LOCUST FUDGE – Lernen im Schlaf
Locust Fudge haben im letzten Jahr ihren Dornröschenschlaf beendet und 21 Jahre nach der letzten EP ihr Album ‚Oscillation‘ veröffentlicht. Am Wochenende geht die Band erneut auf Tour und durchstreift den äußersten Westen und Süden der Republik. Whiskey-soda.de präsentiert und hatte zu diesem Anlass auch ein paar Fragen an die Schrammelrock-Urgesteine Schneider und Krite.
Nicht nur die taz redete 2018 davon, dass Locus Fudge „überraschend wiederauferstanden“ sind. Wie fühlt sich Wiederauferstehung an?
Schneider: Danke, sehr gut… Es war ja quasi eine alte Verabredung, denn es hatte irgendwie nicht funktioniert, 1997 wie ursprünglich geplant ein neues Album aufzunehmen, da diverse Dinge wie z.B. das Leben und andere Projekte dazwischen kamen. Wir sind auch ganz froh, solange gewartet zu haben, denn ein 1997er Album wäre sicherlich anders, wahrscheinlich etwas kopflastiger ausgefallen. So fühlt es sich ein bisschen wie ein zweites Debut-Album an, denn wir hatten ja letztendlich über 20 Jahre Zeit, neue Songs zu schreiben und diese für ein neues Album sorgfältig auszuwählen.
Krite: Als sich Locust Fudge vorübergehend auf Eis legten, war nicht nur die Musikwelt eine komplett andere als zum Zeitpunkt der Wiederauferstehung. Ich sehe einen entscheidenden Aspekt darin, dass wir zwar immer exakt das verfolgt haben, was wir zur jeweiligen Zeit wollten, ohne uns an irgendeiner Form von Erwartungshaltungen oder Markt zu orientieren; in den Neunzigern jedoch eher Teil einer gegenkulturellen Popwelt waren, die es in der Form nicht mehr gibt. Die ist heute wesentlich disparater, breiter gefächert, unübersichtlicher. Kein Markt, der Einen noch irgendwie beeinflussen oder zu einem „Dagegen“ animieren würde. In gewisser Weise fühlen wir uns musikalisch jetzt noch freier als in den Neunzigern. Die Band hat im Schlaf sicher einiges gelernt.
Was war der Grund, sich nach so vielen Jahren wieder zusammenzutun?
Schneider: Es fing damit an, dass unsere alten Alben ‚Flush ‚& ‚Royal Flush‘ 2014 als Doppel-Vinyl bei Kapitän Platte wiederveröffentlicht wurden und wir zu diesem Anlass einige Konzerte gespielt haben.
Krite: Die Beharrlichkeit, mit der wir zum Re-Release unserer ersten beiden LPs überredet wurden, war auf jeden Fall der Motor, der uns dazu gebracht hat, in unseren auch ohne Locust Fudge musikalisch extrem ausgelasteten Leben Raum zu schaffen für Neues. Und ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist dabei die Rolle unseres Schlagzeugers Chikara. Uns wurde sofort klar, dass wir in dieser Trioformation alle Mittel zur Hand haben, uns völlig frei in unserer Geschichte zu bewegen.
Eine ganze Reihe von namhaften Gastmusikern haben am Album mitgearbeitet. Wie groß war ihr Einfluss am Entstehen der betreffenden Songs?
Krite: Alle Songs waren fertig geschrieben und in Trioversionen aufgenommen, bevor die Gastbeiträge dazukamen. Die ursprünglichen Versionen hätten ohne weiteres ein gutes Album abgegeben, aber die Offenheit der Songs für verschiedenste Arten von Input hat es ermöglicht, von den Trioversionen auf eine andere Stufe zu gelangen. Durch den sowieso schon vorhandenen grossen Anteil an Improvisation auf dem Album waren Räume offen, in denen die Gäste wirklich als selbstständige künstlerische Positionen auftreten konnten, ohne vorgegebene kompositorische Notwendigkeiten zu erfüllen. Nehmen wir Ulrich Krieger als Beispiel: Das Saxophon ist nicht irgendeine funky neue Idee, um irgendetwas aufzupeppen, die bis dato bei Locust Fudge nicht vorkam, sondern es spielt unüberhörbar Ulrich Krieger, wie er es für richtig hält. Aus diesem Blickwinkel heraus ist der Beitrag der Gastmusiker*innen enorm.
Schneider: Ausser in ein, zwei Fällen haben wir überhaupt keine Vorgaben gemacht, jedoch teilweise später schon etwas stärker editiert und bearbeitet. Z.B. das zweite lange Fuzz-Solo von J Mascis in dem Noise-Teil bei ‚Light & Grace‘ ist rückwärts durch ein Modular-System geschickt worden und entwickelt dadurch die passende Farbe für den Teil. Das erste Solo hingegen ist unbearbeitet, genau so wie J es aufgenommen hatte. Falls es irgendwann ein weiteres Locust Fudge Album geben sollte, wollen wir diese Arbeitsweise auf jeden Fall etwas aufbrechen und verstärkt zusammen mit Gästen unsere Musik in Sessions entwickeln und aufnehmen.
Um einen Blick in die Bandgeschichte zu werfen: Locust Fudge wurde 1991 „irgendwo in Ostwestfalen“ gegründet, im Umfeld und Kooperation mit mehreren anderen Bands. Warum gedieh Musik wie die Eure in den 90er Jahren besonders gut in dieser Gegend? Was war das Charakteristische am Sound von Ostwestfalen dieser Zeit?
