bekehrungsversuche gibt es keine – er feiert eben seinen eigenen Glauben und seine Philosophie. Dass er das auch noch mit einer ganzen Menge an tollen Songs tut, sei nur noch einmal am Rande erwähnt. Spätere Townshend-Soloalben waren freilich konzeptionell geschlossener und runder, aber der Gemischtwarenladen „Who Came First“ hat durchaus seinen eigenen Reiz. Ob Meher Baba nun seine selbsternannt göttlichen Finger im Spiel hatte oder nicht.

Back To Ze Roots

20 Jahre Japanische Kampfhörspiele – ein Grund, reumütig zurückzublicken. Es ist viel passiert: Auflösung, Reunion, Neubesetzung, Alben so viele, wie sie an fünf Händen nicht abzuzählen sind, eine Kampflektüre und ein Kampfspielfilm. Da kann man schon mal nostalgisch werden und für JaKa bedeutet das, malochen, keine Pause, sondern 15 Songs aus der gesamten Band-Historie mit der neuen Mannschaft neu aufzunehmen. Solch ein Vorhaben droht auch schon mal komplett in die Hose zu gehen, es kann aber auch mit Bravour bestanden werden. „Back To Ze Roots“ tendiert eindeutig in die positive Richtung.

Die neuen Versionen haben alles, was Japanische Kampfhörspiele ausmacht: Doppel-Vocals, Spoken Growls, erzählende Schreie, Hip-Hop-Groove, obskure Instrumental-Passagen, Gitarren-Gedudel, Industrial-Anleihen, hektische Beats, überall Breaks und mehr Blast-Parts als auf den letzten beiden Studioalben zusammen. Unter den 15 Songs sind Klassiker wie ‚Wir gehen in den Knast‘ und ‚Gekochtes für Tiere‘, leider fehlt aber ‚Verpackt in Plastik‘. Aber hey, das ist kein wirklicher Kritikpunkt, denn die Auswahl spiegelt die Japanische Kampfgeschichte bestens wider. Dazu sind die neuen Versionen echt gelungen, haben eigenen Charme und könnten auch als neue Songs verkauft werden. Der Sound ist auch besser und fetter geworden als auf „The Golden Anthropocene“. Christof Kather und Co. haben sich redlich Mühe gegeben, die alten Popgrind-Nummern aufzupolieren und ihnen den Anstrich der neuen JaKas zu geben.

Einzig das Artwork ist ziemlich banal ausgefallen und passt nicht in die JaKa-Diskografie. Da hat wohl einer eine Weiterbildung in einem 3D-Programm absolviert oder ein Plug-In für Photoshop entdeckt. Hat sich nicht gelohnt, Junge. Nee, du. Abgesehen davon ist „Back To Ze Roots“ aber genau das geworden, was man erwartet hat: Alte Klassiker, aufgepimpt für des Zeitalter des Populismus. Also, immer schön drauf hauen. Fragen und entschuldigen kann man sich auch später. Oder auch nicht.

https://www.japanischekampfhoerspiele.de/

https://japanischekampfhorspiele.bandcamp.com/

http://www.bastardizedrecordings.de/

Outcast (Deluxe Edition)

Mit den vorangegangenen Alben „Renewal“ und „Cause For Conflict“ hatten sich Kreator fast alle Sympathien und den Erfolg, den sie sich in den Achtzigern hart erkämpft hatten, verspielt. Schwache Songs und halbgare Trendanbiederungen hatten nicht den erhofften Anschluss an die Mittneunziger-Elite gebracht, sondern die Band zur Randnotiz werden lassen. Umso verwunderlicher, daß Kreator sich mit ihrem achten Studioalbum „Outcast“ nicht nur weiter denn je vom Thrash Metal entfernen, sondern auch ihr bestes Album seit mindestens „Coma Of Souls“ abliefern sollten.

