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DIE OBERHERREN – Die By My Hand

Kann man schon von einem Gothic-Revival sprechen? Vermutlich nicht. Das, was der Darkwave und der Gothic in den 80ern und frühen 90ern war, war ein Lebensgefühl. Zu diesem Lebensgefühl gehörte die ausführliche Beschäftigung mit der eigenen dunklen Seite, mit der Andersartigkeit, die auch als Protestform zelebriert wurde. Heutzutage protestiert jeder gegen alles und jeden, solange der Protest keine über die maximale Länge eines TikTok-Videos hinausgehende Aufmerksamkeitsspanne benötigt. Braucht man Gothic also noch?

Ja, tut man. Egal, ob nun Glam Rock mit schwarzer Farbe übergossen wurde wie bei den 69 Eyes oder klassischer Heavy Metal mit schwarzer Farbe übergossen wurde wie bei Unto Others – es gibt gleich mehrere Bands, die ziemlich erfolgreich sind. Dazu im Underground aberwitzig viele Bands – das Genre lebt.

Wer allerdings etwas braucht, das nicht mit Farbe übergossen wurde sondern das von sich aus schwarz ist – bitte sehr: Die Oberherren.

Das Debütabum „Die By My Hand“ ist kurz und knapp vorweggenommen – ein Werk wie ein Donnerhall. Den echten Gothic von früher nimmt die Band gern als Referenz – und zu Recht. Es ist düster, es ist mysteriös, es ist okkult. Der Gesang ist nicht ausschließlich clean und tief, sondern eher verarbeitet und tief – es wird mit allen möglichen Effekten gearbeitet, was dem Gesang ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Außerdem wird dadurch noch etwas unterstrichen, das dem Album ohnehin anheim liegt: eine gewisse Sperrigkeit beim ersten Durchlauf. Die Songs gehen nicht sofort glatt ins Ohr, hier gibt es keine Lalala-Refrains, die man beim ersten Mal versteht und beim zehnten Mal langweilig findet. Immer wieder tauchen Melodien und Riffs auf, die einen mitreißen, aber diese wechseln sich ab mit Momenten, die ihre Schönheit erst beim mehrfachen Durchlauf offenbaren. Dadurch erhält das Album eine Spannung und Dynamik, die selbst an die Größten der Zunft heranreicht.

Das Album ist sehr konzentriert, es enthält lediglich acht Songs bei einer Spielzeit von 35 Minuten. Diese sind dafür aber von vorn bis hinten perfekt, es gibt nicht eine Sekunde an Musik auf diesem Album, die verschwendet oder überflüssig wäre. Es flimmern Bilder von damals vor die Augen, wenn man Zeitzeuge war, verrauchte Clubs, Kerzenschein , schwarz in schwarz, Spitzenkleidung, bleiche Schminke, Fledermausumhänge. Es gibt eine Reminiszenz an jedes erdenkliche Klischee – und zwar frisch, neu und völlig klischeefrei. Ob das nun tanzbare Rocker sind („As The Horned One Stabs“, „Black Nightshade“) oder Midtemposongs wie „By The End Of The Shore“ oder „Clans of Darkness and Smoke“, die zum mit geschlossenen Augen mitschwelgen einladen – ja, man sieht förmlich vor Augen die sich wiegenden Bewegungen der schwarzgekleideten Meute; lasziv wie die, die Salma Hayek bei „From Dusk Till Dawn“ perfektioniert hat.

Dann gibt es mit „Guns And Pills“ eine obskure Ballade, die einem bei jedem Hören die Schauer über den Rücken jagt – und bei den Lyrics rätseln lässt, wer denn wie und warum und durch wessen Hand stirbt. Ohnehin sind die Texte schön obskur, düster und apokalytisch, ohne dass sich einem sofort erschließt, was die Band einem sagen möchte .

„Die By My Hand“ ist das Gothic-Album, auf das die schwarze Welt gewartet hat. Mitreißend, spannend, niemals repetitiv. Ein Klassiker von der ersten bis zur letzten Sekunde und in Zukunft Referenzwerk. 27. Januar und der Titel „Album des Jahres“ ist erstmal vergeben.

 

https://dieoberherren.bandcamp.com/album/die-by-my-hand

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