Blackstar
David Bowies neues Album ‚Blackstar‘ geht neue Wege, und das tut auch die Rezensentin – mit einer „Live-Rezension“ direkt von der offiziellen Listening Party in London in der Nacht zum Geburtstag des Meisters.
Als es dunkel wird in den Dolby-Studios am Soho Square in London atmet der ganze Raum kollektiv ein. Eine Einleitung gibt es nicht, niemand fühlt sich aufgefordert, mehr oder weniger tiefschürfende Worte zu suchen, denn jeder der 50 Gäste hat jahrelange, mitunter auch jahrzehntelange Erfahrung mit Genie und Wahnsinn von David Robert Jones.
Was folgt, ist dann auch typisch Bowie. Acht Songs, die man selbst nach den ersten Vorab-Eindrücken von Blackstar so nicht erwartet hätte. Der Meister spielt und hat Spaß dabei. Er spielt mit Genres – Pop Beats, die keinen Pop Song ergeben, Jazz Elemente, aber eben auch kein Jazz, Rock und Kinderlieder fügen sich zu einem erstaunlich homogenen Ganzen. Unglaublich komplex und doch von fabelhafter Einfachheit. Geerdet, aber leicht. Kaum zu beschreiben und doch eingängig. Man ringt mit den Emotionen und sucht Worte, um den Eindrücken gerecht zu werden.
In jedem einzelnen der sieben Songs zitiert Bowie nicht zuletzt auch seine eigene Schaffensgeschichte. Beim Titelsong zum Beispiel scheint es, als ob Major Tom endlich aus dem Entzug zurück ist – aber verrückt ist er immer noch. Scary Monsters geistern durch den Raum, ‚1. Outside‘ fügt sich mit einem Hauch Plastic Soul zusammen, ‚Low‘ lässt grüßen und sogar ‚Never Let Me Down‘ – zugegebenermaßen eher ein Tiefpunkt in Bowies Schaffen – kommt zu späten Ehren.
Das Spätwerk eines Künstlers hat immer einen eigenen Reiz. Oft mag die Stimme nicht mehr das hergeben, was sie mal war, dafür wird man aber mit der geballten Erfahrung eines kreativen Lebens entschädigt und häufig auch mit einer gewissen gelassenen Abgeklärtheit und Reife. Blackstar ist reif, aber es ist keine Endzeitplatte, keine Verabschiedung, kein Schlusspunkt.
Bowie wirkt, als ob er an einem Punkt angekommen sei, an den er immer gelangen wollte. Der ewig Rastlose hat sich gefunden, aber das Album schmeckt frisch wie der Start einer komplett neuen Reise. Die Stimme ist kraftvoll, kontrolliert und mit ihr hält Bowie die vielen Stränge der Melodien mit spielerischer Leichtigkeit zusammen.
Zu seinem 69. Geburtstag schenkt David Bowie sich und uns ein Album voller komplexer Klangwelten, die gemeinsam ein Bild ergeben, das ganz neu ist und doch die Tradition aller vorherigen Einflüsse in sich trägt. Und das irgendwie immer einen Halbton neben dem Mainstream. Reif, doch in keiner Weise altbacken, fünf Dekaden musikalischer Entwicklung kondensiert in ein einziges Album gegossen.
Bowie drives like a demon from station to station – und selbst der einzige Kritikpunkt („Was, nur sieben Songs?“) greift nicht, denn lieber sieben Songs von derart überzeugender Qualität als ein längeres Album, bei dem der Finger auf der Skip-Taste zuckt.
Als das Licht im Dolby wieder angeht, bleibt es minutenlang völlig still, während 50 Menschen versuchen, das gerade Gehörte zu verarbeiten und wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Was gibt es Besseres, als im Kreise seiner Freunde neue Musik des größten musikalischen Einflusses seines Lebens zu hören? Wenn man sie in Dolby Surround hören darf und wenn die hohen Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern deutlich übertroffen werden.
Und da sitzt man dann als Redakteur morgens um fünf in seinem schäbigen Londoner Hotelzimmer und muss diese Rezension schreiben, weil es aus einem heraussprudelt. Bowie hat es wieder einmal getan – konsequent seinen eigenen Weg zu gehen und dabei etwas Erstaunliches zu produzieren. Happy Birthday, David. Und bis bald.