Schon der Opener ‚Leave This World Behind‘ machte deutlich, wo der Hase lief. Geradezu poppig anmutende Grooves, an Mittneunziger Megadeth erinnernde Gitarren, Industrialsamples und eine höchst eingängige, vom Gothic Rock beeinflusste Melodie – gar nicht viel anders als das, was die Kollegen von Paradise Lost im selben Jahr mit dem Meilenstein „One Second“ abliefern sollten. Und vor allem: Mille klang endlich nicht mehr nach NYHC, sondern so angepisst-hysterisch wie früher, was sowohl einen reizvollen Kontrast zur melodischen Komposition als auch ein gutes Stück „altes Kreator-Feeling“ zurückbrachte. Der Knackpunkt ist freilich das Wort „melodisch“: „Outcast“ ist das erste Kreator-Album, bei dem der Gesang und die Melodien im Vordergrund des Songs stehen statt, wie bislang, die Riffs. Auch wenn wie üblich Mille fast alle Songs komponiert hatte, war dennoch auch die Handschrift des jüngsten Neuzugangs im Bandlager klar herauszuhören: dank Ex-Coroner-Gitarrist Tommy Vetterli war auch die Gitarrenarbeit so abwechslungsreich ausgefallen wie selten zuvor. Auch wenn „Outcast“ für Thrash-Fans womöglich noch schwerer zu verdauen ist als die beiden Vorgänger, liefert die Band hier endlich wieder die Qualitätsarbeit ab, die bis „Coma Of Souls“ Trademark der Band war. Egal, ob das auch heute noch regelmäßig gespielte ‚Phobia‘, das getragene ‚Black Sunrise‘ oder das thrashige Schmankerl ‚Against The Rest‘, „Outcast“ kennt nicht einen Ausfall, dafür aber eine ganze Menge Höhepunkte. Nach langem Suchen hatte Mille endlich eine neue Richtung gefunden, in der Kreator sich wohlfühlten und ihre Stärken ausspielen konnten.

Hier gibt’s als Bonusmaterial gleich ne komplette CD mit dem vierzigminütigen Festivalauftritt vom Dynamo 1998. Das ist natürlich schon einmal hochinteressant, weil diese neun Songs (plus zwei Intros) die bislang einzigen offiziellen Liveaufnahmen des Vetterli-Lineups darstellen. Zwar muss man sich den Bass bisweilen eher hinzudenken (vermutlich handelt es sich um einen Soundboard-Mitschnitt), und mit ‚Pleasure To Kill‘ und ‚Extreme Aggression‘ sind nur zwei Achtziger-Klassiker vertreten. Das wird aber mit feisten Versionen von selten gespielten Songs wie ‚Whatever It May Take‘, ‚Terror Zone‘, ‚Lost‘, ‚Renewal‘ und ‚Leave This World Behind‘ ausgeglichen.

So oder so, „Outcast“ ist eines der essenziellsten Kreator-Alben. Mit „Outcast“ begann Mille, die Melodien in den Vordergrund zu stellen, was auch bei der vier Jahre später anstehenden musikalischen Rückkehr ins Thrash-Lager prägend bleiben sollte. Anders ausgedrückt: die modernen Kreator beginnen hier, und die Band sollte ab „Outcast“ nie mehr ein schwaches Album veröffentlichen.

Cause For Conflict (Deluxe Edition)

Nachdem die sehr an seinerzeit modernen Sounds orientierte Neuausrichtung auf „Renewal“ zwar bei der Kritik gut, bei den Fans und Plattenkäufern allerdings eher disaströs angekommen war, dauerte es drei Jahre bis zum nächsten Kreator-Album, und als Einstand für’s neue Plattenlabel G.U.N. versprach Mille ein Back-to-the roots-Album, das laut Ankündigungen das härteste Kreator-Werk seit „Pleasure To Kill“ sein sollte.

