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Symphonized

Anneke Van Giersbergen hatte erst ein knappes halbes Jahr zuvor ihren Albumeinstand auf dem The Gathering-Klassiker „Mandylion“ gegeben, als sie im Februar 1996 zum ersten Mal stellvertretend für ihre Band mit einem Orchester auftrat und die Songs ‚Leaves‘ und ‚Strange Machines‘ zum Besten geben durfte. Satte 22 Jahre und viele Studioalben später gibt es nun mit „Symphonized“ ein komplettes Orchesteralbum von Anneke – gut Ding will eben Weile haben.

Und, gut ist das Ding auf jeden Fall geworden. Denn Anneke hat zum Glück keines der üblichen Rock-meets-Classic-Dinger aufgezogen, mit denen schon Metallica, Kiss und Jon Lord baden gingen. Stattdessen orientiert sich „Symphonized“ an Peter Gabriels „New Blood“-Projekt, will sagen: es gibt hier keinerlei Rock-Instrumentierung, alles ist exklusiv für Annekes Stimme und das Residentie Orkest von Den Haag arrangiert worden, lediglich eine Akustikgitarre gibt es gelegentlich noch zu hören. Nur in ‚Your Glorious Light Will Shine‘ gibt es Rock-Schlagzeug verwandtes Spiel zu hören, ansonsten gibt es keinerlei Anbiederungen an den Rock- und Metal-Fan. Das hat den Vorteil, dass sich die Instrumentierung nie im Weg steht und die Arrangements nie in den überladenen Kitsch von Sonderlichkeiten wie „S&M“ abdriften. So werden beispielsweise die TripHop-Rhythmen von ‚Amity‘ vom Cello aufgegriffen, ‚Freedom (Rio)‘ klingt plötzlich nach einem Soundtrack aus dem Marvel Cinematic Universe, und aus dem psychedelischen Reisebericht ‚Travel‘ wird ein zwischen Dead Can Dance und den orchestralen Anwandlungen von Roger Waters pendelndes Wechselbad der Gefühle. Auch ein reines Klassikstück hat Anneke aufgegriffen: ‚When I Am Laid In Earth‘ (Henry Purcell) hält sich nahe am Original, wobei Anneke gar nicht versucht, das Opern-Pathos zu kopieren, sondern einfach sie selbst bleibt – und somit selbst dem oft gehörten Stück eine völlig eigene Note abgewinnt. Neu ist das auf holländisch gesungene ‚Zo Lief‘, und Annekes Die-Hard-Fans werden sich über den großartigen, aber gewöhnlich übersehenen Lorrainville-Song ‚Two Souls‘ einen Ast freuen.

Interessant an „Symphonized“ ist aber vor allem, das auch die Songs des die Whiskey-Soda-Redaktion nicht unbedingt vom Hocker reißenden Vuur-Albums hier deutlich besser klingen als in den metallischen Albumversionen. Das hochdynamisch agierende Orchester gibt Annekes Jahrhundertstimme den Platz, der ihr zusteht, und die lahmen Dutzendware-Progmetalriffs hat der Arrangeur der Partituren auch gleich ganz ignoriert – wer immer das war, ich schlage ihn hiermit hochoffiziell als Produzenten des nächsten Vuur-Albums vor. Auch das abschließende ‚Shores Of India‘ schlägt – sorry, Arjen, ich hab‘ Dich trotzdem lieb! – die Version vom „The Gentle Storm“-Album um Längen – tja, vielleicht sollte sich Anneke zukünftig lieber mit Orchestermusikern statt Prog-Metallern umgeben…

Der einzige Nachteil des Albums ist seine Länge. In nur einer Stunde Spielzeit kann nämlich gerade mal die Oberfläche von Annekes Backkatalog angekratzt werden – so gibt’s zum Beispiel nur zwei Songs aus ihren Soloalben, und die Kollaborationen mit Devin Townsend bleiben ebenfalls außen vor. Auch aus der The Gathering-Ära fallen jedem Fan mit Sicherheit sofort ein paar Songs ein, die sich hier noch wunderbar gemacht hätten. Aber vielleicht gibt’s ja bald ein „Symphonized II“, und dort finden wir dann noch ‚Day After Yesterday‘, Hyperdrive!‘, ‚In Motion‘, ‚Adore‘, ‚To Catch A Thief‘ und so weiter… Aber solange hat uns Lovely Anneke mit dem vorliegenden Album ein ganz und gar fantastisches Werk spendiert, das fraglos zu den Highlights ihrer daran nicht unbedingt armen Karriere gehört. Pflichtkauf für alle Anneke-Fans!

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