40 Tours Around The Sun
Nach so ziemlich jeder Toto-Tour folgt ein Livealbum, das sind wir mittlerweile gewohnt. Da sich die Herrschaften um Steve Lukather aber auch auf jeder Tour ordentlich was einfallen lassen und nicht, wie viele Zeitgenossen, einfach Jahr für Jahr das selbe Greatest-Hits-Set abspulen, passt das auch schon. So überschneidet sich die Tracklist vom aktuellen, im mit 18000 Fans gefüllten Ziggodome in Amsterdam aufgezeichneten Mitschnitt „40 Tours Around The Sun“ nur auf vier Positionen vom 2014er „Live In Poland“. ‚Africa‘, ‚Rosanna‘ und ‚Hold The Line‘ sind unumgänglich, und ‚Stop Loving You‘, die vierte Überschneidung, wird heuer sogar als umarrangierte Akustikversion dargebracht, zählt also schon fast nicht mehr.
Keine Sorge, der Backkatalog der Band gibt aber auch für „40 Tours Around The Sun“ noch genügend Hits her. Neben den oben erwähnten Unumgänglichen diesmal beispielsweise ‚I Will Remember‘, ‚Make Believe‘, ‚Georgy Porgy‘ oder ‚Holyanna‘ – letztere beide in Akustikversionen. Amüsanterweise kündigt Lukather ‚Holyanna‘ als „something of a deep cut‘ an, wo der Song doch in Deutschland heute noch zum Standardprogramm der Mainstream-Radiosender gehört und nach den „großen Drei“ wohl der bekannteste Song der Band ist. Deep Cuts gibt’s aber auch so Einige, und die geben auch diesmal wieder die Höhepunkte für Fans. ‚Lovers In The Night‘, ‚Girl Goodbye‘ oder ‚English Eyes‘ hat man ja über die Jahre schon ein paar Mal im Set gefunden, aber spätestens bei Songs wie dem epischen ‚Angela‘ oder ‚Stranger In Town‘ und ‚Lion‘, beide vom kolossal unterschätzten, aber wohl besten (other opinions are available) Toto-Album „Isolation“, geht jedem Plüschrock-Fan das Herz auf. Der absolute Höhepunkt ist aber das instrumentale ‚Desert Theme‘ aus dem göttlichen Soundtrack zu David Lynchs „Dune“, das seit 30 Jahren nicht mehr auf einer Toto-Setlist gestanden hatte – nur das Intro war vor Jahren einmal Teil eines Medleys gewesen. Mit ‚Miss Sun‘ (Boz Scaggs) und ‚Human Nature‘ (Michael Jackson) gibt’s noch zwei Songs, die die Band für Kollegen geschrieben hatte, und mit ‚While My Guitar Gently Weeps‘ auch einen Song von der Coverscheibe „Through The Looking Glass“.
Die Songs sind also allesamt klasse ausgewählt, aber was ist mit der musikalischen Umsetzung? Ich sag’s mal so: ich glaube nicht, dass Toto je ein besseres Line-Up auf die Bühne gebracht haben. Dass seit der Reunion 2008 neben Lukather mit David Paich und Steve Porcaro (beide Keyboards) wieder zwei enorm prägende Ur-Mitglieder auf der Bühne stehen, hat der Band unglaublich gutgetan. Ebenso wie die Entscheidung, den zum Ende hin immer mehr mit stimmlichen Problemen kämpfenden Bobby Kimball damals durch den nach wie vor göttlich klingenden, Ende der Achtziger schon in Totos Diensten stehenden Joseph Williams (Sohn von John, liebe Trivia-Fans) zu ersetzen. Nun die unpopuläre Meinung: auch der 2014 erfolgte Abgang von Drum-Wunder Simon Phillips hat der Band enorm gutgetan. Wo Phillips ab Mitte der 1990er eher die sanften, jazzigen Grooves bevorzugte, bringt speziell der aktuelle Neuzugang und Dave-Grohl-Lookalike Shannon Forrest eine kräftig rockende Note in die Songs, die der Band schlicht und einfach besser zu Gesicht steht. Dazu passt auch Bassist Shem von Schroeck, der noch dazu exzellente Backing Vocals beisteuert. Dass die beiden ihren Vorgängern durchaus das Wasser reichen können, beweisen sie spätestens im Fusion-Instrumental ‚Jake To The Bone‘ – genauso virtuos wie eh und je, nur ein gutes Stück druckvoller. Abgerundet wird die Truppe von Percussion-Legende Lenny Castro, der laut Discogs auf 866 Alben mitgespielt haben soll und Saxofonist/Multiinstrumentalist Warren Ham, der Siebziger-Hardrock-Fans noch als Sänger der Christenrocker Bloodrock bekannt sein dürfte und natürlich! auch hier noch exzellenten Backgroundgesang beisteuert. ZUsammen klingt diese Mannschaft schlicht ehrfurchtgebietend, und Toto schaffen es diesmal auch, die perfekte Balance zwischen ihrer songorientierten Seite und dem Spaß am Rauslassen der musikalischen Wutz zu finden – technische Kabinettstückchen und ausgedehnte Jams werden diesmal eher in die Songs integriert – ‚Rosanna‘ bekommt beispielsweise zum Ende noch eine gut vierminütige Jam spendiert, und Castro darf sich mit Forrest am Ende von ‚Africa‘ solistisch austoben – bevor das Ganze aber selbstverliebt wirkt, kommt die Band immer wieder auf den Kern der Songs zurück. Und über allem schwebt das Flair einer Mannschaftsleistung: obwohl jeder sein Spotlight bekommt, niemand spielt sich dauerhaft in den Vordergrund, und ellenlange Soloeinlagen einzelner Musiker gibt es diesmal auch nicht.
Auch der Sound ist wie gewohnt vom Feinsten, und auch am Bild der DVD-Fassung kann man nichts meckern – das war aber beides zu erwarten, oder. „40 Tours Around The Sun“ zeigt die Band also auf einem unerwarteten, späten Karrierehöhepunkt. Nicht nur für eingefleischte Fans ein perfektes Zeugnis dessen, was großartige Musiker, großartige Songs und eine unüberhörbare Spielfreude an Unterhaltungswert bieten können – und damit auch irgendwie die Messlatte für die Konkurrenz. Wenn nur die kongeniale Coverversion von Weezers ‚Hash Pipe‘ damals schon existiert hätte…