Nun, das kann man vollkommen diskussionsfrei so stehen lassen: „Cause For Comflict“ legt das Hauptaugenmerk tatsächlich auf ziemlich derbes Geprügel. Allerdings nach wie vor stark vom Hardcore und bisweilen auch, speziell in Sachen Riffs, vom amerikanischen Death Metal beeinflusst. Auch Groove-Metal-Einflüsse gibt’s eine ganze Menge, so daß „Cause For Conflict“ trotz der heftigen Ausrichtung bei den Thrash-Fans nur bedingt punkten konnte. Das liegt allerdings eher daran, daß Kreator diesmal nur wenige bemerkenswerte Songs eingefallen sind. Unter den Prügelnummern kann sich eigentlich nur das unter zwei Minuten ins Ziel laufende ‚Bomb Threat‘ mit den Klassikern messen. Songs wie ‚Prevail‘ oder ‚Hate Inside Your Head‘ verfügen zwar sehr wohl über gute Ansätze, wirken aber seltsam unfertig und hinterlassen leider auch nach mehrfachem Hören kaum bleibenden Eindruck. Zwei Klassiker hat das Album dennoch zu bieten: das treibende, eher im Midtempo angesiedelte ‚Lost‘ und das düstere, melodische ‚Isolation‘ mit leichtem Gothic-Touch ragen heute wie damals deutlich aus dem Material hervor und sollten als Wegweiser für die musikalische Zukunft der Band dienen.

Als Bonustracks gibt es das atmosphärische, Industrial-Metal-lastige ‚Suicide In Swamps‘ und die kurze Hardcore-Abrissbirne ‚Limits in Liberty‘ von der „Scenarios Of Violence“-Compilation und das Raw Power-Cover ‚State Oppression‘, das bislang nur auf der Erstauflage der CD enthalten war. Somit wird die Ära auf diesem Reissue quasi lückenlos aufbereitet. Das ändert aber freilich nichts daran, daß „Cause For Conflict“ eines der vernachlässigbaren Kreator-Alben ist und hauptsächlich für harte Fans und Mittneunziger-Metal-Nostalgiker relevant ist. Die werden aber dank der edlen Aufmachung, der Bonustracks und des deutlich weniger blechig klingenden Remasters bestens bedient.

Renewal (Deluxe Edition)

Bis zu „Coma Of Souls“ galten Kreator als qualitativ höchstwertige und unbeirrbare Vertreter des klassischen Thrash Metal. Schließlich hatten sie es geschafft, ihren Sound zwar technisch zu verfeinern, dabei aber nicht Aggression und Geschwindigkeit zu vernachlässigen. Mit „Renewal“ hatte das aber alles – vorerst – ein Ende: statt komplexer, anspruchsvoller Thrash-Kracher gab’s plötzlich simple Hardcore-Riffs, Grunge-Melodien und Industrial-Sounds – und die Reaktion der Fans war entsprechend. Knappe 26 Jahre später erscheint das lange vergriffene „Renewal“ nun endlich wieder, remastert und mit drei Bonustracks ausgestattet und bietet sich somit zur Neubeurteilung an – falsch beurteilter Klassiker oder zurecht vergessenes Experiment?

Nun, zunächst muss man auf jeden Fall das Remaster loben. Das hat zwar immer noch den miesen 1992er-Dosen-Snaresound a la Helmet, klingt aber deutlich kraftvoller als die dünne Originalfassung. Ansonsten waren die Jahre aber nicht unbedingt freundlicher zu „Renewal“. Noch mehr als im Veröffentlichungsjahr erweckt das Album nämlich den Eindruck, daß da eine Band nicht wußte, wo sie hinwollte. Denn natürlich ist „Renewal“ nicht das wegweisende, doch missverstandene Industrial-Metal-Album, als das es retrospektiv gerne bezeichnet wird. Besagte Industrial-Elemente beschränken sich nämlich auf ein paar Samples und die Klangcollage ‚Realitätskontrolle‘. Stattdessen klingt „Renewal“ ganz schlicht und ziemlich exakt wie eine – anno 1992 kommerziell in den USA schwer angesagte – Mischung aus Helmet und Biohazard, abgeschmeckt mit ein paar weiterer gerade angesagter Trendelemente. Da findet sich ein wenig Grunge, ein paar Pantera-Riffs und ein wenig Funk-Metal – und bei derm Beschriebenen handelt es sich nur um einen einzigen Song (‚Reflection‘)! Enttäuschend ist dabei, daß nur wenig auf dem Album tatsächlich nach Kreator klingt – stattdessen eben nach einer der vielen Bands, die im Fahrwasser der oben erwähnten Trendsetter schwammen. Mille versucht sich auch stimmlich in die Nähe von Page Hamilton und NYHC zu begeben – nur klingt er dabei leider, als müsse er dringend mehr Ballaststoffe zu sich nehmen.

