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Delicate Sound Of Thunder

Pink Floyd waren Wegbereiter des Artrocks und sind zweifelsohne eine musikalische Legende. Im Rahmen der Neuveröffentlichungen alter Alben als Boxset erscheint jetzt „Delicate Sound Of Thunder (2019 Remix)“ (Warner Music) als spektakuläre Neuauflage, jener bekannte und berühmte Konzertmitschnitt aus New York.

Neben dem Livealbum mit dem gesamten Gig ist im Boxset auch der restaurierte Konzertfilm enthalten, der uns leider nur als Online-Stream zur Rezension vorlag, so dass über die Bild- und insbesondere Tonqualität nichts gesagt werden kann. Das original Filmmaterial auf 35 mm wurde mit hoher Auflösung gescannt, restauriert, neu geschnitten und mit Mehrkanalton remastert, daher ist davon auszugehen, dass dem Fan hier eine gelungene audiovisuelle Impression der Tour aus dem Jahre 1988 geboten wird. Verantwortlich für die 5.1-Kanal-Mischung war der langjährige Tontechniker der Band Andy Jackson, der hierbei von David Gilmour selbst unterstützt wurde.

Nach dem Ausstieg der Gründungsmitglieder Roger Waters und Richard Wright feierten Pink Floyd auf der über zweijährigen Tour zum „A Momentary Lapse Of Reason“-Album triumphale Erfolge. Im August 1988 entstand bei dem Konzert im Nassau Coliseum auf Long Island der Grammy-nominierte Konzertfilm. Richard Wright war wieder dabei, ansonsten haben die drei Herren tatkräftige Unterstützung durch Musiker wie Jon Carin an den Tasten, den Percussionisten Gary Wallis und den phänomenalen Saxofonisten Scott Page, der einige atemberaubende Soli beisteuert.

Pink Floyd Fans kennen den Konzertfilm vermutlich in- und auswendig, und doch gibt es aufgrund des neuen Schnitts und einiger wieder eingefügter Tracks viel Neues zu entdecken. Vergleicht man den Film mit der ebenfalls veröffentlichten neuen Doppel-CD, ist jedoch festzustellen, dass trotz allem immer noch einige Titel fehlen, die auf der CD enthalten sind, aber eben beim mitgeschnittenen Gig nicht gespielt wurden. Diese Tracks wie ‚Round And Round‘ oder ‚Terminal Frost‘ sind aber, wenn auch in schlechterer Qualität, im Bonusmaterial der Blu-Ray enthalten. Einzig und allein die Performance des Klassikers ‚Another Brick In The Wall Part 2‘ fehlt immer noch als Video und ist lediglich auf der CD enthalten.

Das Remastern und neue Scannen des Filmmaterials in 4K Auflösung hat sich gelohnt und sieht schon im Presse-Stream sehr gut aus. Da ist es fast schade, dass bei der hohen Auflösung des Quellmaterials keine 4K Disc in den Verkauf kommt, gerade mit HDR und erweitertem Farbraum wäre die tolle Lightshow sicher ein Augenschmaus geworden. Aber auch so lohnt sich die Anschaffung auch für alle, die den alten Konzertmitschnitt noch auf VHS im Schrank stehen haben. Die qualitativen Unterschiede und die Wirkung der neu gesetzten Schnitte sind erstaunlich. Also auf in’s Konzert!

Live in Carthage

Im vergangenen Mai erhielten die tunesischen Oriental-Metaller Myrath für ihr fünftes Studioalbum „Shehili“ eine begeisterte Rezension und unsere Album-des-Monats-Auszeichnung. Seitdem ist die schon seit Jahren fleißig arbeitende Band so richtig durchgestartet. Live-Erfolge in Wacken und auf dem Sweden Rock Festival machten das bisher als „Geheimtipp“ geltende Quintett 2019 einem breiteren Publikum bekannt. Der vorläufige Höhepunkt in der Bandgeschichte dürfte bis dahin der Auftritt vor 7000 einheimischen Fans im antiken Amphitheater von Karthago gewesen sein. Dieser fand im Juli 2018 statt und wurde für die Nachwelt aufwändig produziert und aufgezeichnet. Eine limitierte Edition war bisher exklusiv über den Online-Shop der Bandwebseite erhältlich. Nun erscheint „Live in Carthage“ (Ear Music) offiziell als CD/DVD-Release, der die Band bei einem denkwürdigen Auftritt zeigt.

Dunkelheit, Pfeifen, Jubelrufe. Dann: Spotlights bestrahlen ein Podest, auf dem ein orientalischer Teppich liegt, die laue Sommerbrise wirbelt etwas Staub durch die Lichtkegel. Eine erotisch gekleidete Bauchtänzerin betritt das Podest und bewegt ihre seitlich von sich gestreckten Arme verführerisch im Rhythmus der zögerlich einsetzenden Flötenklänge. Eine männliche Stimme intoniert arabischen Gesang. Schlagzeuger Morgan Berthet läßt sich abseits der Tänzerin unter Jubel an seinem Schlagzeug nieder. Zum Beat seiner Bass-Drum betreten von links und rechts acht Trommler die Bühne und bleiben in einer Reihe am Bühnenrand stehen. Die Tänzerin kommt mit einem Vortrommler in die Mitte der mit Teppichen ausgelegten Bühne, das Trommeln steigert sich in Tempo und Intensität. Der Schlagzeugbeat und das Intro von „Asl“, dem Opener auf „Shehili“ setzt ein. Fahnenschwinger positionieren sich am Bühnenrand, der Rest der Band betritt unter Jubel die Bühne und nimmt an seinen Plätzen Aufstellung.

