Kategorie: reviewcompilation

Essential Albums Collection Vol. 1

Ein ziemlich knorkes Teil für Vinylsammler ist „The Essential Album Collection, Vol. 1“, eine Sammlung klassischer Alben der deutschen Experimental-Band Popol Vuh. Auf sechs LPs finden sich fünf Studioalben der Band, die allerdings nicht chronologisch aufeinander folgen: „Affenstunde“ ist das Debüt von 1970, „Hosianna Mantra“ (1972) das dritte und „Einsjäger und Siebenjäger“ (1974) das fünfte Studioalbum der Band. Dazu gibt’s die Soundtracks zu den Werner-Herzog-Filmen „Aguirre“ (1975) und „Nosferatu“ (1979), letzteres in seiner vollständigen Fassung und konsequenterweise verteilt auf zwei LPs.

Nun muss man sich nicht wundern, wenn man von Popol Vuh bislang nur den Namen kennt. Der wird nämlich gerne von Künstlern wie Steven Wilson, Mikael Akerfeldt oder Mike Oldfield beschwärmt. Akerfeldt nutzt beispielsweise Through Pain To Heaven‘ vom „Nosferatu“-Soundtrack seit jeher als Intromusik für Opeth-Konzerte, und Oldfield hat immer freimütig zugegeben, dass die Band um Florian Fricke einen großen Einfluss auf seine Frühwerke ausgeübt und ihre Musik ihn darin bestärkt hat, sich von den Pop-/Rock-Konventionen zu lösen. Schön, aber wie klingen Popol Vuh denn nun?

„Meditativ“, „hypnotisch“,
„spirituell“ – das sind die Worte, die meist zum Thema fallen.
Nun, das mag sein, aber rein musikalisch gesehen können diese
Aussagen alles Mögliche bedeuten. Also fangen wir doch einfach bei
den in der Box enthaltenen Scheiben an. Das erste Album „Affenstunde“
wurde von Fricke größtenteils mit dem Moog-Synthesizer eingespielt.
Die entspannten Synthie-Klangflächen erinnern ganz klar an die
„Zeit“-Phase von Tangerine Dream – auch hier gibt es nur
Atmosphäre, aber keine wirklichen melodischen oder rhythmischen
Strukturen, die an konventionellen Pop oder Rock erinnern, dafür
tauchen ein paar ebenfalls eher offen
strukturierteWorld-Music-Percussions auf. Kurz gesagt, „Affenstunde“
enthält über weite Strecken das, was in den Achtzigern als
„Ambient“ bekannt wurde, gemischt mit dem, was Hipster seit ein
paar Jahren unter dem Namen „Drone“ als neu verkaufen. Somit
sollte klar sein, dass das Album etwas für den „besonderen
Geschmack“ ist. Hört man darauf das nur zwei Jahre später
entstandene Drittwerk „Hosianna Mantra“, kann man kaum glauben,
dass es sich dabei um die gleiche Band handelt: statt kosmischer
Klangebenen gibt es nun Akustik- und E-Gitarren sowie Folk- und
Progressive-Rock-Einflüsse. Der Synthesizer ist zwar immer noch
stilprägend, passt sich aber in das organische Klangbild ein.
Speziell Conny Veits Gitarren verraten, warum Mike Oldfield Popol Vuh
als Inspiration nennt: bei vielen „Songs“ fällt es schwer, nicht
an „Hergest Ridge“ und „Ommadawn“ zu denken. Auch das Format,
auf einer Albumseite eine lange, ausufernde Komposition und auf der
anderen kürzere, prägnantere Stücke zu präsentieren, hat Oldfield
mit Sicherheit Dank der Mitwirkung der koreanischen Sopranistin Djong
Yun gibt es auch erstmals Gesang auf einem Popol Vuh-Album zu hören,
wenn auch freilich weiterhin nicht im traditionellen Pop-Sinn. Djong
Yun war auch zum fünften Album „Einsjäger und Siebenjäger“
noch mit an Bord, Conny Veith wurde hingegen von Daniel Fichelscher
ersetzt. Der hatte zuvor bereits geholfen, Amon Düül II in eine
melodischere und songorientiertere Richtung zu lenken und sollte bis
Anfang der 1990er Jahre als einziges permanentes Mitglied an Frickes
Seite bleiben. Mit seinen vom Rock, Klassik und (damals) modernem
Jazz beeinflussten Harmonien prägte er den „typischen“ Popol
Vuh-Sound in den Folgejahren fast genauso stark wie der Bandboss.
Auch dieses Album dürfte speziell Oldfield-Fans gut beigehen, Popol
Vuh zeigten sich im Vergleich zu den Frühwerken deutlich melodischer
und zugänglicher.

Die Alben „Aguirre“ und vor allem
„Nosferatu“ gehören zu den bekanntesten Werken der Band.
„Aguirre“ erschein erst 1975, drei Jahre nach dem Film, enthielt
aber auch eigentlich nur zwei der für den Film komponierten Stücke
(‚Aguirre I‘ und ‚Aguirre II‘). Der Rest war in den Jahren
1972 bis 1974 entstanden und hatte auf den bisherigen Alben keinen
Platz mehr gefunden, ‚Morgengruss II‘ und ‚Agnus Dei‘ waren
in anderen Takes bereits auf „Einsjäger und Siebenjäger“
enthalten. Deshalb zeigt sich das Album auch stilistisch etwas
uneinheitlich. Genau deshalb kann „Aguirre“ aber auch als guter
Einstieg ins Universum der Band dienen. „Nosferatu“ enthält in
dieser Version das komplette für den Film verwendete Material, das
ursprünglich auf die Alben „Brüder des Schattens – Söhne des
Lichts“ und eben „Nosferatu“ verwendet wurde. Der Titelsong von
„Brüder des Schattens“ wurde allerdings auf einen knapp
sechsminütigen Auszug komprimiert. Das „Nosferatu“-Album zeigt
sich phasenweise dem Thema des Filmes entsprechend als ungewohnt
düster und bisweilen reichlich bedrohlich, aber immer im Wechsel mit
den typisch positiven Popol Vuh-Harmonien. Kein Wunder, dass
Akerfeldt hiervon so begeistert war, eine ähnliche Stimmung findet
sich auch auf „Storm Corrosion“ und „Heritage“.