Das könnte man als toleranter Musikhörer ja noch verschmerzen – und wer mag die alten Helmet nicht? Doch auch das Songwriting auf „Renewal“ zieht nicht unbedingt die Butter vom Brot. Der Titelsong ist natürlich klasse, auch ‚Europe After The Rain‘, ‚Depression Unrest‘ und das am Ehesten noch nach „alten“ Kreator klingende ‚Brainseed‘ gehen auch noch als hörenswert durch. Ansonsten regieren aber bisweilen erschreckend stumpfe und ziemlich einfallslose Riffs, kraftlose Vocals und beliebig klingende Songs. Die Originale machten diese Art von Musik eben allesamt besser als Mille und Co. Als Bonustracks gibt es eine frühe Liveversion und eine ‚Trauma‘ betitelte, deutlich anders (und traditioneller) klingende Demoversion von ‚Winter Martyrium‘ sowie einen weitaus aggressiveren Remix von ‚Europe After The Rain‘.

Es ist natürlich schön, daß das Album endlich wieder erhältlich ist und sich somit jeder Kreator-Fan selbst ein Urteil bilden kann. Das ändert aber nichts daran, daß „Renewal“ musikalisch betrachtet eines der schwächsten Kreator-Alben ist und seinen „legendären“ Ruf als experimentelles Meisterwerk eher seiner langjährigen Rarität verdankt. Dank des wie erwähnt exzellenten Remasters und der Bonustracks kann man das Rerelease objektiv betrachtet aber ohne Frage dennoch als hochwertig und gelungen bezeichnen.

Coma Of Souls (Deluxe Edition)

Die vier lange vegriffenen und selbst gebraucht nur zu Fantasiepreisen erhältlichen Kreator-Alben der 1990er werden nun endlich wieder aufgelegt – fein remastert, in schicken Digibooks und mit Linernotes und Bonustracks versehen. Wir haben die Rereleases der teilweise musikalisch sehr umstrittenen Alben für Euch genauer unter die Lupe genommen.

Als die 1990er begannen, schien noch alles in Butter bei Kreator. Mille hatte sich nach dem Ausstieg/Herauswurf (je nach Ansicht) von Gitarrist „Tritze“ Frank Blackfire geangelt, der in den vorangegangenen Jahren einen entscheidenden Teil dazu beigetragen hatte, Sodom zur erfolgreichsten deutschen Thrashband werden zu lassen. Das wie der Vorgänger „Extreme Aggression“ von Randy Burns produzierte neue Album „Coma Of Souls“ verkaufte sich damals entsprechend exzellent – da Karl Walterbach, der Boss des Kreator-Labels Noise das Album nicht bei Media Control anmeldete, tauchte es jedoch nie in irgendwelchen deutschen Charts auf.