Schneider: Es gab in dieser Zeit in und um Bielefeld herum relativ viele Clubs (z.B. Forum Enger, Niedermühlenkamp, AJZ, PC 69 oder Hunky Dory & Alte Pauline in Detmold), in denen wir Bands vor allem aus USA oder UK gesehen und dann ab Ende der Achtziger Jahre mit einigen dieser Bands und auch eigene Konzerte gespielt haben. Desweiteren gab es in OWL den Britischen Sender BFBS (British Forces Broadcasting Service) im Radio, wo wir John Peel hören konnten, was die ganze Region subkulturell ziemlich geprägt und eine aktive ,Indie’-Szene mit vielen unterschiedlichen Bands, Studios, Plattenläden etc. inspiriert hat.
Der Sound, zumindest unserer damaligen Bands wie Speed Niggs oder Hip Young Things, war irgendwo zwischen Post-Punk, Folkrock, Indiepop, einer eigenartigen Schrägheit etc. zu verorten und inspiriert von Bands wie Hüsker Dü, The Wipers, Neil Young & Crazy Horse, Sonic Youth, Pixies, ELO, The Feelies, The Velvet Underground oder Dinosaur Jr. etc etc…
Ich denke, dieser Sound passte irgendwie ganz gut zu der Gegend, die sich in teilweise extremen Spannungsfeldern zwischen urbanen und ländlichen Strukturen ergießt, durch die man im Auto rauchend und laut Musik hörend zum nächsten Ereignis fahren konnte oder musste. Fortbewegung, die Bewegung nach vorne ist ein entscheidender Aspekt unserer Musik… Darum ist es auch eine Art Surf-Musik und wir spielen vorzugsweise Offset-Gitarren wie Fender Jazzmaster o.ä…. Die Form dieser Gitarren geht auch dynamisch nach vorne.
Krite: In der Provinz herrscht viel Langeweile. Das ist immer ein ganz guter Antrieb, selber mehr auf die Beine zu stellen.
Inwiefern knüpft Ihr mit dem neuen Album an diese Zeit und diesen Sound an?
Schneider: Dadurch, dass zwischen unserem letzten Album ‚Royal Flush‘ (1995) und ‚Oscillation‘ (2018) mehr als 22 Jahre liegen, ist es höchstwahrscheinlich wesentlich näher an unseren Wurzeln, als wäre es wie geplant 1997 entstanden. Für meinen Teil liegt es auch daran, dass ich in den letzten 20 Jahren neben Filmmusik vor allem experimentelle elektronische und abstrakte improvisierte Musik gemacht habe wie z.B. als Schneider TM oder zusammen mit Ilpo Väisänen als (die) ANGEL. Als wir 2014 wieder anfingen zu spielen, war es für uns beide eine sehr positive Erfahrung auf diese physische Art Musik zu machen.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass ‚Oscillation‘ von unseren Wurzeln ausgehend einen recht weiten Bogen spannt, der teilweise in für uns untypischen klanglichen Gefilden landet, denn es gibt viele neue Elemente, die wir in den Neunzigern nie benutzt haben und vielleicht auch nicht benutzt hätten: Saxophone, Querflöten, Trompeten, Bassklarinetten, Modular System, Ledersofa, Vocoder, Flex etc..
Inzwischen lebt Ihr in Berlin. Ist die Stadt nicht überbewertet?
Schneider: Ja, wir leben seit über 20 Jahren in Berlin. Ich denke, es gibt sehr viele verschiedene Realitäten in dieser Stadt, wovon einige bestimmt überbewertet sind. Leider gibt es mittlerweile sehr viele Leute hier, die Berlin nur ,konsumieren’ wollen und wenig positiven Input geben, diese Leute halte ich für überbewertet und zwar vor allem von sich selbst.
Ich bin aber sehr froh, dass es auch genug Andere gibt… Das ist toll. Es ergeben sich alle möglichen Situationen und Projekte, die zumindest ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Das ist auch Berlin und tendenziell unterbewertet. Es ist diese magische Eigendynamik dieser Stadt, die es Einem manchmal schwer macht, die eigenen Pläne durchzuziehen, da man andauernd mit etwas anderem beschäftigt ist. Wenn man keinen Fokus hat, ist es quasi unmöglich, hier zu (über-)leben.
Krite: Selbstredend führt der Zuzug in die Metropolen zu einer Art Gleichschaltung, weil das Kapital letztich überall mehr oder weniger die gleichen Veränderungen durchsetzt, wie z.B. die Verdrängung der städtischen Bevölkerung zugunsten von Investorenprojekten. Das ist wahnsinnig ätzend und in den letzten Jahren extrem verschärft. Trotzdem hat man als Berliner, der viel in anderen grossen Städten unterwegs ist, immer noch das Gefühl, an einem relativ offenen, freien Ort zu leben.Die Möglichkeiten, die Berlin früher geboten hat (wie z.B. auf ökonomisch sehr niedrigem Level trotzdem ein tolles gesellschaftliches Leben zu führen), sind so nicht mehr vorhanden. Ich sehe diese Entwicklung aber überall. Das ist nicht Berlin-spezifisch. Das in dieser Hinsicht Spezielle an Berlin ist vielleicht eher, dass die Stadt nach wie vor eine Art Sehnsuchtsort für Leute ist, die Freiheit suchen. Dieses Versprechen kann Berlin auf vielen Ebenen nicht mehr einlösen.
Foto: Robert Geismar