Als Musikfan hat man also die Auswahl zwischen der Vinyl-Box oder den Einzel-CDs. Alle Formate enthalten Bonus-Tracks und Liner Notes – etwas enttäuschend nur, dass die Liner-Notes bei allen CDs identisch sind, genauere Infos zu Besetzung oder Entstehung der Alben gibt’s also nicht. Dafür eine Kurzbiografie und Würdigungen der Band von Kollegen. Egal in welchem Format – für aufgeschlossene Prog-Fans und Freunde unkommerzieller Musik sind Popol Vuh in jedem Fall eine Entdeckung wert.

The Classic Years Trilogy (Vinyl-Boxset)

In den späten Siebzigern kam hierzulande kein Progressive-Rock-Fan an Eloy vorbei. Ob man die Band mochte oder nicht, dank ihres enormen kommerziellen Erfolges hatte aber jeder Interessierte eine Meinung zur Band. Speziell auch, weil Eloys Erfolg sich gerade dann einstellte, als die ursprüngliche Progblase entweder auflöste (King Crimson, Van Der Graaf Generator, ELP) oder sich in Richtung poppiger und kürzerer Songs orientierten (Genesis, Yes) – es ist somit anzunehmen, dass Eloy für viele Progfans, die mit Punk und New Wave nichts anzufangen wussten, die Retter des Tages waren. Heutzutage sind Eloy aber leider unter Proggern ziemlich vergessen. Zugegeben, sowohl die gerne spöttische Kritik an der Band als auch die teils eher halbgaren Alben, die Bandboss Frank Bornemann seit Mitte der 1980er unter dem Eloy-Banner veröffentlicht hat, waren nicht angetan, Neufans für die Band zu rekrutieren.

Das vorliegende Boxset „The
Classic Years Trilogy“ kommt für Eloy-Neulinge also sehr
gelegen. Es enthält nämlich mit „Dawn“, „Ocean“
und „Silent Cries And Mighty Echoes“ genau die drei
Eloy-Studioalben, auf die sich auch die der Band eher kritisch
gegenüberstehenden Hörer einigen können. Die drei Alben entstanden
in der Besetzung Frank Bornemann (v., gtr), Klaus Peter Matziol (bs),
Detlev Schmitdchen (keys) und Jürgen Rosenthal (dr) – genau das
Line-Up, das generell als beste Inkarnation der Band gilt. Die Alben
sind in der Box sowohl auf Vinyl als auch auf CD enthalten,
Grobschnitt-Guru Eroc hat das Material neu remastert, und die
Pressqualität ist absolut untadelig ausgefallen. Gefütterte
Innersleeves, und auch die Artworks (allesamt Gatefolds) wurden
wunderbar mit Texten und Fotos aufbereitet. Die CDs kommen in einem
weiteren, LP-großen Gatefold-Cover, das noch dazu ein paar knappe
Kommentare zu den Alben enthält. Bonus-Tracks sucht man leider
vergeblich, auch die beiden Zugaben zur Remaster-Version von „Silent
Cries And Mighty Echoes“ wurden für diese Auflage wieder
gestrichen. Für den doch relativ hohen Preis der Box hätte man auch
gerne noch ein ausführlicheres Booklet beilegen können. Oder der
Vollständigkeit halber noch das in der gleichen Besetzung
entstandene und absolut essenzielle 1978er „Live“-Doppelalbum
hinzupacken – damit hätte man wirklich die komplette Rosenthal-Ära
der Band in einem Set abgedeckt.

Musikalisch sollten sich von der Box all die angesprochen fühlen, die sowohl bombastischen Symphonic-Prog als auch leicht psychedelische Frühsiebziger-Floyd-Klänge mögen und die Sympathie für Spacerock mitbringen, denen Hawkwind und Konsorten aber zu dreckig klingen. Die Songstrukturen von Eloy sind relativ straight ausgefallen, komplexe Klanggebilde wie von King Crimson oder Yes sollte hier niemand erwarten. Dafür gibt’s breite, mystisch klingende Synthieflächen mit New-Age-Flair, ausladende Gitarrensoli und immer wieder für den damaligen Prog unerwartet Hardrock-lastige Abschnitte. Eloy waren auch im UK sehr erfolgreich, und so kann die hier verewigte Trilogie auch als starker Impulsgeber für die wenige Jahre später startende Neoprog-Bewegung gelten. Speziell die frühen Twelfth Night („Live At The Target“-Ära) klangen schon mehr als nur ein wenig nach Eloy, und auch auf den frühen Marillion- und IQ-Werken finden sich viele ähnliche Stilmittel. Was immer wieder schwer kritisiert wird, ist der Gesang von Frank Bornemann – oder vielmehr, dessen Umgang mit der englischen Sprache. In der Tat kann man das fast nicht mehr als Akzent bezeichnen – ein Freund aus England behauptete einmal, Bornemann singe nicht Englisch, sondern Deutsch mit lauter Worten, die es in der deutschen Sprache nicht gibt. Man sollte sich also schon einmal eine Hörprobe gönnen, bevor man das Boxset in den Warenkorb legt, der Gesang ist eben für Viele ein Knackpunkt bei Eloy.

