West Side Horizons
Powerviolence? Was ist denn das jetzt schon wieder? Eine der superschnellen Spielarten des Punkrocks, im speziellen des Crustpunks und besitzt eine familiäre Nähe zum Thrash- und Fastcore, hat aber wenig mit Grindcore gemeinsam. So, jetzt wissen wir Bescheid. Eine der Vorzeige-Kapellen dieser Spielart sind die kalifornischen Despise You, die aus der Hochzeit des Subgenres in den 90er Jahren des vergangenen Millenniums – Spazz und Capitalist Casualities seien in dieser Stellen als weitere Eckpfeiler erwähnt – noch dabei sind. Auch bei Despise You gilt eine Split-Single mehr als ein vollständiges Album, weil allein der DIY-Gedanke, die Authentizität zählt. Mit „West Side Horizons“ lassen Tankcrimes den endlosen Kult um die Compilation von 1999 wieder aufleben, denn ein gutes Dutzend Mal ist diese bereits in allen möglichen Formaten wieder aufgelegt worden.
„West Side Horizons“ beheimatet inzwischen satte 62 Songs – darunter 16 bisher unveröffentlichte Kracher – in 45 Minuten, was rein mathematisch eine durchschnittliche Song-Dauer von 45 Sekunden pro Song bedeutet. Die Stücke pendeln aber zwischen 12 und 135 Sekunden, zwischen wilden Wuteruptionen und düster dahin kriechenden Depressionen. Wie typisch für Powerviolence-Granaten wechseln sich Blast-parts und kurze Midtempo-Bremsen abrupt miteinander ab. Intro, Übergänge, Samples oder längere Instrumentalpassagen überlassen sie gerne den Kollegen im metallischen Grindcore-Zunft. Alles wirkt sehr spontan. Allein die Wut und die Energie zählen.
California Powerviolence Massacre
Doch Despise You können auch kompromisslos geradeaus knüppeln. Markant ist auch das wütenden Gebrüll, das hin und wieder von weiblichen Gekreische des Feldes verwiesen wird. Kettensägen-Gitarren, hölzerne Drums und Staubsauger-Bass gehören selbstverständlich zur Ausstattung jeder Krach-Kombo des Genres, die etwas auf sich hält. Nur schaffen es Despise You, einem die Versatzstücke durchaus abwechslungsreich und mit größtmöglicher Wucht um die Ohren zu hauen. Sie malträtieren sogar Klassiker von Circle Jerks, Dirty Rotten Imbeciles (aka D.R.I.) und Possessed auf ihre eigene Art und Weise. Ihr Hauptthema ist in den meisten Fällen die kritische, soziale Situation in den kalifornischen Metropolen mit ihrer ausufernden Waffengewalt, ungebremsten Drogenmissbrauch, wachsender Obdachlosigkeit, illegale Einwanderung und dem stetigen sozialen Abstieg der Mittelschicht, sprich ein Land am Abgrund zum failed state.
Also, ihr Grinder, Crusties und Hardcorer: Falls ihr noch eine Antriebsquelle braucht und in den letzten 22 Jahren Despise You übersehen habt, dann ist jetzt Zeit, dies nachzuholen. „West Side Horizons“ bietet den perfekten Einstieg in dieses punkige DIY-Subgenre. Hier stimmt das Engagement, die Message und die Attitüde auf jeden Fall noch.