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Life And Times

Egal, ob man Prog, Metal, Punk, Country, Alternative oder was-auch-immer spielt: ob’s was taugt, entscheidet letztlich die Qualität des Songwritings. Einer der großartigsten Songwriter der letzten Jahre ist fraglos der Kalifornier Neal Morse. Der hat es fast im Alleingang geschafft, mit emotional berührenden Songs, persönlichen Lyrics und eingängigen Hooklines dem Progressive Rock jeglichen durch Capes, Samthosen und explodierende Hammond-Orgeln verbreiteten Schrecken zu nehmen – obwohl auch Morse gerne hochkomplexe Abfahrten und 76-Minuten-Songs komponiert. Im Herzen steht aber immer der Song – und ohne jeglichen Prog-Ballast darf man sich von der Qualität des Schreibers Neal nun auf „Life And Times“ überzeugen.

Das ist dabei gar nicht so ungewöhnlich, wie man meinen mag, denn Neal hat schon immer auch pure Singer-/Songwriter-Alben zwischen all den Prog-Epen von Spock’s Beard, Transatlantic und der Neal Morse Band veröffentlicht. Und zwischen „It’s Too Late“ und „Songs From The Highway“ passt sich auch „Life And Times“ perfekt ein. Neals typische Melodien sind natürlich sofort wiederzuerkennen, auch für die Progger: die haben nämlich natürlich auch ‚June‘, ‚We All Need Some Light‘ und ‚Wind At My Back‘ gehört. Aber speziell für die, die bei 9/8-Takten immer noch nervös werden, aber gerne mal Don Henley, John Mellencamp, Jackson Browne oder Alison Krauss auflegen, könnte hier ein echter Augenöffner vorliegen. Ob entspannt-lockere Gute-Laune-Nummern wie ‚Livin‘ Lightly‘ oder ‚Selfie In The Square‘ oder das dunklere Anti-Kriegslied ‚He Died At Home‘, alles von gewohnt hoher Qualität, und wie schon auf seinen letzten Prog-Alben hält sich Neal mit der früher oftmals recht aufdringlichen christlichen Predigerei ziemlich zurück, ohne das Thema zu verleugnen. Daß das Album auch exzellent produziert und höchst geschmackvoll instrumentiert ist, sollte für Fans auch keine Überraschung sein.

Zwar könnte man ein mäkeln, daß ein Stück mehr Abwechslung und ein wenig mehr Rock’n’Roll der Scheibe gutgetan hätten (so wie das launige ‚Manchester‘ beispielsweise), aber das sind pure Geschmacksfragen. Neal Morse kann offensichtlich keine schlechte Scheibe abliefern. Egal, ob Progger, Folkie, Country-Fan oder „Normalo-Rocker“, „Life And Times“ ist einfach ein ziemlich cooles Album, das den Eindruck vermittelt, ein großer Musiker erzähle ganz privat ein paar Schwänke aus seinem Leben – wenn man sich denn die Zeit nimmt, ihm zuzuhören – ‚Lay Low‘, wie Neal es empfiehlt. Knapp fünfzig Minuten Entschleunigungs-Therapie, Ohrwürmer inklusive – eines der sicheren Jahreshighlights kommt 2018 schon recht früh!

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