Hat man damit – wie der Rezensent – keine Probleme, wird man hier aber definitiv drei echte Schätzchen der progressiven Rockmusik finden. Klar, Eloy spielten nicht wirklich in der gleichen Liga wie Pink Floyd, Genesis oder Yes, aber das machten viele andere, heute trotzdem kultig verehrte Siebziger-Bands (und 99% ihrer Nachfolger) auch nicht. Tolle Musik gibt’s hier dennoch. „Dawn“ ist dabei das kantigste und spacigste der drei Alben, hier gibt es noch jede Menge harte Gitarren und viel Schweineorgel – leider aber auch etwas schmalzige Streicherarrangements, die das Ganze gefährlich nah an die Grenze zum Kitsch ziehen. Wer aber vor Dur-lastigem Schönklang Angst hat, ist bei Eloy eh‘ am falschen Platz. Das erfolgeichste Album der Band, „Ocean“, ist ohne Frage auch der Höhepunkt der Band-Discografie. Die vier Songs des Albums zeigen den Bandsound in Perfektion, die Mixtur aus hartem Rock, Space-Feeling und Bombastkeule sollte nie mehr so überzeugend gelingen wie auf speziell ‚Poseidon’s Creation‘ und ‚Atlantis Agony‘. Auch nicht auf dem ebenfalls sehr starken dritten Album der Box, „Silent Cries And Mighty Echoes“, das sich eventuell ein büssken zu stark an Pink Floyd anlehnte – so ist es schwer, in den ersten Minuten (‚Astral Entrance‘) nicht an ‚Shine On You Crazy Diamond‘ zu denken, und das Finale von ‚Apocalypse‘ kupfert kräftig bei ‚The Great Gig In The Sky‘ ab. Dafür klingt ‚Pilot To Paradise‘ mit seinem treibenden Groove wie die Blaupause für die legendären „Die Drei ???“-Soundtracks und sammelt alleine damit schon wieder Sympathiepunkte. Kurz, jeder, der sich für deutsche Prog-Klänge interessiert, muss diese drei Alben einfach kennen – und auch im internationalen Vergleich haben Eloy hier dreimal ins Schwarze getroffen.

Prog-affine Vinylsammler können sich
das Boxset also bedenkenlos ins Regal stellen. Wem allerdings eine
CD-Fassung ausreicht, der kann sich die drei Alben nach wie vor bei
den „üblichen Verdächtigen“ in den Remaster-Fassungen von
2005 für jeweils ’nen Fünfer abgreifen. Se Tschoiss iss juhrs, wie
Frank Bornemann sagen würde. Haben sollte man die drei Scheiben als
Genrefan aber auf jeden Fall, so oder so.

Out Of The Blue

Das neue Mike & The Mechanics-Album „Out Of The Blue“ ist eigentlich gar kein richtig neues Album, obwohl alle Songs 2019 erst eingespielt wurden. Die Scheibe enthält nämlich neben drei brandneuen Songs ausschließlich Neueinspielungen ältere Hits, sowohl in kompletter Bandbesetzung als auch reduziert in Akustikversionen.

Die drei neuen Songs ‚One Way‘, ‚Out Of The Blue‘ und ‚What Would You Do‘ werden alle von zeitgenössischen, gemäßigten elektronischen Rhythmen im Stil des unterschätzten „Rewired“-Albums dominiert und bieten handwerklich soliden, radiotauglichen und kantenfreien Erwachsenen-Pop, der fraglos auch neben aktuellen Ed Sheeran-Produktion bestehen kann. Im Direktvergleich mit den Klassikern könne sie allerdings leider nur bedingt mithalten – speziell das R’n’B-lastige ‚What Would You Do‘ klingt trotz gewohnt tollem Gesang von Andrew Roachford einfach etwas beliebig. Auch die „elektrischen“ Neueinspielungen dürften für Fans von Mike Rutherford und Konsorten nicht unbedingt ein allzu großer Kaufanreiz sein, wurden hier doch die Originalfassungen ziemlich exakt und Ton für Ton kopiert. Lediglich ‚The Living Years‘ bekommt ein souliges Intro mit Sam-Cooke-Flair verpasst, ansonsten bieten die Remakes nichts Neues oder Überraschendes. Da die neuen Versionen sich also außer im Gesang nicht großartig von den Originalen unterscheiden und den exzellent produzierten Urfassungen dank der vorherrschenden Sterilität auch soundtechnisch unterlegen sind, macht sich schnell etwas Enttäuschung breit. Als Liveaufnahme hätte das Ganze möglicherweise durchs Performance-Flair ein Gewinner werden können, so muss man aber die Frage stellen, ob man das wirklich haben muss, gerade weil sich von den acht Neueinspielungen auch noch vier mit den Akustikversionen überschneiden und es ja auch eine Handvoll Best-Of-Scheiben mit den Originalen gibt.

Die reduzierten Akustikversionen sind
es aber, die „Out Of The Blue“ dennoch empfehlenswert
machen – die sind nämlich durchweg ziemlich klasse ausgefallen.
Gerade die vom letzten Album „Let Me Fly“ stammenden ‚Don’t
Know What Came Over Me‘ und ‚The Best Is Yet To Come‘ klingen in
ihren reduzierten Versionen nochmal mitreißender als in ihren
Originalfassungen. Gerade die Sänger Tim Howar und Andrew Roachford
können bei den Akustikversionen ihre Klasse voll ausspielen. Wobei
„Akustikversion“ relativ weit gefasst wird, denn bei ‚The
Living Years‘ ist auch ein traditioneller Synthie-Flächensound zu
hören, und ‚Another Cup Of Coffee‘ kommt komplett mit
Steely-Dan-Gedächtnis-E-Piano. Obersympathisch auch, dass bei ‚Over
My Shoulder‘ das berühmt-berüchtigte Pfeif-Solo ein wenig schief
klingt – wo man bei Mike & The Mechanics schon seit jeher
größtmögliche Sauberkeit gewohnt ist, kommt so eine Imperfektion
absolut willkommen und erfreulich menschlich.

„Out Of The Blue“ bestätigt insgesamt einmal mehr das große Problem des Mike Rutherford: er will’s halt immer möglichst jedem Recht machen und bei niemandem anecken. Ein komplettes Akustikalbum mit den drei neuen Songs wäre für alle Mike & The Mechanics-Fans ein Pflichtkauf gewesen – der Backkatalog hätte mit Sicherheit noch einiges an Material für die Akustikbearbeitung hergegeben. So gibt’s für die neuen Songs ne 3, die Neueinspielungen ne 3- und die Akustiksongs ne 2 – macht mit Genesis-Bonus ’ne 3+ in der Gesamtwertung.

The Best Of Everything 1976-2016

So richtig hat Tom Petty den Megastar-Status hierzulande nie erreicht. Außer den Hitsingles der Jeff Lynne-Phase blieb Petty in Deutschland immer ein wenig der Underdog: heiß geliebt von den Fans, aber von der Masse oft als „ein wenig sonderlich“ abgetan. Dabei hat er es den Fans eigentlich nie so schwer gemacht wie ein Bruce Springsteen, der immer wieder mit kargen, rudimentären Akustikalben polarisierte – und erst recht nicht so schwer wie die Väter aller Musik-Trolls, Neil Young und Bob Dylan.

Wie durchweg hochwertig der Petty-Katalog ist, kann man nun auf dem Doppelalbum „The Best Of Everything 1976-2016″ nachhören. Auf zwei CDs gibt es eine fast komplette Werkschau, mit den Heartbreakers, solo oder mit Mudcrutch – nur die Traveling Wilburys mussten, vermutlich wegen der bekannten lizenzrechtlichen Probleme mit dem Material der Allstar-Band, außen vor bleiben. Das ist aber das Einzige, was man hier bekritteln kann. Mit Schwerpunkt auf den Singles gibt es nämlich zweieinhalb Stunden lang allerfeinsten US-Rock ohne einen einzigen Durchhänger. Ob Hits wie ‚Learning To Fly‘, ‚Free Fallin“ und ‚Into The Great Wide Open‘ (nein, das singt nicht Johnny Depp!) oder zu Unrecht hierzulande von Radio und Mainstream-Hörern übersehene Geniestreiche wie ‚Walls‘ (mit adäquat kauzigen Backings von Lindsey Buckingham), ‚The Waiting‘, ‚Southern Accents‘ oder ‚Here Comes My Girl‘ – Petty war ohne Frage einer der größten Songschreiber der Rockgeschichte, und hier gibt’s quasi das „Muss-man-kennen“ auf einem Album. Natürlich, Raritäten-Freaks und langjährige Fans, die den kompletten Backkatalog bereits besitzen, werden hier kaum fündig, eine längere Version von ‚The Best Of Everything‘ und das unveröffentlichte 200er Outtake ‚For Real‘ bleiben die einzigen Unveröffentlichten. Für die Jäger-und-Sammler-Fraktion gab’s ja aber vor Kurzem erst das „An American Treasure“-Boxset, hier geht’s um was Anderes: ein perfektes Autofahr-Album, das als Einstieg für jeden Petty-Neuling kaum zu schlagen ist. Vom Byrds-beeinflussten Jangle-Pop, der zu Pettys Markenzeichen wurde, dem Country-Rock von Mudcrutch, ein paar relativ rüden Rhythm&Blues-Abfahrten im Animals-Stil wie ‚American Dream Plan B‘ bis zu herzergreifenden Balladen wie dem Titeltrack oder ‚Insider‘, dem Stevie Nicks-Duett ‚Stop Dragging My Heart Around‘, dazu noch leicht Abseitigeres wie das psychedelisch beeinflusste ‚Don’t Come Around Here No More‘ – für Abwechslung ist gesorgt, dank des jederzeit erkennbaren roten Faden, der Pettys Karriere durchzog, wird die Bandbreite des Musikers wunderbar greifbar.

Abgerundet wird das Album von einem ausführlichen Essay aus der Feder von Cameron Crowe, dem Regisseur von „Almost Famous“ und „Vanilla Sky“, das zwar langjährigen Fans auch nichts Neues bietet, die Karriere des Musikers und seine Arbeitsweise aber höchst unterhaltsam und kompakt zusammenfasst. Unterm Strich also schlicht eine perfekte Einsteigerdroge ins Pettysche Gesamtwerk, die die „Greatest Hits“ von 1993 und „Anthology“ von 2000 aufgrund ihrer labelübergreifenden Zusammenstellung mit sofortiger Wirkung ablöst. Für all die, die sich schon länger mal was von Petty kaufen wollten: ja, hier ist wirklich alles so gut wie ‚Free Fallin“. Nicht nachdenken, kaufen!

The Beatles (Deluxe Edition)

Mit dem letztjährigen Remix des „Sgt. Pepper“-Albums setzte Giles Martin den neuen Standard für qualitative Aufbereitung klassischer Alben. Ohne das originale Klangbild zu verfälschen wurden die Original-Spuren entstaubt und so plötzlich Details hörbar, die vorher maximal zu erahnen waren. Für (harte) Fans hochinteressante, ebenfalls exzellent klingende Session-Outtakes und jede Menge Infomaterial machten die Deluxe-Variante von „Sgt. Pepper“ zum Rundum-Glücklich-Paket.

Nun also setzte Martin am umstrittenen „White Album“ an. Auch hier wurde das komplette Originalalbum komplett neu abgemischt und jede Menge Outtakes versammelt. Leider – soviel vorweg – hat Martin sich beim Remix diesmal ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt. Das originale Album war soundtechnisch eine bewusst kantige, bombastfreie Zone, die Antithesis zum bunt überladenen „Sgt. Pepper“, abgerundet vom schlichten weißen Cover mit nichts als dem Bandnamen als Relief. Und vor allem war das „Weiße Album“ über weite Strecken ein Gitarrenalbum. Ob krachende E-Gitarren in den zahlreichen hart rockenden Stücken oder zerbrechliche Akustik-Balladen und natürlich McCartneys scheißhausmauernfetter Basssound, die Beatles nutzten die elektronischen Effekte und Orchestermusiker nur noch als Farbtupfer, die vier Musiker standen ganz klar im Vordergrund, mit viel Raum für die Entfaltung des Einzelnen. Der Remix hingegen schiebt die Gitarren ein gutes Stück in den Hintergrund und bringt eben jene Farbtupfer nach vorne. Kann man machen, aber dann muss man damit leben, das Songs wie ‚Everybody’s Got Something To Hide Except Me And My Monkey‘; ‚Yer Blues‘, ‚Birthday‘, ‚Why Don’t We Do It In The Road‘, ‚While My Guitar Gently Weeps‘, ‚Happiness Is A Warm Gun‘ und natürlich der glorreiche Terror von ‚Helter Skelter‘ im Vergleich zu den Originalen zwar sauberer und HiFi-kompatibler klingen, aber auch eher blass und ein wenig lascher klingen. Bei den poppigen Songs wie ‚Ob-La-Di, Ob-La-Da‘ oder ‚Don’t Pass Me By‘ passt der durchsichtigere Klang ganz großartig, ebenso bei den Akustiksongs: ‚Blackbird‘, ‚Piggies‘ und ‚Julia‘ sind regelrechte Offenbarungen. Selbst die berüchtigte musique concrete- Collage ‚Revolution 9‘ klingt aufgeräumter – wenn auch 2018 immer noch kein Stück verständlicher. Somit ist der Remix des Albums eher als Alternative denn als Überholung des Originals zu sehen.