Dann explodieren die Gitarrenriffs, die Videobildschirme und die Lightshow in einem orgastischen Höhepunkt aus Klang, Licht, Emotion und begeistertem Jubel des Publikums. Wow!

Myrath liefern nach fünf Studioalben ihr erstes Live-Album in perfektem Setting. Produktion, Atmosphäre und das gesamte Drumherum sorgen für ein fettes Ausrufezeichen in der Diskographie der fünf authentischen Jungs aus Nordafrika. Daß sie ein ambitioniertes Projekt wie dieses auf die Beine zu stellen in der Lage sind, zeigte bereits die Produktion des Musikvideos zu „Believer“ vor vier Jahren. Das Video im „Prince of Persia“ – Stil stemmten die Jungs mit Hilfe einer eigens auf die Beine gestellten Crowdfunding-Kampagne. Die DVD-Edition (93 Minuten) von „Live in Carthage“ enthält neben einem auf der CD nicht enthaltenen Drumsolo und dem Song „Madness“ vor allem ein interessantes Making-of-Video der Live-Produktion des Albums.

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Trenches of Rock – The Metal Mission of Bloodgood

So wie es die Big Four of Thrash (Metallica, Slayer, Megadeth, Anthrax) gibt, gibt es auch die Big Four des White Metal: Stryper, Barren Cross, Whitecross und Bloodgood waren in den 1980er-Jahren die Pioniere des Metal mit christlichen Texten. Entgegen dem Aufstieg der nicht-christlichen (säkularen) Metal-Bands der Zeit hatten die christlichen Bands einen ganz besonderen Kampf zu führen. Von den ultra-konservativen Christen in ihrer amerikanischen Heimat wurde die Musik als „Teufelswerk“ bezeichnet und zum Boykott aufgerufen, während viele säkulare Bands und Fans sie genau wegen ihrer christlichen Message angriffen. Manche dieser Bands erhielten sogar Todesdrohungen.

Dieser Konflikt steht im Mittelpunkt der Band-Dokumentation der White-Metal-Pioniere Bloodgood, die sich auch im Titel niederschlägt: „Trenches of Rock“ („Trenches“, englisch für „Schützengräben“). Ein Kampf an zwei Fronten gewissermaßen, der Bloodgood viel kostete, möglicherweise sogar einen breiteren kommerziellen Erfolg.

Von den Anfängen mit Sänger Les Carlsen, der beim berühmten Musical „Hair“ mitsang, bis zum Einstieg des Stryper-Gitarristen Oz Fox im Jahr 2007 und darüber hinaus wird die turbulente Bandgeschichte portraitiert. Mit bisher unveröffentlichtem Live-Material aus der Geschichte der Band, amüsanten und frustrierenden Anekdoten vom Tourleben und einem unfangreichen Soundtrack stellt das Biopic ein rundes, gelungenes Bild der Pionierband dar. Es kommen gegenwärtige und ehemalige Bandmitglieder, Weggefährten und Familienmitglieder zu Wort, die die starke Botschaft der Musiker authentisch zum Ausdruck bringen. Trotz vieler Rückschläge wirkt die Gruppe nach einer fast 40-jährigen Karriere vitaler und überzeugter als je zuvor von ihrem leidenschaftlichen Auftrag als „Metal-Missionare“. Die Doku lief auf unterschiedlichsten Filmfestivals weltweit und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Die Bild- und Tonqualität schwankt wegen der vielen, auch älteren Quellen. Insgesamt ist „Trenches of Rock“ jedoch eine professionelle Produktion. Die Tonspur ist Englisch, Deutsche Untertitel liegen nicht vor.

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Weil Du Nur Einmal Lebst

Ihr jüngstes Filmwerk haben Die Toten Hosen nach ihrem Song „Weil Du Nur Einmal Lebst“ benannt, und die zugehörtige Songzeile „Es gibt nur eine Regel, sie heißt: alles oder nichts“ könnte glatt als Beschreibung der Dokumentation durchgehen. So durfte Regisseurin Cordula Kablitz-Post Die Toten Hosen 2018 auf ihrer Tour, vor und hinter der Bühne, begleiten. Für die Konzertaufnahmen war erneut Paul Dugdale zuständig, der bereits 2014 die DVD „Der Krach der Republik“ produziert hat. Herausgekommen ist dabei ein Portrait, welches einen ehrlich-authentischen Blick auf die Band gewährt. Da geht es manchmal zwar auch heftig zur Sache, aber danach herrscht doch wieder Liebe und Zuneigung.

Nach 37 Jahren Bandbestehen ist klar, dass Die Toten Hosen nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich sind, sondern an der Band ein ganzer Tross von Crew und Mitarbeitern hängt. So sehr der eine Moment noch von dem Überkochen der Euphorie, der Unbesiegbarkeit geprägt ist, so sehr wird mit dem Vorschlaghammer bewusst wie fragil und jederzeit einsturzgefährdet das Gebilde doch ist als Campino in Berlin einen Hörsturz erleidet. Die schwierigen fünf Wochen danach hat das Filmteam genauso eingefangen wie den Befreiungsschlag danach, als klar wurde, dass es weitergehen kann.

