Anywhere Loud
„Wenn Eure Exemplare von „It’s Alive“ und „Alive“ hin sind, ist „Absolutely Loud“ genau die Scheibe, die ihr braucht“
, verkündet das Info zum ersten Livealbum von Imperial State Electric. Und, da die schwedisch-neuseeländische Truppe den Classic Rock der späten Sechziger und frühen Siebziger so sehr verinnerlicht hat wie kaum eine ihrer Konkurrenzbands und auch qualitativ als wohl Einzige mit den Originalen gleichziehen kann, betet man als Fan natürlich darum, daß dies den Tatsachen entsprechen möge: bitte, Nicke und Company, versemmelt das Ding nicht!
Gute Nachricht: natürlich haben die Vier es nicht versemmelt. Im Gegenteil, sie haben so ziemlich alles richtig gemacht, was man bei einer Livescheibe richtig machen kann. Zuallererst haben ISE nicht einfach ein Konzert mitgeschnitten und auf CD und Vinyl gepresst, sondern drei Shows zwischen 2014 und 2016 aufgezeichnet und davon die besten Takes ausgewählt. Denn, ein legendäres Livealbum ist für gewöhnlich immer ein Verschnitt – eben ein LiveALBUM und nicht nur ein schnöder Mitschnitt. Der Sound ist schön kraftvoll, dennoch durchsichtig, vielleicht bisweilen sogar ein wenig zu sauber – aber unserer Wertschätzung für „Alive“ oder „Live & Dangerous“ haben ihre Nachbesserungen auch nicht geschadet. Auch die Publikumsreaktionen klingen teilweise verdächtig nach „Alive“…. Generell wurde der Sound mehr auf Arena oder Stadion als auf Club gebürstet, freilich auf Siebziger-Jahre-Stadion-Show. Was hier an Silikon eingespritzt wurde, darf aber vollkommen egal sein, solange ein derart feines Album dabei herauskommt. Auch die Setlist könnte besser fast nicht sein: ein guter Querschnitt, bei der jedes Album der bisherigen Karriere berücksichtigt wird. Lediglich vom großartigen letzten Album „All Through The Night“ hätten es ruhig mehr als drei Songs sein dürfen, mindestens noch ‚Remove Your Doubt‘ und ‚Would You Lie‘ hätte man hier gerne noch gehört.
Ansonsten aber reiht sich Hit an Hit: ‚Apologize‘, ‚Down In The Bunker‘, ‚Stay The Night‘, ‚Break It Down‘, ‚Deja Vu‘, ‚I’ll Let You Down‘ (leider vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen ohne das ‚Black Diamond‘-Intro) und natürlich ein ordentlich ausgedehntes ‚Throwing Stones‘ als Rausschmeißer. Mit dem Dead Boys-Klassiker ‚Sonic Reducer‘ und ‚This Is Rock’n’Roll‘ von der unbekannteren belgischen Punkcombo The Kids gibt’s auch noch zwei perfekt passende Coversongs, die das 23 Tracks starke Set ideal abrunden.
Klar, ob „Anywhere Loud“ in vierzig Jahren den gleichen Status wie „Alive“ und „It’s Alive“ haben wird, ist alleine schon aufgrund der Umständen eher anzuzweifeln – es wird heuer niemand mehr einen Eindruck hinterlassen wie weiland die Ramones oder Kiss oder Slade. Imperial State Electric haben es aber geschafft, sich nicht nur an diesen unsterblichen Klassikern zu orientieren, sondern tatsächlich auch im Direktvergleich eine mehr als ordentliche Figur abzugeben. Vielleicht ist „Anywhere Loud“ kein Livealbum für die Ewigkeit, aber trotzdem das beste Livealbum, das mir in den letzten (mindestens) zehn Jahren untergekommen ist. Was natürlich absolut schlüssig ist, ist doch ISE auch die beste Rock’n’Roll-Band, die mir in den letzten (mindestens) zehn Jahren untergekommen ist. Wer sich für Rock’n’Roll interessiert, braucht! dieses! Album!