Warum das Teil aber mindestens in der Drei-CD-Version in jede Beatles-Sammlung gehört, sind die auf CD 3 versammelten „Esher-Demos“. Muffelige Mono-Versionen derselben gehören seit Ewigkeiten zur Grundausstattung eines jeden Fab-Four-Bootleg-Sammlers. Wieso? Nun, weil man bei den Aufnahmen die Herrschaften dabei belauschen kann, wie sie sich in hörbar bester Laune in George Harrisons Wohnzimmer in Esher mit Akustikgitarren, von Ringo mit Tambourin und Händeklatschen begleitet, gegenseitig ihre neuen Songs vorstellen. So nah und ungeschminkt kommt man der Magie der Band nie wieder. Wenn die Band beispielsweise bei Johns unterschätztem Geniestreich ‚I’m So Tired‘ gegen Ende endlich die „richtige“ Background-Harmonie entdeckt, sieht man Lennon, McCartney, Harrison und Starr förmlich mit fettem Grinsen ob der gerade umgreifenden Inspiration vor sich. Umso feiner, dass die 27 Aufnahmen klangtechnisch nicht nur den Bootleg-Fassungen weit überlegen sind, sondern auch den in den 1990ern auf der „Anthology“-Reihe veröffentlichten Auszügen. Sieben Songs landeten übrigens dann doch nicht auf „The Beatles“ (der eigentliche Titel des Albums). Harrisons ‚Not Guilty‘ kommt in seiner jazzigen Urfassung der 1978 solo veröffentlichten Version weit näher als die rockige Outtake-Version der Beatles (auf der Super-Deluxe-Edition übrigens endlich ungekürzt), ‚Child Of Nature‘ ist Johns ‚Jealous Guy‘ mit anderem Text, und ‚Polythene Pam‘ sollte wie ‚Mean Mr. Mustard‘ im Folgejahr für die ‚Abbey Road Suite‘ assimiliert werden.

Noch mehr Outtakes bietet die Deluxe-Box – genauer gesagt, satte drei CDs voll davon. Darunter neben diversen Alternativtakes der Albumsongs auch Fragmente und Sessiontakes der ebenfalls während der Aufnahmen zu „The Beatles“ entstandenen ‚Lady Madonna‘, ‚Hey Jude‘, ‚Across The Universe‘ – und eine höchst schräge psychedelische Jam über ‚Let It Be‘. Obskures wie die ‚Los Paranoias‘-Jam mit völlig durchgeknalltem Scat-Gesang und eine bluesig-schleppende Dreizehn-Minuten-Version von ‚Helter Skelter‘ mit E-Piano widerlegen gemeinsam mit den zwischen den Songs enthaltenen Gesprächsfetzen auch die Theorie, die vier Beatles hätten sich zu „White Album“-Zeiten bereits abgrundtief gehasst. Rückblickend ist es wohl eher so, dass die Band bewusst mit „The Beatles“ jedem Bandmitglied maximalen Freiraum zur eigenen Entfaltung eingeräumt hatte und somit den Grundstein zu ähnlichen Projekten wie Pink Floyds „Ummagumma“, Fleetwood Macs „Tusk“, Yes‘ „Fragile“oder, ähem, den 1978er Kiss-Soloalben gelegt hatte. Die Konsequenz war indes die Gleiche: die vier fanden Spaß daran, ohne den Input der Restband zu arbeiten und nach nur zwei weiteren Alben war letztendlich Schluß mit den Beatles.

Auch die Neuversion von „The Beatles“ ist also eine echte Schatztruhe für Fans der Band, die stundenlanges Erforschen belohnt. Gerade wegen des doch deutlich anders und eigenständigeren aufgezäumten Remixes hätte man aber diesmal vielleicht einfach der Vollständigkeit halber einfach den Original-Stereomix auch noch in die Box packen können – auf der BluRay gibt’s immerhin den Mono-Mix als Bonus. Wirklich kostengünstig ist die Super-Deluxe-Box mit knapp 135€ nämlich nicht unbedingt, da hätten zwei weitere Silberlinge bestimmt den Gewinn nicht sonderlich beschnitten. Für weniger betuchte Fans sollte aber zumindest wegen der „Esher-Demos“ die Drei-Disc-Variante auf den Einkaufszettel kommen. Die ist mit 20 bis 25€ auch deutlich verträglicher bepreist.