We‘re a punkband, still!

Der Zuschauer erfährt, dass die Kiste Bier für die Helfer vor Ort nach dem Konzert von Campino persönlich in allerbester Udo Lindenberg-Manier übergeben wird, und die ein oder andere Tourbus-Party wurde auch filmisch festgehalten. Nicht fehlen dürfen in der Tourdokumentation natürlich die Highlights wie der Auftritt beim Chemnitzer #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts, eine Herzensangelegenheit der Band. Außerdem zu sehen ist das Heimspiel in Düsseldorf, die (erneute) Ehrerbietung an das Berliner SO36 oder das Lieblingsreiseziel Argentinien. Dort, wo sich die Band so viele Kilometer von zu Hause entfernt seit Jahren die nötigen Energieaufladungen holt, um wieder durchzustarten.

In dem Film wird immer wieder klar wie sehr sich Die Toten Hosen noch immer als Punkband definieren: über ihre Haltung, ihre Werte und die Wertschätzung gegenüber den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten. So erklären im 17minütigen Bonusteil die Donots und Kraftklub dass es absolut nicht selbstverständlich ist als Supportband so viel Unterstützung zu erfahren und nett behandelt zu werden.

Wenn die rot-weißen Konfetti bildgewaltig ins Publikum regnen, nimmt man der Band ab, dass sie noch immer heiß auf Abenteuer sind und eine ungebrochene Lust auf Konzerte verspüren. So formulieren sie es in den eingestreuten kurzen Interview-Sequenzen. Die Tourdokumentation „Weil Du Nur Einmal Lebst“ zeigt Die Toten Hosen angenehm unprätentiös, als aus Freundschaft gebautes Bandgefüge dass – soweit das in dieser Dimension noch möglich ist – noch immer den Fankontakt sucht.

 

Die Toten Hosen – Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour
VÖ: 30.08.2019
Jochens Kleine Plattenfirma / Warner Music

Die Toten Hosen

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Check Your Head

Live In France

Nachdem das letzte Album „The Fold“ für eine ganze Menge Wirbel im Prog-Underground gesorgt hatte und auch der Auftritt auf der Night Of The Prog 2018 begeistern konnte, ist das Timing für ein Livealbum der Band absolut exzellent. Zu diesem Zweck hat die Band ihren Auftritt auf dem Crescendo Festival für eine BluRay mitgeschnitten, die ab sofort für die Fans der Kanadier erhältlich ist.

Wo im Studio offenbar Gitarrist Simon L’Esperance Mainman der Band ist, steht live ganz klar Bassist/Sänger Sylvain Auclair im Mittelpunkt. Der kommt optisch nämlich wie eine coolere 2019-Hipster-Version von Sting ‚rüber und kann über den ganzen Gig mit viel Charisma und abwechslungsreichen, gefühl- und kraftvollen Vocals punkten. Auch Keyboarder Sebastien Cloutier kann mit extravagantem bis gelegentlich etwas übermotiviertem Stageacting punkten, während L’Esperance eher den introvertierten Gitarren-Maestro gibt und Drummer Thomas Brodeur hochkonzentriert in seinem Spiel aufgeht. Die Setlist beinhaltet das komplette „The Fold“-Album, allerdings in zwei Parts aufgeteilt, die durch ein Set von älteren Songs getrennt werden. Das tut der Sache keinen Abbruch – im Gegenteil, da meine (milde) Kritik an „The Fold“ ja hauptsächlich an der fehlenden Abwechslung lag, kommt dieser Break sogar sehr willkommen. ‚Sol‘, ‚The Incident‘ und ‚Purple King‘ stammen dabei noch aus der instrumentalen, fusionlastigen Frühphase der Band und machen allesamt auch trotz der fehlenden Vocals richtig Laune und balancieren zusammen mit den beiden Songs von „The First Day“ die finstere Stimmung von „The Fold“ perfekt aus. Speziell ‚Water‘ mit seinen Reggae-lastigen Parts und das mit lateinamerikanischen Grooves gespickte ‚Sol‘ sollte man dabei unbedingt erwähnen. Die Zugabe ‚Purple King‘ hingegen geht so richtig zur Sache und lässt erahnen, wie Return To Forever wohl als Prog-Metal-Band geklungen hätten. Sehr fein!

Als Bonus hat die Band übrigens den schon im Vorjahr angekündigten 5.1-Mix von „The Fold“ auf die Disc gepackt. Wer an sowas Spaß hat, wird sich freuen, für alle anderen ist das eben nur eine nette Dreingabe – denn wer sich für „Live In France“ interessiert, wird wohl „The Fold“ auch schon haben. Der schwache Drumsound der Stereofassung ist übrigens auch in der Surroundfassung übernommen worden – auf dem Livepart hingegen klingen die Drums richtig schön kraftvoll, sauber und lebendig, wie generell der ganze Livesound deutlich differenzierter und lebendiger kommt als die Studiofassungen. Alles in Allem also eine sehr feine Live-BluRay, die die Bühnenqualitäten der Band deutlich unterstreicht. Zu beziehen ist das gute Stück im Vertrieb von Just For Kicks.

Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre

„Bring On The Music!“ könnte man viele Live-Alben nennen. Immer her damit! In diesem Fall sprechen wir von Gov’t Mule, den amerikanischen Maultierfreunden um Warren Haynes. Der seit langem mit der Band verbundene Fotograf und Filmemacher Danny Clinch hat einen Konzertfilm geschaffen, der eindrucksvolle Liveaufnahmen aus dem Capitol Theater in Port Chester im US Bundesstaat New York zeigt.

Zum 25-jährigem Bandjubiläum haben sich Gov’t Mule nicht lumpen lassen und ein schickes Live-Paket für die Fans geschnürt. „Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre“ stellt sich in die Reihe von zehn Studio-Releases und einer schier unüberschaubaren Zahl offizieller und semioffizieller Live-Mitschnitte.

Gov’t Mule sind seit einem Vierteljahrhundert der Fels in der Brandung des klassischen Southern Rocks. Frontmann Warren Haynes und seine immer mal wechselnden Weggefährten stehen immer noch für eine wunderbare Mischung aus kernigen Riffs, feiner Soli und ganz besonders überbordender Spielfreude. Selbst bei ein- und derselben Tour gleicht kaum ein Mule-Konzert dem anderen. Und das gilt auch für die jetzt veröffentlichten Live-Aufnahmen. „Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre“ ist ein Mitschnitt zweier Gigs mit stark voneinander abweichenden Setlists. Genauso abwechslungsreich wie das musikalische Schaffen der Band ist auch die Vielzahl der verfügbaren Ausgaben des Livealbums: 2-CDs, Deluxe 2-CD/2-DVD-Set mit unterschiedlichen Tracks für beide Formate, zwei verschiedene LP-Ausgaben und eine Blu-Ray sind verfügbar. Auch hier unterscheiden sich die Setlists beispielsweise zwischen den DVDs und CDs.

Uns lag die Doppel-DVD zur Rezension vor, die am 19. Juli und damit ein paar Wochen später als die schon veröffentlichten Nur-Audio-Versionen erscheint. Nach einem leicht psychedelischen, hektisch geschnittenen Intro beginnt einige Minuten später das eigentliche Konzert. Der Filmemacher schafft dabei ein intimes Portrait der Band mit vielen Nahaufnahmen, ohne das Publikum und die Live-Atmosphäre zu vernachlässigen. Große Maultier-Dekorationen auf der Bühne, viel buntes Licht und psychedelische Projektionen an den Theaterwänden sorgen für die richtige Stimmung beim folgenden Konzert. Classic- und Bluesrock mit jaulender Hammond-Orgel, knarzigen Gitarren und den typischen griffigen Vocals des Frontmannes – Gov’t Mule, wie sie sein sollen und zum Glück auch nach 25 Jahren immer noch sind. ‚Traveling Tune‘, ‚Beautifully Broken‘, ‚The Man Man I Want To Be‘ – Groove ohne Ende, eingestreute Jamsesion-ähnliche Improvisationen, tightes Zusammenspiel. Oder man streut mal ein kleines Police-Cover mit ‚Message In A Bottle‘ ein. Das alles wird nah und direkt gefilmt in guter, wenn auch nicht üebrragender Bild- und Tonqualität. Zwischen mehreren Songs gibt es immer wieder kleine Einschnitte mit eingeblendeten alten Fotos aus 25 Jahren Mule und einem gefilmten Interview mit Warren Haynes.

Auf der zweiten Disc wird es zunächst noch etwas bluesig-psychedelischer mit langen Jam-Einlagen und jazzigen Parts, wenn Keyboarder Danny Louis auch mal zur Posaune (!) greift. Erfreulich ist hier, dass insbesondere bei den langen Soli kein Schnittfeuerwerk von der Musik ablenkt, sondern die Kamera auch mal ausgesprochen lange nur auf die Gitarre hält und die Künstler in Aktion zeigt.

Im Bonusmaterial gibt es noch eine sehr intime Aufnahme von Warren Haynes mit ‚Travelin Tune‘ – Gänsehaut ist hier garantiert – sowie einen Clip im leeren Theater, der die Proben zum Song ‚Soulshine‘ zeigt. Insgesamt laufen beide DVDs über drei Stunden. Viel mehr Live-Mule geht eigentlich nicht.

Songs For The Dead Live

Es ist eigentlich wirklich verwunderlich, das King Diamonds „kleine Horrorschau“ erst 2019 als visuelles Dokument veröffentlicht wird. Dafür kommt die DVD respektive BluRay „Songs For The Dead Live“ aber immerhin mit zwei kompletten Shows – wenn auch mit identischer Setlist. Einmal wurde auf der großen Bühne des Graspop-Festival gefilmt, die zweite Show stammt aus dem Fillmore-Club in Philadelphia.

