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Carrie & Lowell

‚I forgive you, mother, I can hear you / And I long to be near you / But every road leads to an end‘

– ‚Death With Dignity‘

Sufjan Stevens war noch nie der Typ für leichte Kost. Ob nun elektronische Klangwelten oder der Plan über jeden U.S. Bundesstaat ein Album zu schreiben, ausgefallen sein – das hat es ihm angetan. Legt man allerdings ‚Carrie & Lowell‘ ein, ist es keinesfalls eine überkandidelte Klangwelt der großen Garde, die einen erwartet. Nein, im Gegenteil: Es sind zarte Gitarren und hauchender Gesang. Er löst sich von hochtreibenden, manchmal wahnwitzigen Projekten, um den richtigen Kanal (wieder) zu finden. Das Große auf ‚Carrie & Lowell‘, das liegt im Wort. Oder das Große liegt darin, dem Kleinen so viel zuzutrauen.

Vor allem eines sind die elf Songs auf seinem siebten Studioalbum: pur. Pur an Instrumenten, pur an Wort und pur an Emotionen. Es geht um sein Verhältnis zum Tod, Verlust, Angst und Trauer. Sufjan Stevens vertraut allein auf sein Zupfinstrument beim Transport der Gefühle. Lediglich ein paar Mal verbinden sich die unverfälschten und reinen Gitarrenpickings mit einigen Klavierakkorden (‚Fourth of July‘) oder dem atmosphärisch und sakral wirkenden Summen im Hintergrund (‚John my Beloved‘). Seine Stimme klingt geisterhaft und gebrochen. Wie ein leises Flüstern, das einem kurz vorm Einschlafen beruhigend die Angst vor dem Ende nehmen möchte.

Auf ‚Carrie & Lowell‘ will er seine Erinnerung in etwas Greifbares verwandeln. Rührend und ehrlich erzählt Sufjan Stevens eine Geschichte. Diese Geschichte ist seine eigene. Schon dem Albumcover zu entnehmen, versucht er die Zeit mit seiner Mutter Carrie und seinem Stiefvater Lowell Brams zu verstehen und zu verlebendigen. Diese Geschichte führt nach Oregon, in vergangene Sommer und zu Kindheitserinnerungen. Dort, wo Stevens seiner depressiven und drogenkranken Mutter am nächsten war, die ihn und seine Geschwister früh verließ. 2012 starb Carrie. Die Erinnerung bleiben – und die große Sehnsucht zu verstehen.

‚Should I tear my eyes out now / before I see too much? / Should I tear my arms out now? / I want to feel your touch / Should I tear my eyes out now? / Everything I see returns to you somehow‘

(‚The Only Thing‘). Zum Schluss spürt man allein den Drang Stevens, die glückliche Zeit mit ihr und seinem Stiefvater konservieren zu wollen. Denn fern jener Annahme, er setze seine Mutter auf die Anklagebank, findet er den richtigen Weg für sich, Carrie in liebender Erinnerung zu wahren.

Zurück beim Folk, zurück zur Akustikgitarre und zurück in die Vergangenheit. Blutige Ehrlichkeit und Rückbesinnung sind zerlatschte Schuhe im Geschäft, hier aber die passendsten, die er aus dem alten Schrank hätte kramen können. Bei Sufjan Stevens funktionieren sie auf magische Weise, denn selten bekommt die eigene Lebensgeschichte einen so ergreifenden Soundtrack wie auf ‚Carrie & Lowell‘.

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