Loud & Proud

Über Sinn und Unsinn des „Deluxe Box Set“ kann man vortrefflich streiten. Wo die Einen bemängeln, dass dem Fan oftmals für bereits bekanntes oder ursprünglich als nicht albumtauglich abgelehntes Material eine ganze Menge Geld abgenommen wird, argumentieren die Anderen, dass es sich hierbei um zeitgeschichtliche Dokumente handelt, die besagtem Fan oftmals erst so richtig den Zugang zur Materie erlauben.
Über was man hingegen nicht streiten kann ist, das die schottischen Hardrocker Nazareth sich bei ihrem aktuellen Box Set „Loud & Proud“ (nicht mit dem fast gleichnamigen Studioalbum zu verwechseln) richtig tief ins Zeug gelegt. Die Band, die in etwa das fehlende Glied zwischen AC/DC und Led Zeppelin darstellt, hat nämlich zu ihrem fünfzigsten Bandjubiläum ein ziemliches Rundum-Glücklich-Paket zusammengestellt. In der fetten und lobenswert stabilen Box befinden sich nämlich für einen Preis von knapp 130€ so viele Schätze, dass es den Käufer fast erschlägt – das satte fünf Kilogramm (!) schwere Teil darf, soviel vorab, als Mutter aller „career-spanning box sets“ bezeichnet werden.
Fangen wir mit dem Vinyl-Inhalt der Box an. Auf hochwertigen schwarzen 180g-Scheiben finden sich zwei Gatefold-Doppel-LPs mit Aufnahmen der BBC, einmal die Bob Harris-Sessions aus den Jahren 1972 und 1973 und zum Anderen ein 1980er Livekonzert aus dem Hammersmith Odeon. Wie bei BBC-Sessions üblich, ist der Sound exzellent und die Performances sowieso. Dazu gibt’s den ebenfalls bislang auf Vinyl unveröffentlichten Originalmix von „Expect No Mercy“ als Einzel-LP und das „Rampant“-Album als schnieke Picture Disc. Drei exklusive 7“ Singles mit den größten Hits der Band als Doppel-A-Seiten runden den Erdöl-basierten Part der Sammlung ab.
Aber es gibt ja noch eine Menge an netten „Zugaben“. Der metallene Anstecker mit dem Skull’n’Wings-Design des Covers (erstmals zu sehen auf dem „No Mean City“-Cover) ist dabei noch eher verzichtbar, spätestens bei dem im Hardcover gebundenen Buch im 12“-Format geht dem Fan aber das Herz auf. Eine umfassende Bandbiografie, die auch die jüngere History der Band ausführlich abhandelt und jede Menge teilweise unveröffentlichter Fotos aus dem Naz-Archiv versprechen für sich schon einige Stunden Unterhaltung. Dazu gibt’s noch Reprints dreier Tourprogramme (eines davon als Riesenposter ausfaltbar), Nachdrucke der Original-Noten zu ‚Broken Down Angel‘ und ‚Bad Bad Boy‘ und den berühmten „Rampant“-Dollarschein, der dem Original in der Erstpressung beilag.
Den Preis von 129 € wäre „Loud & Proud“ im Vergleich zu Konkurrenzprodukten von, sagen wir, King Crimson oder Pink Floyd schon mit dem Vinyl- und Memorabilia-Anteil wert. Was das Ganze aber zur wirklichen Pflichtveranstaltung macht, ist die Tatsache, dass die Band zusätzlich dazu noch ihre komplette offizielle Discografie von „Nazareth“ (1971) bis „Rock & Roll Telephone“ (2014) auf CD beigelegt hat – 23 Alben plus sechs Bonus-CDs mit Non-Album-Singles, B-Seiten, Soundtracks und komplett Unveröffentlichtem wie Demos, Outtakes und Rough-Mixes. Das bedeutet insgesamt also satte 39 (!) Tonträger plus „Spielsachen“ und setzt in Sachen Value For Money neue Maßstäbe. Bei diesem Preis sieht man auch gerne darüber weg, dass die Covers der „Move Me“- und „Boogaloo“-CDs nicht ganz farbecht geraten sind – das ist auch das Einzige, was man hier mit viel Fantasie kritisieren kann.
Ja, und natürlich ist die Box auch musikalisch ohne Vorbehalt zu empfehlen. Die ersten sechs Alben gehören sowieso in jede ernstzunehmende Hardrocksammlung, finden sich dort doch unter Anderem Klassiker wie ‚This Flight Tonight‘, ‚Hair Of The Dog‘, ‚Not Fakin‘ It‘, ‚Razamanaz‘, ‚Silver Dollar Forger‘, ‚Morning Dew‘, ‚Shanghai’d In Shanghai‘, ‚Broken Down Angel‘ und ‚Beggar’s Day‘. Spätere Alben klangen oft etwas kommerzieller, aber noch lange nicht schlechter: ob auf „Close Enough For Rock’n’Roll“ mit Westcoast-Klängen experimentiert, auf „The Fool Circle“ Reggae-Grooves Einzug hielten oder mit „2XS“ ein lupenreines AOR-Album mit den Hits ‚Dream On‘ und ‚Love Leads To Madness‘ aufgenommen wurde, bis 1982 waren Nazareth schlicht unaufhaltsam. Auch wenn die Alben ab den Mittachtzigern ein wenig zu schwächeln begannen und durchaus so manchen Füller enthielten, warfen auch die immer noch genug feinen Stoff wie ‚Hit The Fan‘ und ‚This Month’s Messiah‘ ab. Mit „Snakes And Ladders“, „No Jive“ und „Move Me“ lieferten Nazareth Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger aber nochmal großartige Spätwerke ab, speziell die Rückkehr zu purem, bluesigem Hardrock auf letzteren beiden Alben verhalf der Band noch einmal zu Hochform. Nach dem guten „Boogaloo“ folgten zwar mit „The Newz“, „Big Dogz“ und „Rock And Roll Telephone“ noch drei weniger essenzielle Alben – die nimmt man aber für diesen Preis natürlich dennoch gerne mit. Die beiden Livescheiben „‚Snaz“ (einer DER Liveklassiker) und „Homecoming“ und die Bonus-Discs (mit Non-Album-Perlen wie ‚Love Hurts‘ oder dem als Demo enthaltenen ABBA-Cover ‚S.O.S.‘) runden die Sache perfekt ab.
Für Fans lohnt sich die Box bereits wegen der unveröffentlichten Vinyl-Scheiben und den CDs mit den Outtakes. Und gerade für die, die bislang vielleicht noch nichts oder nicht viel von Nazareth im Regal stehen haben, sollte diese Investition ebenfalls ein Non-Brainer sein – wann bekommt man schon die komplette Geschichte einer fünfzig Jahre aktiven Band für knapp 130€ zu erstehen? Hoher Nutzwert, hohe Qualität und mit wenigen Ausreißern durchweg klasse Musik – wer als Fan bluesgetränkten Hardrocks hier nicht zuschlägt, ist selbst schuld!