Somit ist auch zu verzeihen, dass „Songs For The Dead Live“ ganz ohne Frage eine hundertprozentige Nostalgieveranstaltung geworden ist. Das aktuellste Stück der Setlist, ‚Eye Of The Witch‘, hat bereits 29 Jahre auf dem Buckel, und im Zentrum der Show steht die Performance des kompletten „Abigail“-Albums, erschienen 1987. Jedes von Kings Alben bis „The Eye“ ist mit genau einem Song vertreten, inklusive der ersten beiden Mercyful Fate-Longplayer. Die achtzig Minuten bringen somit also keine Überraschungen oder gar Neues, aber eben ein gnadenloses Klassiker-F(r)euerwerk, das allen Achtziger-Freaks reingehen sollte wie ein kühles Pils. Da aus der „goldenen Ära“ des Metal-Hui-Buh aber keine visuellen Dokumente existieren, geht das fraglos völlig in Ordnung – dank seines Corpsepaint ist King ehedem optisch alterslos, da fühlt man sich selbst gleich auch dreißig Jahre zurückversetzt. Und King hat tatsächlich die „üblichen Verdächtigen“ auch showtechnisch verewigt, ob die olle Grandma im Rollstuhl oder Klein-Abigail,und natürlich gibt’s auch den Knochen-Mikroständer – eben eine klassische King-Diamond-Show, wie man sie sehen will. Das Kasperletheater für Kuttenträger soll aber in diesem Fall nicht wie in manch‘ anderem Fall über musikalische Schwächen hinwegtäuschen. Angeführt vom bewährten Gitarrenteam Andy LaRocque und Mike Wead und Langzeitdrummer Matt Thompson gibt sich Kings Band erwartungsgemäß keinerlei Blöße. Das komplexe Material wird schweinetight und detailreich auf die Bühne gebracht, und King selbst – der heult, singt, krächzt und grunzt seine Geistergeschichten darüber, als hätten wir 1987. Spooky! Anachronistisch wirkt hier nur der fraglos zeitgemäße, ziemlich perfekte Sound – ein wenig zu perfekt sogar schon, denn gelegentlich fragt man sich dann doch, ob da alles wirklich live so passiert ist. Speziell, wenn man bisweilen drei verschiedene Kings übereinander gelayert hört, kann man das auch nicht mit den Backings von Kings Gattin Livia Zita komplett wegerklären. Vielleicht waren’s aber auch die Geister von Melissa oder Missy höchstpersönlich, die der Band da unter die Arme gegriffen haben.

Das kann aber den Spaß am Gebotenen nicht verderben. Songs wie ‚Welcome Home‘, ‚Sleepless Nights‘ (als Eröffnungs-Doppel!), ‚Come To The Sabbath‘, ‚The Family Ghost‘ und ‚Omens‘ gehören halt ganz diskussionsfrei zum Besten, was die Achtziger an anspruchsvollem Metal zu bieten hatten und klingen auch heute noch völlig eigenständig und unkonventionell. Im Übrigen halte ich es da mit Mike Portnoy, der vor einer Weile schon dafür plädierte, King Diamond und Mercyful Fate endlich ihren Platz als wichtige Vorreiter des progressiven Metal zuzugestehen – wenn man die Mittachtziger Queensryche und Fates Warning als Progmetal-Vorreiter akzeptiert, muss man das bei den mindestens genauso vertrackten, von virtuosen Musikern dargebotenen und weit unkonventioneller komponierten Epen des King erst recht tun. Auch die Bildregie ist ziemlich ideal ausgefallen. Auch wenn sich mancher vielleicht an den relativ schnellen Schnitten stören könnte, es ist nun mal nicht einfach, das theatralische Geschehen von King und seinen „schauspielernden“ Gästen einzufangen und trotzdem zu jedem imposanten Break auf den Fingern des jeweiligen Musikers zu kleben. Welche der Shows man bevorzugt, ist persönliche Geschmackssache – aufgrund der imposanten Festivalkulisse ist das Pinkpop-Konzert aber vielleicht etwas beeindruckender geraten, während bei der Fillmore-Show das Publikum sichtbar aus Die-Hard-Fans besteht, die jede Sekunde begeistert abfeiern.

Für seine erste DVD/BluRay-Veröffentlichung hat King Diamond also ein ziemlich duftes Paket geschnürt, das für die jahrelange Wartezeit durchaus entschädigt. Nun wäre es aber auch Zeit, mal wieder eine neue Horror-Oper aus dem Hause Petersen…

Live At The Royal Albert Hall

Ein Live-Album lebt von der ganz besonderen Atmosphäre und holt diese (hoffentlich) für den Fan ins heimische Wohnzimmer. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht nur Audiomitschnitte vorliegen, sondern ein Konzert eben auch gefilmt wurde und jetzt auf DVD oder Blu Ray vorliegt. Am 4. Mai 2018 spielte die grammynominierte Singer-Songwriterin Beth Hart in der Londoner Royal Albert Hall eine zweistündige Show, die von leidenschaftlichen Momenten, vielen Emotionen und jeder Menge faszinierender Darbietungen getragen wurde. Das Ergebnis gibt es jetzt als CD und LP sowie eben auch als Videomitschnitt. Uns lag die DVD zur Rezension vor.

Die 1972 in Los Angeles geborene Sängerin stand im Mai 2018 nicht zum ersten Mal in der legendären Royal Albert Hall auf der Bühne und hat ihr Publikum vom ersten Augenblick an fest im Griff. Die gewaltige Halle wird bei dieser Show in einen intimen Club verwandelt, und schon der Anfang des Konzertes zeigt, dass man sich auf einen ganz besonderen Abend bzw. ganz besonderen Konzertmitschnitt freuen darf. Die Künstlerin beginnt den Auftritt mitten in der Menge, bahnt sich ihren Weg durch das sitzende Publikum und liefert dabei eine Gänsehaut-Performance von ‚As Long As I Have A Song‘ ganz à cappella. Schon bald hält es niemanden mehr auf den Sitzen, wenn die Amerikanerin ihr Publikum zum Tanzen auffordert.

