|

John Steam Jr. – Die Bälle in der Luft halten

Darüber, dass die Zeiten schwer genug sind, braucht man nicht noch extra sprechen, hingegen über gegenseitige Unterstützung schon. „In Portland, dem liberalen Mekka der USA“ ist John Steam Jr. über einen Sticker im Donuts-Laden über die „Community Not Competition“-Kampagne gestolpert. Er hat sich gefragt, warum es in dem „kapitalistischen Konzept, wo es darum geht, möglichst viele Donuts zu verkaufen“ möglich ist, andere Donuts-Läden zu supporten, die Musikwelt sich damit aber schwertut. Ein Sticker wurde entworfen, der Donuts-Laden-Typ fand die Idee spitze, und plötzlich gab es Feedback, dass die Problemwahrnehmung deutlich größer war als angenommen. Das Logo hat sich auf Weltreise begeben und auch hier vor Ort seine Fans gefunden: Das Der Krater bebt- und das Wasted-Festival haben das Logo z.B. benutzt. Das hat sich richtig verselbstständigt und das darf es auch.“ Auch das Thema Booking liegt dem Sänger am Herzen: So hat er einen Booking-Stammtisch initiiert, der jedoch etwas „am Interesse krankt. Leider waren es aber nur die Leute, mit denen man eh Kontakt hat.“ Dabei war das Konzept echt gut gedacht – ein Austausch, Speed Dating-mäßig durchgeplant, wer mit wem zusammenkommt, bzw. voneinander profitieren könnte: „Klassisches Cello und Death Metal passiert eher nicht an denselben Orten.“ Häufig ist es aber auch so, dass Musiker*innen professionelles Booking gar nicht verstehen oder betreiben und warten, dass es von allein passiert. „Der kleinste Teil meines Jobs ist es auf Bühnen zu stehen oder Songs zu schreiben – aber jeden Tag 3 Stunden vorm Rechner, eigentlich ein Office-Job.“ Man muss einfach bereit sein, da auch viel zu investieren und darf das nicht aus einer verklärt-romantischen Künstlerperspektive sehen, die eine vollkommen falsche Erwartungshaltung generiert. Die Wahrheit liegt – wie immer – irgendwo dazwischen. „Booking ist Arbeit, und den Reflex, ein Konzert vor fünf Leuten als Ausfall zu bewerten, muss man auch mal unterdrücken.“

Der Musiker ist aber nicht nur solo unterwegs, sondern immer wieder auch mit Band anzutreffen oder innerhalb des Kollektivs Folk’s Worst Nightmare. „Die Entscheidung war keine wirtschaftliche, sondern reine Liebhaberei, weil ich auch mit Band spielen möchte. Solo würde mir finanziell mehr bleiben, weil ich meine Musiker*innen fair bezahle, damit es nicht mehr unmoralisch-ausnutzend ist.“ Die nächste Spielwiese, um sich künstlerisch auszutoben, ist dann das Kollektiv, welches gegenüber Bands einen großen Vorteil hat: „Bands scheitern oft daran, dass Teile der Band mehr geben, aber alle gleich viel rausziehen. Das gibt es im Kollektiv nicht, man bringt ein, was man kann“ und hat damit die absolute emotionale Freiheit. Das ist fast schon philosophisch, oder zumindest hippie-esk, bietet aber der Kulturbranche im Allgemeinen große Chancen.

