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Eine Nacht in Berlin

Er ist nur gut, wenn keiner guckt. Er hat einen kleinen, grünen Kaktus auf dem Balkon und wenn er seine Liebste erwischt, beim Riesling mit dem Fiesling aus dem Hochparterre, dann wird ihm ganz morbide. Die Rede ist von Max Raabe, dem ansonsten recht unscheinbar anmutenden Bariton-Sänger-Charmeur, der mit seinem Palastorchester des Öfteren den Admiralspalast heimsucht und gerne mit dem Rad zur Arbeit fährt. So auch an diesem Abend, von welchem die zu diskutierende Aufnahme stammt.

‚Eine Nacht in Berlin‘ ist ein Live-Album. Die Idee dahinter ist recht alt, schon Joey Ramone erklärte im Jahre 1978 seinem New Yorker Publikum: ‚Maybe you know this show’s being recorded for a live album…‘ und selbst davor, im Jahre 1938, nahm das Benny Goodman Orchester den Klassiker ‚Sing Sing Sing‘ im Rahmen eines Live-Konzerts in der weltbekannten Carnegie Hall auf. Mit Video!

Nichts Besonderes also. Warum trotzdem sich mit Max Raabe beschäftigen? Nun, Max Raabe ist mittlerweile schon fast ein echter Berliner. Mitnichten ein Kämpfer des roten Wedding, eher ein Dachgeschoss-Wohnungsbesitzer aus Charlottenburg, der zu jedem Konzert mit dem gepflegten Holland-Herrenrad durchs Brandenburger Tor in den Admiralspalast fährt und es dort lässig an die Hinterhof-Wand lehnt. Ein Hipster? Vielleicht. Aber einer, der die wilden Zwanziger wirklich authentisch vermitteln kann. Selbst, wenn er alles andere als wild erscheint. Ein Unikat eben.

Mit neunzehn Titeln und dem Charme eines charmanten, wenn auch bedingt hilflos wirkenden Ü-40ers setzt Maxe an, die Herzen seiner Hörer zu erobern – und es ist schwer ihm zu widerstehen, sogar wenn er, anstatt vom roten Madrid zu singen, der schönen Isabella von Kastilien hinterhersäuselt.

Dürfte man auf den gehobener bepreisten Logenplätzen des Admiralspalastes noch von einer ‚Setlist‘ reden, so könnte man nicht anders, als diese als äußerst gelungen zu bezeichnen. Quasi ein Best Of Max Raabe and his Palast Orchester – mit Schnellem, mit Langsamem, mit Witz und Emotionen und sogar mit einem kleinen Funken Tiefrot in dem ganzen Roaring-Twenties-Kapitalisten-Glamour. Auch wenn die Moritat von Mackie Messer im elegant harmonischen Big-Band-Gewand kaum noch die Intentionen des Erst-Übersetzers Bertold Brecht verfolgt, rennt das Arrangement zwischendurch ein mal kurz durch die Unzulänglichkeit menschlichen Strebens. Es tut gut zu hören, wenn covernde, pardon, neu arrangierende Musiker sich der Quellen ihrer Musik bewusst sind.

Es gibt also viel zu entdecken auf diesem oberflächlich betrachtet so banalen Live-Album. Und genau deshalb ist zu empfehlen, sich damit auseinanderzusetzen – auch wenn die Idee des Live-Albums uralt und teilweise sehr abgegriffen ist.

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