Natürlich bietet Beth Hart in den nächsten zwei Stunden live einen Querschnitt durch ihre umfangreiche Karriere, präsentiert (relativ wenig) Material aus ihrem aktuellen Album „Fire On The Floor“ und von den gemeinsam mit Joe Bonamassa aufgenommenen Werken. Bonamassa selbst war auf dem Londoner Konzert leider nicht anwesend, seine Gitarrenparts werden würdig von Jon Nichols übernommen. Gerade in diesem Song zeigt die Amerikanerin wieder einmal das ungeheure Volumen ihrer Stimme. Es gibt aber auch altes Material aus 20 Jahren, und die Künstlerin schafft es, Soul, Rock, Gospel und Blues zu einem mitreissenden, stimmigen Ganzen zu verschmelzen.

Den eindringlichen Song ‚Sister Heroine‘ widmet Hart ihrer verstorbenen Schwester Sharon, einw weiterer Gänsehaut-Moment, wie überhaupt die kleinen Geschichten und Ansagen zwischen den Songs immer wieder Highlights des Konzerts darstellen. Die Londoner Fans feiern Songs wie ‚Lifts You Up‘ und das bombastische ‚Waterfalls‘, bei dem die Sängerin auch wieder direkt ins Publikum läuft und das Geschehen von einer stimmungsvollen Lightshow untermalt wird.

Mit dem Akustikbass bewaffnet leitet Beth Hart in der zweiten Konzerthälfte den traditionellen Song ‚Spiders In My Bed‘ ein, es folgt ein Solo-Part ohne Band, wenn die Sängerin am Flügel Nummmern wie ‚Take It Easy On Me‘ oder ‚Leave The Light On‘ darbietet. Zum Finale der Show kommt die Band wieder zurück auf die Bühne, und es gibt bei ‚My California‘ und ‚Trouble‘ noch einmal viel Interaktion mit dem Publikum. Beth Hart liefert, was die Fans erwarten, und das Gesamtpaket stimmt. Das Konzert und damit auch die Liveaufnahme bieten alles, was man sich hier wünschen darf. Die Songauswahl passt, die Performance ist über jeden Zweifel erhaben, und auch die Begleitmusiker liefern eine rundum gelungene Show ab. Hier ist besonders, neben dem schon erwähnten Jon Nichols, Bill Ransom am Schlagzeug hervorzuheben, dessen dynamische Performance immer wieder in spannenden Bildern eingefangen wird. Soundtechnisch liefert die Aufnahme eine gute Dynamik, die Bässe sind spürbar, auch wenn sie vielleicht noch eine Spur tiefer im Mix hätten sein dürfen. Das Publikum ist passend in den Gesamtmix integriert – eben genau richtig, wie man es bei einem solchen Konzertmitschnitt erwartet. Die Bilder der DVD dazu sind stimmig, die Qualität liegt im guten Mittelmaß, hin und wieder fehlt vielleicht das letzte Quentchen an Kontrast und Farbintensivität, aber das ist hier nicht so wichtig.

Der Ton liegt auf der DVD wahlweise in Stereo oder auch im 5.1-Mehrkanalmix vor. Letzterer bietet eine schöne Räumlichkeit und holt Beth Hart fast persönlich ins heimische Wohnzimmer. Eine runde Sache. Als Bonus gibt es auf der DVD ein kleines Behind-The-Scenes-Video sowie ein immerhin halbstündiges Interview mit der Künstlerin, die frei weg von der Seele aus dem Nähkästchen plaudert. Nicht nur Fans der Amerikanerin dürfen hier also bedenkenlos zugreifen.

Home Invasion – Live At The Royal Albert Hall

Drei komplett ausverkaufte Konzert in der Royal Albert Hall im Herzen Londons konnte Steven Wilson im März 2018 für sich verbuchen. Drei Shows, die er als „Jubiläumsshows“ ankündigte und von denen er die letzte auch für einen DVD/-BluRay-Release mitschneiden ließ. Das Endresultat liegt nun unter dem Titel „Home Invasion – In Concert At The Royal Albert Hall“ vor.

Beim Blick auf die Setlist fragt man sich unweigerlich, was daran nun so Jubiläumsfeier-mäßig sein soll, handelt es sich dabei doch im Prinzip um genau die Setlist, die Wilson auf der „To The Bone“-Tour jeden Abend darbot. Das liegt daran, dass Wilson eben nicht die Show vom zweiten Abend, die tatsächlich mit Live-Raritäten und jeder Menge Gäste gespickt war, aufzeichnete. Aber auch die reguläre Tour-Setlist bietet eine Menge Vergnügen, weshalb „Home Invasion“ (natürlich) trotzdem eine ziemlich knorke Sache geworden ist und insgesamt auch für Neueinsteiger in die Materie taugt. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem „To The Bone“-Album, das bis auf den Titelsong komplett über den Set verteilt ist, dazu gibt’s noch ein paar Highlights vom Vorgänger „Hand.Cannot.Erase.“ und ein paar Songs aus der Gavin-Harrison-Phase von Porcupine Tree. Die sperrigen, siebzigerlastigen Stücke der vorangegangenen Soloscheiben bleiben mit Ausnahme des Schlußsongs ‚The Raven That Refused To Sing‘ ebenso außen vor wie ältere Porcupine Tree-Klassiker, die lediglich von einer kurzen Solo-Version von ‚Even Less‘ vertreten werden. Der Sound ist wenig überraschend absolut vom Feinsten, und auch das Bildmaterial kann überzeugen. Mancher Fan mag sich an den diversen Effekten, Einspielern und Splitscreens vielleicht stören, aber dem Unterhaltungswert von „Home Invasion“ sind diese eher zuträglich, vor allem, weil sie sich immer in die Atmosphäre des Songs einfügen und nicht zum Selbstzweck verkommen.