Geschirrtücher, ein Strike

Die Merchproduktion ist auch etwas, worüber sich John Steam Jr. sehr viele Gedanken macht. Das 100ste schlecht produzierte Shirt ist eher nicht so seins. Beim Blick auf die eigenen, durchlöcherten Geschirrtücher in der heimischen Küche entstand die Idee etwas vollkommen anderes auszuprobieren, was dann sogar „zum bestverkauften Merchartikel wurde. Ich lasse die in Nürnberg bedrucken, mit Ökotex-Farben auf Fairtrade Textilien und minimiere den Transportweg.“ Natürlich sind solche Produkte in Einkauf und Produktion kostenintensiver, man kann aber einfach „keine 20 € dafür verlangen. Ich bin der, der die dann manchmal trotzdem für 10 € hergibt und Verlust macht.“ Gleichzeitig werden Shirts aber noch immer am meisten nachgefragt, da gibt es auch keine richtig „tolle Lösung“. In England gibt es eine Firma, die „sehr hochwertige Textilien rein aus Retouren“ herstellt, z.B. aus „der alten Gucci-Kollektion, die weggeworfen wird.“ Das hat dann aber wiederum ein Preisgefüge, von mindestens „30 € pro Shirt, was ich gegenüber Menschen, die sich das nicht leisten können, schwierig finde.“ Auch (finanzielle) Vorleistung, das Vorhalten sämtlicher Größen, Lagerung und der Transport zum Venue, wenn man doch eigentlich mehr Zug fahren möchte, erschwert das Ganze. Man möchte nicht der sein, der sagen muss: „Sorry, aber für deinen Körper habe ich nichts.“ Da ist die Diskussion um Body Positivity schnell am Ende. Aber es gibt da leider keine perfekte Lösung, wenn man es selbst noch halbwegs wirtschaftlich halten muss oder möchte. „Zugang zu Kultur muss aber ohne großes Einkommen möglich sein“ – das ist die große Krux daran.

„Ich bin ein sehr schlechter Kapitalist“

Machen wir einen Perspektivwechsel, hin zum Veranstalter, welcher der Musiker auch ist. „Da lerne ich sehr viel. Wenn du abhängig und auf Informationen angewiesen bist, die Künstler*innen aber träge sind.“ Zumal Veranstaltungen ja auch immer Teamwork sind, ist es „wahnsinnig stressig, wenn von zwei Seiten an dir gezogen wird. Ich weiß dadurch, wie ich als Musiker nicht sein möchte.“ Gleichzeitig erschließt es aber auch neue Optionen, indem sich durch die Veranstalter-Rolle auch wieder neue Konzerte eröffnen, denn „die Leute erinnern sich an dich.“ Weil Veranstaltungen immer so divers wie möglich sein sollten, sind auch reine Frauen/FLINTA*-Veranstaltungen, „weil die Typen eh schon genug Optionen finden“, keine Ausnahme. Dies bietet den „Boden, wo sich alle wohlfühlen“, denn so eine Veranstaltung bringt auch die Verantwortung dafür mit sich. In großen Strukturen ist das aber schwierig. Auch wenn es gute Ansätze gibt, versanden die zwischen Werbepartnerschaften, Vertragszwängen und Dealabsprachen: „Es gibt ein strukturelles Problem, aber wenn Festivals keine Tickets mehr verkaufen, ist auch niemandem geholfen.“ Umso wichtiger ist es aber, das zu thematisieren und den Erziehungsauftrag diesbezüglich zu erfüllen. „Es gibt nämlich ein Alter, in dem alle Geschlechter zu gleichen Teilen Musik machen. Aber am Ende landen doch nur die Typen auf der Bühne. Das sind schon unsere gesellschaftlichen Strukturen.“ Der Sänger erzählt weiter: „Ein Freund von mir meinte, dass Hardcore und Punk Subkulturen sind, bei denen man sich aktiv in eine Minderheitenrolle begibt. Aber wenn du als PoC dein ganzes Leben lang in der Minderheit warst, hast du wenig Lust, dich wieder aktiv in diese Rolle zu begeben“.

Trotz all der angesprochenen Problemfelder wollten wir wissen, wie John Steam Jr. hoffnungsvoll bleibt. „Ist das eine Wie- oder eine Ob-Frage?“ Manchmal fällt es schon schwer, noch daran zu glauben, „mein privates Umfeld hilft mir und meine kleine Tochter, sie sieht die Welt noch mit anderen Augen.“ Aber es ist ja auch nicht alles schlecht, denn „es gibt wahnsinnig gute Leute und gute Ideen, aber auch das Potenzial, dass diese Ideen irgendwann Gehör finden.“ An diese zuversichtliche Aussage halten wir uns – ist nämlich eh schon ein tolles Schlusswort geworden. Einfach so.

Fotocredit: Gert Krautbauer und Cris Civitillo (Titelbild)

John Steam Jr. Bandhomepage

John Steam Jr. bei Facebook

John Steam Jr. bei Instagram

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar