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Encore – Live In Milano

Eines vorweg: ich bin kein wirklicher TNT-Fan – genauer gesagt, kein Fan mehr. Ja, mit „Tell No Tales“ und „Intuition“ haben die Norweger zwei großartige Scheiben gemacht, die ich immer noch gerne auflege, und der metallische Vorgänger der beiden, „Knights Of The New Thunder“, hat auch einige ganz große Momente. Seither hat mich aber nicht ein einziges Album der Band mehr überzeugt, und nach einem katastrophalen Liveset beim 2003er Bang Your Head-Festival, bei dem in übertriebener Lautstärke und bei miesem Sound Tony Harnell fast permanent an der korrekten Tonlage vorbeikreischte und Ronnie LeTekro mit ewigem, selbstverliebtem Gedudel nervte, hatte ich die Band endgültig abgehakt. Auf der vorliegenden DVD/CD-Kombi „Encore – Live In Milano“, mitgeschnitten beim Frontiers Rock-Festival 2017, wird aber vor allem das damalige Dreißigjährige von „Tell No Tales“ gefeiert, weshalb gut die Hälfte des Sets aus Songs besagten Albums besteht. Da ist dann die Neugier doch plötzlich wieder groß.

Und in der Tat kann man mit einem Programm, das mit Ausnahme von drei Songs des „My Religion“-Albums ausschließlich aus Achtziger-Stoff besteht, eigentlich gar nicht so viel verkehrt machen. ‚Caught Between The Tigers‘ und das metallische ‚Tor With The Hammer‘ fehlen zwar, aber dafür gibt’s massenweise andere Hits wie ‚Tonight I’m Falling‘, ‚Listen To Your Heart‘, ‚Everyone’s A Star‘, ‚Seven Seas‘ und natürlich ‚10000 Lovers‘, die in angenehm nostalgische Stimmung versetzen und durchaus als „Best Of“ durchgehen. Tony ist diesmal auch ganz großartig bei Stimme – ich weiß nicht, wie er das macht, aber da sitzt jeder noch so hohe Ton genauso punktgenau wie 1987. Ronnie LeTekro trägt wieder den Catsuit von ABBAs Agnetha und Uli Jon Roths Stirnband, macht sein „balls-in-a-vice“-Schmerzgesicht, dudelt gelegentlich an der richtigen Tonart vorbei und ist immer noch abartig schnell, speziell mit der Anschlaghand. Wie immer, halt. Ur-Drummer Diesel Dahl ist auch am Start und liefert solide Arbeit ohne Mätzchen ab. Instrumental also alles im grünen Bereich, und auch der Set fließt gut, nur das siebenminütige Gitarren-Instrumental lädt zum Skippen ein, der zähe Opener ‚Give Me A Sign‘ ist vielleicht auch etwas unglücklich gewählt – letztlich aber Geschmackssache.

So richtig will die alte Sympathie aber leider trotzdem nicht wieder aufflackern. Zum Einen ist der Sound ziemlich mittelprächtig ausgefallen, die Vocals von Tony Harnell stehen oft unangenehm weit im Vordergrund, wodurch sie oft unangenehm schrill wirken. Drums, Bass und Keyboards sind hingegen soundtechnisch ganz weit nach hinten gerückt, was der Sache viel Druck nimmt. Ebenfalls uncool sind die immer wieder in den unpassendsten Momenten eingespielten falschen Publikumsgeräusche, die dem Auftritt beigemischt wurde. Wenn man die DVD betrachtet und ein Madison Square Garden-Publikum hört, obwohl die sichtbaren Zuschauer gerade mucksmäuschenstill stehen, kommt man um ein verschämtes Grinsen nicht herum. Gerade deshalb seltsam, weil zumindest in der zweiten Hälfte, wo Hit auf Hit folgt, hörbar exzellente Stimmung geherrscht haben muss. Auch ist die Performance ein wenig zu sehr mit angezogener Handbremse abgeliefert, so richtiges Arschtritt-Feeling mag irgendwie nicht aufkommen, auch bei härteren Songs wie ‚Downhill Racer‘ (nur auf der DVD enthalten) und ‚Seven Seas‘ nicht. Am Meisten stört aber eine ganz wichtige Sache. Ich applaudiere ja jeder Band, die ihre Background-Gesänge nicht vom Band einspielt, sondern nach wie vor selbst singt. Aber was TNT hier an schiefem Gesäusel abliefern, rollt bisweilen wirklich die Zehennägel auf – wie kann man nur Songs wie speziell ‚Northern Lights‘ oder ‚Desperate Night‘ so ruinieren? Umso seltsamer, weil die Backings bei ‚Everyone’s A Star‘ dann doch zumindest teilweise vom Band zu kommen scheinen.

Was aufgrund der Songauswahl also ein hundertprozentiger Gewinner hätte sein müssen, bleibt doch eher Mittelmaß – TNT scheitern nicht zum ersten Mal an der eigenen, übergroßen Vorlage. Eingefleischte Fans der Band werden das vielleicht anders sehen, Neueinsteigern sei hingegen dennoch eher zu den originalen Ausgaben von „Tell No Tales“ und „Intuition“ geraten – die Songs gehören nämlich immer noch zum Besten, was der Skandi-Hardrock je hervorgebracht hat.

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