Muss man zu den Musikern überhaupt noch etwas sagen? Nick Beggs (bs) und Craig Blundell (dr) legen ein grundsolides Fundament und grooven auch in den frickeligsten Momenten noch so locker, das es eine wahre Freude ist. Alex Hutchings (gtr) passt meines Erachtens nach viel besser in Wilsons Band als Guthrie Govan, der für meinen Geschmack ein wenig zu sehr dazu tendierte, sich in den Vordergrund zu dudeln – Hutchings sorgt für ähnliches Gänsehautfeeling, arbeitet aber deutlich banddienlicher. Das passt natürlich auch exzellent zu den weniger „flashigen“ Songs des letzten Albums. Abgerundet wird die Band von Keyboard-Meister Adam Holzman, der dann doch immer wieder ein leicht jazziges Flair in seinem Spiel unterbringt. Der Boss selbst zeigt sich, wie in den letzten Jahren gewohnt, als souveräner Ringmeister, der mittlerweile sogar mit fester Stimme zu seinen Minions vor der Bühne spricht. Schön, das er auch ein paar Gitarrenparts wieder selbst übernimmt – Wilson ist als Gitarrist einfach kolossal unterschätzt. Auch gesanglich zeigt er sich weitestgehend von seiner besten Seite, die Falsettstimme bei ‚Permanating‘ (visuell von Bollywood-Tänzerinnen unterstützt) sitzt perfekt, nur beim kraftvolleren und aggressiven Singen schwächelt er weiterhin – das liegt ihm einfach nicht und klingt wahlweise aufgesetzt oder nach heißer Kartoffel, nachzuhören in ‚Sleep Together‘ – wobei es dem Verfasser dieser Zeilen ehedem unverständlich ist, warum Wilson live ausgerechnet an diesem eher platten Stück von „Fear Of A Blank Planet“ festhält. Geschmackssache! Was freilich keine Geschmackssache darstellt, ist die einmal mehr großartige Ninet Tayeb, die bei jedem ihrer Gastauftritte für maximale Gänsehaut sorgt und den Hauptamtlichen beinahe die Show stiehlt. Wer bei ‚Blank Tapes‘ nicht ehrfürchtig niederknien möchte, sollte definitiv sein Gehör untersuchen lassen.

Auch wenn „Home Invasion“ nicht unbedingt die „Greatest Hits“-Jubiläumskiste geworden ist, die viele Fans erwartet hatten, ist es natürlich dennoch ein Muss für alle Wilson-Fans geworden. Nur das Bonusmaterial mit drei Songs vom Soundcheck und ein paar kurzen Interviewschnipseln ist etwas enttäuschend. Das drückt aber auch keinesfalls die Wertung, denn es ist, was es ist – ein Bonus. Das Hauptgericht schmeckt aber derart überzeugend, dass ich auf einen Keks zum Nachtisch gerne verzichten kann.

Live At The Apollo

Das Projekt, das unter dem Namen Anderson, Rabin & Wakeman gestartet war, fungiert also nun seit einem guten Jahr wieder unter dem Firmennamen Yes – um Verwechslungen mit der unter der Führung von Steve Howe tourenden Version der Prog-Urgesteine vorzubeugen, mit dem Zusatz „feat. Jon Anderson, Trevor Rabin & Rick Wakeman“. Nicht der schönste Bandname der Welt, aber was soll’s? Es ist drin, was drauf steht bei diesem ersten „YFtJATRRW“-Tonträger, auch wenn natürlich der Anblick einer Band namens Yes ohne Chris Squire selbst drei Jahre später immer noch irgendwie seltsam ist.