Auch wenn später ein wenig gemeckert wurde: als „Coma Of Souls“ erschien, war so ziemlich jeder damit ziemlich zufrieden. Und auch vollkommen zurecht. Die Linie zu komplexeren Arrangements, die mit „Extreme Aggression“ begonnen wurde, fand hier ihre Fortsetzung. Das Tempo wurde mehr variiert, es gab melodische Soli, sogar Akustikgitarren wurden eingesetzt – dennoch gab’s hier die typische pissig-hysterischen Mille-Schreie und über weite Strecken auch die Thrash-Vollbedienung, die man von der Band mittlerweile erwartete. „Kontrollierter“ nannte Mille das damals, und das trifft den Nagel auf den Kopf. Jeder Ton sitzt hier perfekt an seinem Platz, jedes Detail ist Teil des Ganzen – und das Album funktioniert am Besten, wenn man es am Stück durchhört. Natürlich klingt manch ein Riff ein wenig nach Metallica zu „…And Justice For All“-Zeiten, und generell hört man einen starken Bay-Area-Thrash-Einfluss heraus. Im Gegensatz zu Testament, Megadeth, Exodus, ja, auch Slayer traten Kreator aber nach wie vor sympathisch oft aufs Gaspedal. Und Songs wie ‚When The Sun Burns Red‘, das eingängige ‚People Of The Lie‘, das mit groovigen Elementen ausgestattete ‚Terror Zone‘ und natürlich der epochale Titelsong gehörten mit Recht auch in den letzten Jahren noch zu den Live-Highlights der Band. Auch wenn die Weiterentwicklung natürlich nicht so überraschend und groß war wie zwischen den ersten vier Alben, war auch Kreators Fünfte ein fantastisches, pures Thrash-Album ohne Ausfälle.

Dem Ganzen setzt aber erst die Bonusdisc so richtig die Krone auf. Der 1992er Livemitschnitt aus Fürth geht nämlich ohne Frage als perfekte Best Of der ersten Kreator-Phase durch. Bei bestmöglichem Sound bolzt sich die Band schweinetight und ultrabrutal durch vierzehn Klassiker (plus ein Intro und ein gottlob kurzes Drumsolo). Wäre das Teil damals schon als Livealbum erschienen, wäre es heute ein Klassiker des Metal. Fünf Songs von „Coma“, dazu Brecher wie ‚Betrayer‘, ‚Pleasure To Kill‘, ‚The Pestilence‘, ‚Toxic Trace‘, ‚Terrible Certainty‘ und natürlich das unumgängliche ‚Tormentor‘ – einer der geilsten Livemitschnitte des kompletten Metalzirkus und das ultimative Einsame-Insel-Paket der frühen Phase der Band. Alleine hierfür lohnt sich die Neuanschaffung bereits!

A Decade Of The Mad Axeman

Noch 2007 hätte wohl niemand mehr ernsthaft damit gerechnet, dass sich Michael Schenker noch einmal berappelt. Schenker veröffentlichte zwar teilweise bis zu drei Alben pro Jahr, allerdings fand eindeutig nur wenig Qualitätskontrolle statt, was zu einer Menge Jam-Platten mit Coversongs, Instrumentalscheiben, die nur Fragmente von Songs enthielten und offen gesagt meist recht durchschnittlichen Hardrockscheiben führte. Erst als 2008 „Mr. German Melodic Rock“ Michael Voss eine Zusammenarbeit mit Schenker einging und er einen Vertrag beim kleinen, aber qualitätsbewussten In-Akustik-Label unterschrieb, wendete sich Schenkers Blatt. Regelmäßiges Touren und gelungene Studioalben führten dazu, dass Schenker wieder als eine Größe im Hardrockzirkus wahrgenommen wurde und sich viel von seinem alten Ruf zurückerobern konnte. Da klingt es nicht unsinnig, dass sein altes Label (Schenker ist mittlerweile wieder bei Nuclear Blast unter Vertrag) eine Compilation veröffentlicht, die diese Comebackphase beleuchtet.

