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Ecstasy

Kissin‘ Dynamite haben das geschafft, wovon jede kommerziell orientierte Hardrockband schon immer geträumt hat: den Sprung in den Mainstream. Wie vorher Bon Jovi, Doro oder auch Gotthard in ihren erfolgreichen Jahren setzt sich das Kissin‘ Dynamite-Publikum maximal zu 20 Prozent aus „Szenegängern“ zusammen, der Rest ist so bunt gemischt wie nur möglich Da steht der eigentlich-Helene-Fischer-Fan neben dem AC/DC verehrenden Papa, andere tragen Pink Floyd-Shirts und wieder Andere ein schickes Polohemd. Dazwischen auch noch ein paar Fans, die die Band bei Bülent Ceylan entdeckt haben.

Diesen Spagat schafft man nicht, wenn man verbittert auf „Death to false metal“ pocht. Und so haben die Jungs spätestens mit dem 2012er Album „Megalomania“ den Melodic Metal der ersten Alben ad acta gelegt und sich einer Mixtur aus Achtziger-Stadionrock, Radiopop a la Sunrise Avenue und ein paar Disturbed-Light-Riffs (ja, das geht!) verschrieben, die ziemlich nah an dem ist, was auch skandinavische Truppen (die verdächtig oft bei einem gewissen italienischen Label unter Vertrag stehen) wie One Desire, Eclipse oder H.E.A.T. fabrizieren. Kissin‘ Dynamite haben denen gegenüber aber einen großen Vorteil: es handelt sich um keine gecastete Band aus frustrierten Szeneveteranen, sondern um eine klassisch gewachsene, ehemalige Schülerband. Genau deshalb haben die Schwaben ähnlich wie die oben erwähnten Bon Jovi den großen Vorteil einer eigenen Identität mit hohem Wiedererkennungswert. Klar, man muss die ultracheesigen Refrains von Songs wie ‚Superhuman‘ oder dem Opener ‚I’ve Got The Fire‘ (nicht der von Iron Maiden gecoverte Montrose-Song) nicht mögen, und die Produktion ist für eine Rockband eindeutig zu brav und massenkompatibel ausgefallen, aber was man nicht abstreiten kann, ist die handwerkliche Klasse von Band und Material – und die Tatsache, dass das Ganze eben unwiderruflich nach Kissin‘ Dynamite klingt. Klar, die Zielgruppe ist hier nicht der Ü40-Dokken-Fan, sondern ein deutlich jüngeres Publikum, eventuell sogar (schluck!) Mädels! Was für den hochseriösen AOR-Freund ein wahres Sakrileg ist, ist aber in Wahrheit exakt das Richtige. Denn auch die erwähnten Dokken, Ratt und Bonfire oder wer auch immer – ja, auch Led Zeppelin oder Juda Priest! – haben ihre Musik nicht für gemütliche Opas geschrieben, sondern für die damals jungen Menschen. Somit kann man es der Band nicht vorwerfen, Rockmusik spielen zu hören, die sich nicht an ein gemütliches Retro-Publikum richtet. Sind sie zu modern, bist du zu alt (oder so). Und ehrlich, mal unter uns, das ist doch exakt die Mucke, die die Grillparty erst so richtig schön macht, oder?

Unterm Strich ist „Ecstasy“ ein blitzsauberes Radiorock-Album, das wirklich komplett ohne Ecken und Kanten auskommt, dafür aber mit jeder Menge cooler Melodien und astreinen Pophooks punktet. Im Vergleich zu den im AOR üblichen Massen an gecasteter „All-Ex-Star“-Stangenwarenprojekten klingen Kissin‘ Dynamite aber dennoch tatsächlich wie eine echte Band. Der Einstieg in die deutschen Top Ten ist deshalb nicht nur verdient, sondern einmal mehr der Beweis, das sich harte Arbeit irgendwann eben doch auszahlt. Glückwunsch und Daumen hoch von hier aus!

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