Starlight

Der Gedanke hinter diesem Boxset ist für Melodic-Metal-Fans und Vinyl-Sammler ein absoluter Gewinner. Im Rahmen der großen Backkatalog-Reissue-Serie des Berliner Kultlabels Noise Records hat BMG die frühen Werke der ohne Frage erfolgreichsten Noise-Band Helloween in ein fettes Boxset gepackt – erstmals in farbigem Vinyl, noch dazu. „Starlight“ heißt das Teil und versammelt die selbstbetitelte Debüt-EP, das erste vollständige Album „Walls Of Jericho“, die Maxi-Single „Judas“, beide „Keeper Of The Seven Keys“-Alben und eine überarbeitete Version von „The Best, The Rare And The Rest“ mit allen nicht auf den anderen Scheiben enthaltenen Raritäten.

Musikalisch gibt’s hier keinerlei Ansätze zur Kritik – das hier enthaltene Material gehört in jede ernstzunehmende Metal-Sammlung. Gab’s auf der EP noch qualitativ hochwertigen, aber stilistisch relativ konventionellen Speed Metal, so drehte die Band bereits auf „Walls Of Jericho“ in eine vollkommen eigenständige Richtung ab. Thrashige Riffs, weitestgehend mit durchgetretener Doublebass abgerundet, trafen auf ungewohnt hymnische und höchst eingängige Gesangslinien, die nicht nur an Judas Priest, Iron Maiden und Konsorten erinnerten, sondern auch auch immer wieder Einflüsse von Bands wie Queen, The Beatles oder gar ABBA verrieten. Was dank der raueren Stimme von Originalsänger Kai Hansen auf „Walls Of Jericho“ noch eher unterschwellig stattfand, geriet spätestens mit dem Einstieg des achtzehnjährigen Stimmwunders Michael Kiske zum unverkennbaren Trademark eines enorm einflußreichen eigenen Sounds, der mit „Keeper Of The Seven Keys Part 1“ das etablieren sollte, was später als „europäischer Power Metal“ bekannt wurde. Bombast, Speed, hoher Gesang und die „Kinderlied-Melodien“ trafen das Lebensgefühl einer neuen Generation von Metalfans, für die NWOBHM, US-Glam-Metal und Konsorten bereits „alte“ Musik repräsentierten. Mit dem ein Jahr später veröffentlichten „Part 2“ schafften Helloween sogar den Sprung in die Top 5 der LP-Charts, selbst die Single ‚Dr. Stein‘ konnte sich in die Top Ten setzen. Moderator Viktor Worms hätte laut eigenem Bekunden die Band sogar gerne in der „ZDF Hitparade“ gesehen, die sich unter dessen Einfluss gerade versuchte, vom Schlagerformat in eine ernstzunehmende Popsendung zu wandeln – vergeblich, wie wir heute wissen. Interne Querelen und Scherereien mit Management und Label trieben 1989 Bandmitbegründer, Ursänger, Hauptsongwriter und Gitarrist Kai Hansen zum Ausstieg, etwas, von dem sich Helloween kommerziell gesehen bis zur aktuellen Reunion-Tour nicht mehr erholen sollten. Somit ist hier mit Ausnahme der bei der EMI erschienen und derzeit im Rechte-Nirvana hängenden „Live In The UK“ restlos alles enthalten, was Helloween in der Hansen-Ära veröffentlicht haben.

Die Box selbst im schweren, stabilen Slipcase sieht absolut klasse aus. Der Großteil des Drucks ist matt, der Kürbis, das Bandlogo und die silbernen Sterne sind mit Glanzlack hervorgehoben – das sieht nicht nur fein aus, sondern fühlt sich auch so an. Die Kürbis-Slipmat ist ein netter Bonus für alle Vinylfreunde, liegt gut auf und fusselt nicht – letzteres leider immer noch nicht selbstverständlich. Auch das großformatige Poster kann erfreuen – auch wenn natürlich die Frage bleibt, ob die vermutlich etwas ältere Zielgruppe, die sich das doch recht hochpreisig angesetzte Boxset leisten kann, Verwendung dafür hat. Mit Sicherheit bin ich aber nicht der Einzige, der sich dabei angenehm in die alte „Metal Hammer“-Poster-Zeit zurückversetzt fühlt, und Nostalgie ist bei einem solchen Boxset immer ein großer Faktor. Die LPs sind sauber gepresst, laufen perfekt rund und das farbige Vinyl kommt ohne irgendwelche Einschlüsse – auch da kein Grund zum Gemecker. Lediglich „Walls Of Jericho“ war am Plattenrand nicht sauber entgratet, aber das ist ja relativ schnell selbst zu korrigieren. Die Alben nutzen alle die 2006er Remasters als Vorbilder, die klingen, wie sie nun mal klingen: lauter, aber auch schriller und komprimierter als die Originalscheiben. Persönlich hätte ich da doch gerade auf Vinyl die exzellenten Originalmasters vorgezogen, das bleibt aber letztendlich reine Geschmackssache und ist kein Grund zum Punktabzug.

Ein paar Enttäuschungen hält „Starlight“ aber dennoch bereit. So ist die Bildqualität der einzelnen Albumcovers leider nur mittelmäßig ausgefallen. Die Covers sind etwas rotstichig geraten, was auf der EP früher grün war, ist nun sattes Gelb, von der schattenhaften Monstersammlung im Torbogen der ersten „Keeper“ sind nur noch ein paar Linien im Dunkel zu sehen. Gerade bei den ebenso aufwändigen wie ikonischen Artworks der enthaltenen Scheiben ist dies ein echter Minuspunkt – genauso das Fehlen von bedruckten Innersleeves. Die waren nämlich bei den Originalen genauso liebevoll und originell gestaltet wie die eigentlichen Artworks und enthielten Texte, Fotos, Sleevenotes, eigens gezeichnete Comics – fehlt hier alles. So sind auch nur bei den „Keeper“-Scheiben die im Gatefoldcover abgedruckten Lyrics enthalten, und auf ein Booklet mit Zusatzinfos muss man hier leider ebenfalls verzichten.