Die erste CD enthält Studioaufnahmen, die zweite Auszüge aus den in der entsprechenden Zeit veröffentlichten Livealben. Dabei überschneiden sich die Songs nicht – lediglich der UFO-Klassiker ‚Doctor Doctor‘ ist zweimal vertreten: einmal vom Download Festival in London mit Michael Voss als Sänger und Rudolf Schenker und Jeff Scott Soto als Gästen und einmal vom Michael Schenker Fest in Tokyo mit Gary Barden, Graham Bonnet und Robin McAuley am Mikro. Das ist aber auch die einzige Meckerei, die man anbringen kann. Denn die Zusammenstellung der beiden Discs gibt nicht nur einen guten Überblick über die letzten Jahre des Ausnahmegitarristen, sondern ist auch hörbar kompetent zusammengestellt. Beide Discs sind chronologisch geordnet, sodass vor allem auf CD 1 die musikalische Weiterentwicklung sehr gut nachvollziehbar ist. Los geht’s mit den von Deep Purple und Rainbow beeinflussten Songs auf „In The Midst Of Beauty“, für die Schenker und Voss Simon Phillips (Mike Oldfield, Toto, The Who), Neil Murray (Whitesnake, Black Sabbath, Brian May), Don Airey (Deep Purple, Rainbow, Gary Moore) und MSG-Originalsänger Gary Barden ins Studio holten. Diese Besetzung ist dann auch auf den ersten Songs der Live-Disc zu hören. Später gibt’s dann Aufnahmen der Temple Of Rock-Scheiben, zunächst noch mit massenweise Gästen wie Pete Way (ex-UFO), Robin McAuley und Michael Amott (Arch Enemy), später als feste Band mit der ehemaligen Scorpions-Rhythmusgruppe Francis Buchholz und Herman Rarebell sowie Sänger Dougie White, einem weiteren Ex-Rainbow-Mitglied. Disc 2 endet dann mit Aufnahmen des besagten Michael Schenker Fest – und somit in der Gegenwart. Die Highlights der Studioalben werden eigentlich ziemlich lückenlos abgedeckt – okay, das kultige William Shatner-Intro der ersten „Temple Of Rock“ fehlt mir persönlich schon, das könnte aber mehr mit meiner Nerdigkeit als dessen musikalischen Gehalt zu tun haben.

Für harte Fans ist die Scheibe freilich absolut sinnlos, die haben nämlich alles eh schon im Regal stehen. Auf Japan-Bonustracks, sonstige Raritäten oder gar komplett unveröffentlichtes Material hat man bei der Zusammenstellung nämlich verzichtet. Wer aber einen umfassenden Überblick über die Comebackphase des Sarstedters sucht, ohne gleich sämtliche Alben der Phase eintüten zu wollen, findet hier sein Rundum-Glücklich-Paket.

Blues And Beyond (2-CD-Version)

Compilations von Gary Moore gibt es bekanntlich wie Sand am Meer. Allerdings tatsächlich noch keine, die sich der Nach-Virgin-Jahre des Musiker widmet. Somit klingt die Prämisse des Albums „Blues And Beyond“ durchaus vielversprechend. Das Teil wird sowohl als Boxset inklusive eines unveröffentlichten Livemitschnitts der „Back To The Blues“-Tour wie auch als reguläre Zwei-CD-Version veröffentlicht. Letztere lag uns in diesem Fall auch zur Rezension vor.

Und, soviel kann man sagen, zumindest die Zwei-CD-Variante ist an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten. Denn über die zwei CDs verteilt findet man eben keinen repräsentativen Querschnitt, sondern die beiden kompletten Alben „Back To The Blues“ und „Power Of The Blues“ (natürlich im Tracklisting durcheinandergewürfelt) mit jeweils drei Tracks von „Scars“ und „A Different Beat“ und ‚Parisienne Walkways‘ vom „Monsters Of Rock“-Livealbum. Rare oder gar unveröffentlichte Songs sucht man hier vergeblich, nicht einmal das „Back To The Blues“-Outtake ‚Livin‘ With The Blues‘ wurde berückschtigt. Mag sein, daß das Boxset dank des Livemitschnittes durchaus was taugt, aber das hier ist einer dieser Sampler, die zurecht innerhalb der nächsten Jahre für zwei Euro auf dem Grabbeltisch landet. Trotz natürlich exzellenter Musik braucht diese Rohstoffverschwendung echt kein Schwein. Und mehr kann man hierzu auch gar nicht mehr sagen.

Hotel California – 40th Anniversary Edition

„Hotel California“ – das erfolgreichste Album der Eagles und generell eines der erfolgreichsten Alben aller Zeiten. Für Manche das Lebensgefühl einer Epoche in Musik gefasst, für Andere der Horror in Form mainstreamig-dekadenten Siebziger-Softrocks.

