Out Of The Blue
Das neue Mike & The Mechanics-Album „Out Of The Blue“ ist eigentlich gar kein richtig neues Album, obwohl alle Songs 2019 erst eingespielt wurden. Die Scheibe enthält nämlich neben drei brandneuen Songs ausschließlich Neueinspielungen ältere Hits, sowohl in kompletter Bandbesetzung als auch reduziert in Akustikversionen.
Die drei neuen Songs ‚One Way‘, ‚Out Of The Blue‘ und ‚What Would You Do‘ werden alle von zeitgenössischen, gemäßigten elektronischen Rhythmen im Stil des unterschätzten „Rewired“-Albums dominiert und bieten handwerklich soliden, radiotauglichen und kantenfreien Erwachsenen-Pop, der fraglos auch neben aktuellen Ed Sheeran-Produktion bestehen kann. Im Direktvergleich mit den Klassikern könne sie allerdings leider nur bedingt mithalten – speziell das R’n’B-lastige ‚What Would You Do‘ klingt trotz gewohnt tollem Gesang von Andrew Roachford einfach etwas beliebig. Auch die „elektrischen“ Neueinspielungen dürften für Fans von Mike Rutherford und Konsorten nicht unbedingt ein allzu großer Kaufanreiz sein, wurden hier doch die Originalfassungen ziemlich exakt und Ton für Ton kopiert. Lediglich ‚The Living Years‘ bekommt ein souliges Intro mit Sam-Cooke-Flair verpasst, ansonsten bieten die Remakes nichts Neues oder Überraschendes. Da die neuen Versionen sich also außer im Gesang nicht großartig von den Originalen unterscheiden und den exzellent produzierten Urfassungen dank der vorherrschenden Sterilität auch soundtechnisch unterlegen sind, macht sich schnell etwas Enttäuschung breit. Als Liveaufnahme hätte das Ganze möglicherweise durchs Performance-Flair ein Gewinner werden können, so muss man aber die Frage stellen, ob man das wirklich haben muss, gerade weil sich von den acht Neueinspielungen auch noch vier mit den Akustikversionen überschneiden und es ja auch eine Handvoll Best-Of-Scheiben mit den Originalen gibt.
Die reduzierten Akustikversionen sind es aber, die „Out Of The Blue“ dennoch empfehlenswert machen – die sind nämlich durchweg ziemlich klasse ausgefallen. Gerade die vom letzten Album „Let Me Fly“ stammenden ‚Don’t Know What Came Over Me‘ und ‚The Best Is Yet To Come‘ klingen in ihren reduzierten Versionen nochmal mitreißender als in ihren Originalfassungen. Gerade die Sänger Tim Howar und Andrew Roachford können bei den Akustikversionen ihre Klasse voll ausspielen. Wobei „Akustikversion“ relativ weit gefasst wird, denn bei ‚The Living Years‘ ist auch ein traditioneller Synthie-Flächensound zu hören, und ‚Another Cup Of Coffee‘ kommt komplett mit Steely-Dan-Gedächtnis-E-Piano. Obersympathisch auch, dass bei ‚Over My Shoulder‘ das berühmt-berüchtigte Pfeif-Solo ein wenig schief klingt – wo man bei Mike & The Mechanics schon seit jeher größtmögliche Sauberkeit gewohnt ist, kommt so eine Imperfektion absolut willkommen und erfreulich menschlich.
„Out Of The Blue“ bestätigt insgesamt einmal mehr das große Problem des Mike Rutherford: er will’s halt immer möglichst jedem Recht machen und bei niemandem anecken. Ein komplettes Akustikalbum mit den drei neuen Songs wäre für alle Mike & The Mechanics-Fans ein Pflichtkauf gewesen – der Backkatalog hätte mit Sicherheit noch einiges an Material für die Akustikbearbeitung hergegeben. So gibt’s für die neuen Songs ne 3, die Neueinspielungen ne 3- und die Akustiksongs ne 2 – macht mit Genesis-Bonus ’ne 3+ in der Gesamtwertung.