Noch schwerer wiegt allerdings, das einige der über die Jahre in verschiedenen Magazinen und unter Fans oft kritisierten Fehler der 2006er Remasters auch für die neuen Vinylscheiben nicht korrigiert wurden. So sind beispielsweise bei der „Judas“-Maxi keinesfalls die beiden nur auf der originalen Vinyl-Maxi erhältlichen Livetracks auf der B-Seite zu finden, die immerhin die einzigen offiziellen Livemitschnitte der Originalbesetzung darstellen. Stattdessen gibt es auch hier die „gefaketen“ Versionen, sprich, die „Walls“-Studio-Takes mit unterlegten Publikumsgeräuschen, die auch auf der 2006er CD verwendet wurden. Wer die echten Livesongs haben will, muss also weiterhin eine gebrauchte „Judas“-Originalpressung ersteigern. Auch die auf der „The Best“ zu findenden Songs vom „Death Metal“-Sampler stammen wieder einmal nicht von den Originalmasters, sondern bieten die selben nur mitteltoll von Vinyl gezogenen Versionen wie die auf den 2006er Remasters. Das ist besonders ärgerlich, weil für den „12 Years In Noise“-Sampler seinerzeit eine glasklare Version von zumindest ‚Oernst Of Life‘ auf CD verwendet wurde.

So sehr es natürlich Sinn macht, die erfolgreichste Phase der Band auf Vinyl neu aufzulegen, „Starlight“ ist leider eher „Twilight“ geworden. Denn preislich (knapp über 100€) ist die Box im selben Bereich wie die inhaltlich vergleichbaren Boxsets der Rolling Stones oder Yes angesiedelt und sogar ca. 25% höher als beispielsweise Devin Townsends „Eras 1“, kann aber in der Ausführung qualitativ mit diesen Referenzen einfach nicht mithalten. Schade, denn gerade diese B-Note, die „attention to detail“ macht solch ein teures Boxset eben erst zu etwas Besonderem – und genau da ist „Starlight“ leider nicht so hochwertig ausgefallen, wie es Band und Musik verdient hätten.

Moore Blues For Gary – A Tribute To Gary Moore

Ist eigentlich ausreichend um die bereits seit fast acht Jahren verstorbene, irische Gitarrenlegende Gary Moore getrauert worden? Der Mann, der nach einer schwierigen Kindheit Mitglied von Thin Lizzy in deren frühen Tagen war, sich dann in den frühen Achziger Jahren mit Hardrock mit Celtic-Touch einen Namen machte und schliesslich mit dem Blues, den er quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte, einen zweiten Frühling erlebte? Letzten Sommer wäre Moore 65 geworden und es wäre schön, wenn er den Rock- und Bluesfreunden noch länger erhalten geblieben wäre. Das dachte sich auch Garys Freund und Wegbegleiter, der Bassist Bob Daisley, und trommelte ein einzigartiges Ensemble von Freunden, Wegbegleitern, Verehrern zusammen, um ein Tribute-Album aufzunehmen. Sogar Moores Söhne Jack und Gus sind mit einem Song vertreten. Die Liste der Beteiligten liest sich wie ein Who is Who der Rockmusik. Mit Joe Lynn Turner (Deep Purple, Yngwie Malmsteen), Steve Lukather (Toto), Glenn Hughes (Deep Purple, Black Sabbath), Steve Morse (Deep Purple, Kansas), Doug Aldrich (Whitesnake, Dio) und natürlich Garys langjährigem Keyboarder Neil Carter (UFO) ist die Liste der Mitwirkenden noch nicht vollständig.

Die Liste der Songs ist mit dreizehn Titeln beschränkt und konzentriert sich ausser den beiden berühmten Balladen ‚Empty Rooms‘ und ‚Parisienne Walkways‘ auf die Blues-Titel auf Moores Oeuvre. Das ist insofern schade, dass Moore mit Hardrock begann, der annähernd die Hälfte seiner Diskografie ausmacht, auch wenn ihm mit dem Blues in seiner Karriere wohl mehr Aufmerksamkeit und auch Erfolg zuteil wurde. Ein Doppel-Album mit den Höhepunkten der Hardrock-Ära mit Titeln wie ‚Over the Hills and Far Away‘, ‚Friday on My Mind‘, ‚Don’t Take Me for a Loser‘, ‚Out in the Fields‘, ‚After the War‘, ‚Run for Cover‘ und etlichen weiteren wäre denkbar gewesen. Vielleicht darf man ja auf eine Fortsetzung hoffen, denn die Umsetzung bzw. Interpretation der Songs lässt keinen Wunsch ausser dem Fehlen von Moore selbst offen.

Besonders hervorzuheben sind ‚Empty Rooms‘ mit dem Gesang von Carter, ‚Still Got the Blues‘ mit einem wirklich gefühlvoll getroffenen Gitarrenspiel von John Sykes (Tigers of Pan Tang, Whitesnake) und ‚The Loner‘, dem Doug Aldrich seinen eigenen Stempel aufdrückt, ohne das Original gering zu schätzen. Und natürlich ‚This One’s for You‘, mit Moores Sohn Gus am Gesang und dessen Bruder Jack an der Gitarre.
Rundum: Das hier ist eine wirklich gelungene Verbeugung vor einem der besten Rock- und Bluesgitarristen, der jemals gelebt hat. Die Wärme und Hingabe der Macher ist spür- und hörbar. Warum also nicht tatsächlich mit einer zweiten Scheibe aus der Hardrock-Ära komplettieren?