Die Frage, ob die drei überhaupt würdig sind, den Namen für sich zu beanspruchen, wird dabei in Fankreisen enorm heiß diskutiert. Hier dürfte diese in Manchester mitgeschnittene DVD für Abhilfe sorgen. Im Vergleich zu Steve Howes derzeitiger Truppe spielen YftJATRRW nämlich offen gesagt in einer völlig anderen musikalischen Liga. Wo die Konkurrenzformation schon seit Jahren nur mehr die Originale brav, weit langsamer und teils stark vereinfacht darbietet, nimmt sich das Trio Infernale die Songs mit viel Spiellaune, Gefühl und Mut zum Experiment vor. Fast jeder Songs bekommt hier mal ein neues Intro, da mal ein zusätzliches Ending oder einen neuen Mittelpart, Wakeman baut in viele Songs komplett neue Melodielinien ein und es wird auch einfach mal aus Spaß an der Freude drauflosgejammt. Großes Lob hierbei an Ex-Archive- und It Bites-Bassist Lee Pomeroy, der die übergroßen Stiefel von Chris Squire tatsächlich beinahe zu füllen versteht. Auch Trevor Rabin und Rick Wakeman sind nach wie vor technisch absolut auf der Höhe und meistern die komplex-virtuosen Parts locker und mit ordentlich Dynamik, von zart, verträumt und zerbrechlich zu knackig und, ja, bisweilen ziemlich heavy. Der Hauptgrund für die unbestreitbare Legitimität des Ganzen ist aber natürlich schlicht und einfach die Präsenz von Jon Anderson. Ob Trevor Horn, Benoit David oder Jon Davison – hier wird es schon beim ersten Satz von ‚Perpetual Change‘ gnadenlos deutlich, dass eben niemand außer Jon persönlich die Songs von Yes auch nur halbwegs authentisch mit Leben erfüllen kann. Dabei hilft natürlich auch, das der 73jährige immer noch so glasklar, emotional und makellos singt wie vor knapp 50 Jahren – und natürlich auch ein vollkommen unersetzbares Charisma hat. Lediglich Drummer Louis Molino III bleibt im Vergleich zu seinen Kollegen ein wenig blass – natürlich spielt er auch grundsolide und legt eine bodenständige Leistung hin, aber man fragt sich eben doch, welche Facetten ein abenteuerlicherer Drummer wie Nick D’Virgilio oder Marco Minnemann der Sache hätte hinzufügen können.

Der Set ist dabei relativ konventionell aufgebaut: auch hier dominieren die unumgänglichen Klassiker. Doch selbst vermeintlich Kaputtgehörtes wie ‚I’ve Seen All Good People‘ oder ‚And You And I‘ bekommt durch die bereits erwähnten, neuen Details in den Arrangements ein neues Leben. So spielt beispielsweise Wakeman im Intro von ‚I’ve Seen All Good People‘ die Gitarrenlinie mit dem später auftauchenden Flötensound mit, für ‚And You And I‘ wird das Akustikintro mit Streichersounds und Gitarren orchestral aufgepeppt, bis es wie ein typischer Trevor Rabin-Soundtrack klingt. Auch ‚Hold On‘ bekommt ein neues, typisches Wakeman-Intro und eine feine neue Moog-Synthie-Linie im Refrain. ‚Hold On‘ stellt denn auch mit ‚Lift Me Up‘ und ‚Changes‘ die einzigen Überraschungen im Set, von „Talk“ gibt’s gar nichts, und auch „Big Generator“ ist nur mit dem obligatorischen ‚Rhythm Of Love‘ vertreten. Das fällt aber im Prinzip überhaupt nicht ins Gewicht, denn der Set ist stimmig, launig und vor allem auch ordentlich rockig. Wo die Howe-Yes mittlerweile eher den Charme einer hüftsteifen Tanztee-Veranstaltung versprühen, lässt es speziell Rabin nach wie vor gerne mal krachen und gibt auch mal ein ordentliches Bratriff oder ein wieselflinkes Shredder-Solo zum Besten. Ach ja, und auch er singt immer noch so fein wie damals auf „90125“, auch die prägnanten mehrstimmigen Vocals sitzen somit jederzeit perfekt.

Die beiden absoluten Höhepunkte des Filmes kommen aber unerwarteterweise während zweier scheinbar schon kaputtgehörter Klassiker. Da wäre einmal ‚Heart Of The Sunrise‘, mit seinen Wechseln aus virtuosen, harten Rock-Passagen, lyrischen Mediationen und gnadenlosem Bombast vielleicht das urtypischste Yes-Stück überhaupt. Die Band haut die verschachtelten Sechzehntel-Läufe dermaßen tight und aggressiv heraus, das sogar die Progmetal-Konkurrenz anerkennend nicken wird, nur um danach ganz Pomeroys Bass und Andersons Stimme Platz zu machen – wer da keinen Kloß im Hals verspürt, macht beim Musikhören irgendwas falsch. Noch beeindruckender gerät aber das andere unkaputtbare Yes-Wunderwerk ‚Awaken‘. Nicht nur, dass Anderson hier gesanglich so ziemlich die intensivste Version des Titels präsentiert, die ich je gehört habe, spätestens wenn die Band sich im Mittelpart in einen meditativen Rausch jenseits jeglichen Zeitgefühls spielt, fliegt man automatisch mit. Auch hier wurde der Song um ein Intro und einen auf besagtes Intro Bezug nehmenden Mittelpart ergänzt – nach diesen 22 Minuten fühlt man sich wie durch die emotionale Mangel gedreht. Alleine deshalb muss jeder, der sich für Yes oder klassischen Prog generell interessiert, diese Scheibe in die Sammlung aufnehmen. Chapeau, nicht jede Band schafft es, einem vierzig Jahre alten und bereits perfekten Klassiker noch einmal ein ganz neues Leben einzuhauchen und neue Facetten abzugewinnen.

Wenn man also nach dem Motto „Let The Music Do The Talking“ geht, ist die Frage, wer denn nun die würdigen Erben des Yes-Vermächtnis sind, spätestens mit „Live At the Apollo“ klar entschieden. Zwischen Anderson, Rabin und Wakeman herrscht eine Chemie und Frische, die der Howe-Formation schon längst abgeht, und auch der musikalische Nährwert dieser Formation ist ebenfalls ungleich höher. Oder, anders gesagt, wo Jon Anderson ist, ist Yes – alles Andere tut nur so.