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Starlight

Der Gedanke hinter diesem Boxset ist für Melodic-Metal-Fans und Vinyl-Sammler ein absoluter Gewinner. Im Rahmen der großen Backkatalog-Reissue-Serie des Berliner Kultlabels Noise Records hat BMG die frühen Werke der ohne Frage erfolgreichsten Noise-Band Helloween in ein fettes Boxset gepackt – erstmals in farbigem Vinyl, noch dazu. „Starlight“ heißt das Teil und versammelt die selbstbetitelte Debüt-EP, das erste vollständige Album „Walls Of Jericho“, die Maxi-Single „Judas“, beide „Keeper Of The Seven Keys“-Alben und eine überarbeitete Version von „The Best, The Rare And The Rest“ mit allen nicht auf den anderen Scheiben enthaltenen Raritäten.

Musikalisch gibt’s hier keinerlei Ansätze zur Kritik – das hier enthaltene Material gehört in jede ernstzunehmende Metal-Sammlung. Gab’s auf der EP noch qualitativ hochwertigen, aber stilistisch relativ konventionellen Speed Metal, so drehte die Band bereits auf „Walls Of Jericho“ in eine vollkommen eigenständige Richtung ab. Thrashige Riffs, weitestgehend mit durchgetretener Doublebass abgerundet, trafen auf ungewohnt hymnische und höchst eingängige Gesangslinien, die nicht nur an Judas Priest, Iron Maiden und Konsorten erinnerten, sondern auch auch immer wieder Einflüsse von Bands wie Queen, The Beatles oder gar ABBA verrieten. Was dank der raueren Stimme von Originalsänger Kai Hansen auf „Walls Of Jericho“ noch eher unterschwellig stattfand, geriet spätestens mit dem Einstieg des achtzehnjährigen Stimmwunders Michael Kiske zum unverkennbaren Trademark eines enorm einflußreichen eigenen Sounds, der mit „Keeper Of The Seven Keys Part 1“ das etablieren sollte, was später als „europäischer Power Metal“ bekannt wurde. Bombast, Speed, hoher Gesang und die „Kinderlied-Melodien“ trafen das Lebensgefühl einer neuen Generation von Metalfans, für die NWOBHM, US-Glam-Metal und Konsorten bereits „alte“ Musik repräsentierten. Mit dem ein Jahr später veröffentlichten „Part 2“ schafften Helloween sogar den Sprung in die Top 5 der LP-Charts, selbst die Single ‚Dr. Stein‘ konnte sich in die Top Ten setzen. Moderator Viktor Worms hätte laut eigenem Bekunden die Band sogar gerne in der „ZDF Hitparade“ gesehen, die sich unter dessen Einfluss gerade versuchte, vom Schlagerformat in eine ernstzunehmende Popsendung zu wandeln – vergeblich, wie wir heute wissen. Interne Querelen und Scherereien mit Management und Label trieben 1989 Bandmitbegründer, Ursänger, Hauptsongwriter und Gitarrist Kai Hansen zum Ausstieg, etwas, von dem sich Helloween kommerziell gesehen bis zur aktuellen Reunion-Tour nicht mehr erholen sollten. Somit ist hier mit Ausnahme der bei der EMI erschienen und derzeit im Rechte-Nirvana hängenden „Live In The UK“ restlos alles enthalten, was Helloween in der Hansen-Ära veröffentlicht haben.

