The Beatles (Deluxe Edition)
Mit dem letztjährigen Remix des „Sgt. Pepper“-Albums setzte Giles Martin den neuen Standard für qualitative Aufbereitung klassischer Alben. Ohne das originale Klangbild zu verfälschen wurden die Original-Spuren entstaubt und so plötzlich Details hörbar, die vorher maximal zu erahnen waren. Für (harte) Fans hochinteressante, ebenfalls exzellent klingende Session-Outtakes und jede Menge Infomaterial machten die Deluxe-Variante von „Sgt. Pepper“ zum Rundum-Glücklich-Paket.
Nun also setzte Martin am umstrittenen „White Album“ an. Auch hier wurde das komplette Originalalbum komplett neu abgemischt und jede Menge Outtakes versammelt. Leider – soviel vorweg – hat Martin sich beim Remix diesmal ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt. Das originale Album war soundtechnisch eine bewusst kantige, bombastfreie Zone, die Antithesis zum bunt überladenen „Sgt. Pepper“, abgerundet vom schlichten weißen Cover mit nichts als dem Bandnamen als Relief. Und vor allem war das „Weiße Album“ über weite Strecken ein Gitarrenalbum. Ob krachende E-Gitarren in den zahlreichen hart rockenden Stücken oder zerbrechliche Akustik-Balladen und natürlich McCartneys scheißhausmauernfetter Basssound, die Beatles nutzten die elektronischen Effekte und Orchestermusiker nur noch als Farbtupfer, die vier Musiker standen ganz klar im Vordergrund, mit viel Raum für die Entfaltung des Einzelnen. Der Remix hingegen schiebt die Gitarren ein gutes Stück in den Hintergrund und bringt eben jene Farbtupfer nach vorne. Kann man machen, aber dann muss man damit leben, das Songs wie ‚Everybody’s Got Something To Hide Except Me And My Monkey‘; ‚Yer Blues‘, ‚Birthday‘, ‚Why Don’t We Do It In The Road‘, ‚While My Guitar Gently Weeps‘, ‚Happiness Is A Warm Gun‘ und natürlich der glorreiche Terror von ‚Helter Skelter‘ im Vergleich zu den Originalen zwar sauberer und HiFi-kompatibler klingen, aber auch eher blass und ein wenig lascher klingen. Bei den poppigen Songs wie ‚Ob-La-Di, Ob-La-Da‘ oder ‚Don’t Pass Me By‘ passt der durchsichtigere Klang ganz großartig, ebenso bei den Akustiksongs: ‚Blackbird‘, ‚Piggies‘ und ‚Julia‘ sind regelrechte Offenbarungen. Selbst die berüchtigte musique concrete- Collage ‚Revolution 9‘ klingt aufgeräumter – wenn auch 2018 immer noch kein Stück verständlicher. Somit ist der Remix des Albums eher als Alternative denn als Überholung des Originals zu sehen.
Warum das Teil aber mindestens in der Drei-CD-Version in jede Beatles-Sammlung gehört, sind die auf CD 3 versammelten „Esher-Demos“. Muffelige Mono-Versionen derselben gehören seit Ewigkeiten zur Grundausstattung eines jeden Fab-Four-Bootleg-Sammlers. Wieso? Nun, weil man bei den Aufnahmen die Herrschaften dabei belauschen kann, wie sie sich in hörbar bester Laune in George Harrisons Wohnzimmer in Esher mit Akustikgitarren, von Ringo mit Tambourin und Händeklatschen begleitet, gegenseitig ihre neuen Songs vorstellen. So nah und ungeschminkt kommt man der Magie der Band nie wieder. Wenn die Band beispielsweise bei Johns unterschätztem Geniestreich ‚I’m So Tired‘ gegen Ende endlich die „richtige“ Background-Harmonie entdeckt, sieht man Lennon, McCartney, Harrison und Starr förmlich mit fettem Grinsen ob der gerade umgreifenden Inspiration vor sich. Umso feiner, dass die 27 Aufnahmen klangtechnisch nicht nur den Bootleg-Fassungen weit überlegen sind, sondern auch den in den 1990ern auf der „Anthology“-Reihe veröffentlichten Auszügen. Sieben Songs landeten übrigens dann doch nicht auf „The Beatles“ (der eigentliche Titel des Albums). Harrisons ‚Not Guilty‘ kommt in seiner jazzigen Urfassung der 1978 solo veröffentlichten Version weit näher als die rockige Outtake-Version der Beatles (auf der Super-Deluxe-Edition übrigens endlich ungekürzt), ‚Child Of Nature‘ ist Johns ‚Jealous Guy‘ mit anderem Text, und ‚Polythene Pam‘ sollte wie ‚Mean Mr. Mustard‘ im Folgejahr für die ‚Abbey Road Suite‘ assimiliert werden.
Noch mehr Outtakes bietet die Deluxe-Box – genauer gesagt, satte drei CDs voll davon. Darunter neben diversen Alternativtakes der Albumsongs auch Fragmente und Sessiontakes der ebenfalls während der Aufnahmen zu „The Beatles“ entstandenen ‚Lady Madonna‘, ‚Hey Jude‘, ‚Across The Universe‘ – und eine höchst schräge psychedelische Jam über ‚Let It Be‘. Obskures wie die ‚Los Paranoias‘-Jam mit völlig durchgeknalltem Scat-Gesang und eine bluesig-schleppende Dreizehn-Minuten-Version von ‚Helter Skelter‘ mit E-Piano widerlegen gemeinsam mit den zwischen den Songs enthaltenen Gesprächsfetzen auch die Theorie, die vier Beatles hätten sich zu „White Album“-Zeiten bereits abgrundtief gehasst. Rückblickend ist es wohl eher so, dass die Band bewusst mit „The Beatles“ jedem Bandmitglied maximalen Freiraum zur eigenen Entfaltung eingeräumt hatte und somit den Grundstein zu ähnlichen Projekten wie Pink Floyds „Ummagumma“, Fleetwood Macs „Tusk“, Yes‘ „Fragile“oder, ähem, den 1978er Kiss-Soloalben gelegt hatte. Die Konsequenz war indes die Gleiche: die vier fanden Spaß daran, ohne den Input der Restband zu arbeiten und nach nur zwei weiteren Alben war letztendlich Schluß mit den Beatles.
Auch die Neuversion von „The Beatles“ ist also eine echte Schatztruhe für Fans der Band, die stundenlanges Erforschen belohnt. Gerade wegen des doch deutlich anders und eigenständigeren aufgezäumten Remixes hätte man aber diesmal vielleicht einfach der Vollständigkeit halber einfach den Original-Stereomix auch noch in die Box packen können – auf der BluRay gibt’s immerhin den Mono-Mix als Bonus. Wirklich kostengünstig ist die Super-Deluxe-Box mit knapp 135€ nämlich nicht unbedingt, da hätten zwei weitere Silberlinge bestimmt den Gewinn nicht sonderlich beschnitten. Für weniger betuchte Fans sollte aber zumindest wegen der „Esher-Demos“ die Drei-Disc-Variante auf den Einkaufszettel kommen. Die ist mit 20 bis 25€ auch deutlich verträglicher bepreist.