Nun, Recht haben beide Parteien, und das ist nicht einmal ein Widerspruch. Denn natürlich waren die Eagles 1977 genau die drogenverseuchten, maßlosen, dekadenten und selbstverliebten Rockstars, die der Punk im selben Jahr anprangerte. Die Ironie, daß drogenverseuchte, maßlose, dekadente und selbstverliebte Punks die Eagles genau dessen anklagten, hatte freilich viel damit zu tun, daß Don Henley, Glenn Frey und Co. einfach viel erfolgreicher dabei agierten. Softrock? Nun, wohl hatte sich die Band vorgenommen, ein weniger countrylastiges, „echtes“ Rock-Album aufzunehmen, doch funktioniert hat das nur teilweise. Klar, die Country-Elemente sind nur noch in Randy Meisners ‚Try To Love Again‘ auszumachen, aber als „Rocksongs“ konnte man gleichwohl auch nur zwei Takes des Albums bezeichnen. Und auch wenn ‚Life In The Fast Lane‘ und ‚Victim Of Love‘ die rockigsten Stücke der Scheibe waren, von der Bodenständigkeit und Kraft, die Songs wie ‚James Dean‘, ‚Visions‘ oder ‚Tryin“ auf den Vorgängern besessen hatten, waren diese Radiorocker auch meilenweit entfernt. Dafür gingen die Balladen wie ‚Pretty Maids All In A Row‘ und ‚Wasted Time‘ mit den opulenten Streicherarrangements diesmal ganz eindeutig und voller Absicht über die Kitschgrenze. Ist also „Hotel California“ deshalb wirklich ein schlechtes Album?

Natürlich nicht. Denn, solange die Ohren des Hörers noch nicht komplett von Plattheiten verklebt sind, wird jeder die dunklen Abgründe hinter den perfekt komponierten, arrangierten und eingespielten Songs der millionenschweren Junkiehorde spüren – und die machen „Hotel California“ eben zu einem Album, das bis heute seinen ganz ureigenen Reiz hat. ‚The Last Resort‘, das epische Glanzstück der Scheibe, mag eine Melodie so dickflüssig und süß wie Honigseim haben, aber selten gab es einen derart lakonischen bis zynischen Abgesang auf dem American Dream, Gier und Verantwortunglosigkeit zu vernehmen – Randy Newman dürfte damals den Hut gezogen haben. Natürlich gelangen solche Stücke genau deshalb, weil die Mitglieder diese Dunkelheit in sich selbst spürten und durchlebten.

Doch das weiß natürlich jeder, der sich für diese Remaster-Ausgabe interessiert, sowieso. Da wiegt die Frage schwerer, ob man diese Version des Albums braucht, wenn man es ehedem schon im Regal stehen hat. Nun, das neue Master klingt weniger komprimiert als die 2000er Version, dafür hat man es meiner Ansicht nach ein wenig mit dem Entrauschen übertrieben – man nehme den Break im Titelsong, der plötzlich aufgrund der gnadenlosen Stille ziemlich unnatürlich klingt. Der wahre Kaufanreiz dürfte also die 48minütige Live-Disc aus dem L.A. Forum 1976 sein. Die gleichen Konzerte waren auch für Teile des 1980er „Eagles Live“-Albums verwertet worden. Neben dem Titelsong und ‚New Kid In Town‘ von „Hotel California“ gibt es noch Songs von „Eagles„, „On The Border“ und „One Of These Nights“ plus Joe Walshs ursprünglich mit der James Gang aufgenommenes ‚Funk #49‘. ‚James Dean‘ und ‚Good Day In Hell‘ waren dabei meines Wissens noch nicht auf einem offiziellen Eagles-Livemitschnitt enthalten.

Eagles-Fans oder einfach nur Musikfans, die die Scheibe noch nicht besitzen, können hier getrost zugreifen, gerade auch, weil die 2-CD-Fassung für ca. 13€ in den Regalen steht. Ein tolles Album – wenn auch keinesfalls „das Beste“ der Band, dann doch zumindest das Wichtigste – mit einer coolen Bonusdisc. Feine Sache.