Die Box selbst im schweren, stabilen Slipcase sieht absolut klasse aus. Der Großteil des Drucks ist matt, der Kürbis, das Bandlogo und die silbernen Sterne sind mit Glanzlack hervorgehoben – das sieht nicht nur fein aus, sondern fühlt sich auch so an. Die Kürbis-Slipmat ist ein netter Bonus für alle Vinylfreunde, liegt gut auf und fusselt nicht – letzteres leider immer noch nicht selbstverständlich. Auch das großformatige Poster kann erfreuen – auch wenn natürlich die Frage bleibt, ob die vermutlich etwas ältere Zielgruppe, die sich das doch recht hochpreisig angesetzte Boxset leisten kann, Verwendung dafür hat. Mit Sicherheit bin ich aber nicht der Einzige, der sich dabei angenehm in die alte „Metal Hammer“-Poster-Zeit zurückversetzt fühlt, und Nostalgie ist bei einem solchen Boxset immer ein großer Faktor. Die LPs sind sauber gepresst, laufen perfekt rund und das farbige Vinyl kommt ohne irgendwelche Einschlüsse – auch da kein Grund zum Gemecker. Lediglich „Walls Of Jericho“ war am Plattenrand nicht sauber entgratet, aber das ist ja relativ schnell selbst zu korrigieren. Die Alben nutzen alle die 2006er Remasters als Vorbilder, die klingen, wie sie nun mal klingen: lauter, aber auch schriller und komprimierter als die Originalscheiben. Persönlich hätte ich da doch gerade auf Vinyl die exzellenten Originalmasters vorgezogen, das bleibt aber letztendlich reine Geschmackssache und ist kein Grund zum Punktabzug.

Ein paar Enttäuschungen hält „Starlight“ aber dennoch bereit. So ist die Bildqualität der einzelnen Albumcovers leider nur mittelmäßig ausgefallen. Die Covers sind etwas rotstichig geraten, was auf der EP früher grün war, ist nun sattes Gelb, von der schattenhaften Monstersammlung im Torbogen der ersten „Keeper“ sind nur noch ein paar Linien im Dunkel zu sehen. Gerade bei den ebenso aufwändigen wie ikonischen Artworks der enthaltenen Scheiben ist dies ein echter Minuspunkt – genauso das Fehlen von bedruckten Innersleeves. Die waren nämlich bei den Originalen genauso liebevoll und originell gestaltet wie die eigentlichen Artworks und enthielten Texte, Fotos, Sleevenotes, eigens gezeichnete Comics – fehlt hier alles. So sind auch nur bei den „Keeper“-Scheiben die im Gatefoldcover abgedruckten Lyrics enthalten, und auf ein Booklet mit Zusatzinfos muss man hier leider ebenfalls verzichten.

Noch schwerer wiegt allerdings, das einige der über die Jahre in verschiedenen Magazinen und unter Fans oft kritisierten Fehler der 2006er Remasters auch für die neuen Vinylscheiben nicht korrigiert wurden. So sind beispielsweise bei der „Judas“-Maxi keinesfalls die beiden nur auf der originalen Vinyl-Maxi erhältlichen Livetracks auf der B-Seite zu finden, die immerhin die einzigen offiziellen Livemitschnitte der Originalbesetzung darstellen. Stattdessen gibt es auch hier die „gefaketen“ Versionen, sprich, die „Walls“-Studio-Takes mit unterlegten Publikumsgeräuschen, die auch auf der 2006er CD verwendet wurden. Wer die echten Livesongs haben will, muss also weiterhin eine gebrauchte „Judas“-Originalpressung ersteigern. Auch die auf der „The Best“ zu findenden Songs vom „Death Metal“-Sampler stammen wieder einmal nicht von den Originalmasters, sondern bieten die selben nur mitteltoll von Vinyl gezogenen Versionen wie die auf den 2006er Remasters. Das ist besonders ärgerlich, weil für den „12 Years In Noise“-Sampler seinerzeit eine glasklare Version von zumindest ‚Oernst Of Life‘ auf CD verwendet wurde.

So sehr es natürlich Sinn macht, die erfolgreichste Phase der Band auf Vinyl neu aufzulegen, „Starlight“ ist leider eher „Twilight“ geworden. Denn preislich (knapp über 100€) ist die Box im selben Bereich wie die inhaltlich vergleichbaren Boxsets der Rolling Stones oder Yes angesiedelt und sogar ca. 25% höher als beispielsweise Devin Townsends „Eras 1“, kann aber in der Ausführung qualitativ mit diesen Referenzen einfach nicht mithalten. Schade, denn gerade diese B-Note, die „attention to detail“ macht solch ein teures Boxset eben erst zu etwas Besonderem – und genau da ist „Starlight“ leider nicht so hochwertig ausgefallen, wie es Band und Musik verdient hätten.

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