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Mutant

Die Feuerprobe der ersten eigenen LP, der ersten One-Man-Show liegt mittlerweile ein Jahr zurück. Über die gedeihlichen Kollaborationen mit FKA twigs, Kanye West und Björk muss gar nicht erst ein Wort verloren werden. Seit den lautstarken Einschlägen der personifizierten Zukunft wuchs Arcas Mut, seine Persönlichkeit auch optisch nach außen zu kehren. Schrille Posen in noch schrillerem Geschirr – denn als kaum etwas Anderes lassen sich die Kleidungsstücke Alejandro Ghersis beschreiben – und kryptisch-provokative Visual-Botschaften belegen das. Es wäre schade gewesen, hätte der Venezolaner das Ausloten seiner bislang noch außer Sichtweite gelegenen Grenzen nicht auch im Feld der Musik weiter vorangetrieben.

Doch Arca enttäuscht nicht. Weder er noch sein kongenialer Partner Jesse Kanda, der sich für diesen mit Spannung erwarteten neuen Release einmal mehr als visueller Sidekick verdingt. Einen Mutanten hat er schaffen dürfen, eine Art dümmlich dreinschauendes, rotes Knetwesen, aus dessen Schädel sich riesige schwarze Hörner ergießen. Ja, ergießen. Wachsen war gestern; der Tumor von heute ist flüssig und kommt überall hin. Bei aller Groteskheit des Anblicks: Mit dieser doch recht griffigen Beschreibbarkeit bleibt Mr. Play-Doh weit hinter den Tracks zurück, für die er Pate steht. Denn ein Album mit dem Titel ‚Mutant‘ darf zunächst einmal: alles. Stauchen, strecken, aufblasen, zerknittern und zerstören – dabei stehts einem bösartig unvorhersehbaren Masterplan folgend.

Während ‚Xen‘ noch einiges an Eitelkeit erkennen ließ, unterwirft sich ‚Mutant‘ in weiten Teilen der unkontrollierten Wucherung. Eine Wonne nicht nur für Freunde der elektronischen Avantgarde, wie Arca hier die Klangquellen bis zur Unkenntlichkeit verschleiert und den Begriff des Hörvergnügens völlig neuen Ufern entgegentreiben lässt. Harmonie und Rhythmus zerknautscht er wie ein wütendes Kind das ungeliebte Spielzeug; sehr vereinzelte, heillos zerfetzte Voice-Samples tragen zur Schau, wie wenig Macht der Mensch – oder überhaupt komplexere Organismen – in diesem Kosmos hat. Nein, dieses Album ist nicht für Hörer geschaffen worden, sondern aus Liebe zum schlicht unendlichen Potential des Unvollkommenen. Als dystopischer Gegenentwurf zu … nun ja … allem, vielleicht?

Arcas Zweitling ist eine Reise tief in die Gedärme des Klangs. Dort ist es bisweilen auch dumpf und duster, sind die Texturen rau und hängen Melodie und Takt vom Zufall ab. Weniger Politur, mehr Impro-Unrat. Fast dreckiger Industrial, wären da nicht immer wieder diese abwartenden Schwebezustände zwischen den lodernden Herden des Unorthodoxen. Die Etappen sind kurz und ruckartig; die durchschnittliche Träcklänge übersteigt die Drei-Minuten-Grenze nicht. Es könnten akustische Unterlegmatten sein für das große Umkrempeln der Kunst oder schlicht Treibstoff für das Kopfkino deines Lebens. Im zehnten von insgesamt zwanzig Waschgängen passiert dann so ungefähr das, was man sich akustisch unter einer Vollverstrahlung vorstellt. Die Uhr tickt runter; der Biorhythmus findet seinen missratenen Meister in diesem Album. Arca ist erfreulicherweise immer weniger heilig. Wem das nicht passt, der kann ja weiter die Kalkbrenners hören gehen.

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