Dystopium
Bianca Calandra und Gabin Lopez waren in Frankreich. Nein, stimmt gar nicht: Eigentlich waren sie zuerst in Sydney – bis Gabins Visum ablief. Erst Jahre später durften sich die beiden in Berlin wieder über den Weg laufen. Erst dann sollte die Zeit reif sein für ein gemeinsames Projekt – das Schicksal wollte es so. So wie es auch Wille des Schicksals war, dass sich das Duo eines Tages in einem Landhaus in ebenjenem Frankreich wiederfand. Es soll dort kalt gewesen sein, neblig, Fledermäuse sollen unter dem Dach gelebt haben, und … na ja. Nicht das erste Mal, dass ein Aufnahmeort vorgeschickt würde, um beliebiger Musik einen extravaganten Anstrich zu verleihen. Bei Machine Est Mon Coeur allerdings steckt Substanz unter der Schaumkrone.
Auf ihrem Debüt ‚Dystopium‘ – ein eher bedingt einfallsreich zusammengestöpseltes Wortgebilde aus ‚Dystopia‘ und ‚Opium‘ – agieren Calandra und Lopez mit Schlieren auf dem Visier. Ihr Album ist eine Sammlung verlaufener, welliger Klangcollagen, die Kammermusik und Wahrnehmungsstörung ineinander verschränkt. Stoisches Stampfen oder Klappern, lose mit dem gedachten Metrum der Stücke verbunden – nicht selten in ausdauerndes Echo getränkt -, an- und abschwellende Synthesizer, benommene Arpeggios. Hin und wieder tritt eine E-Gitarre hinzu und verläuft im eigenen Saft. Man schläft und es spukt und … man schläft. Während es spukt. Die lichten Momente, wie etwa das Klavierintermezzo mit beinahe poppigen Anflügen in ‚The Sky Is Falling‘, sind äußerst rar gesät.
Als Hörer beschleicht einen das Gefühl, man sähe nicht klar, habe womöglich etwas im Blut, das seine Wahrnehmung verzerre, verlangsame und verfälsche. So weit alles nach Plan, denn nach diesem Prinzip arbeiten Machine Est Mon Coeur: Statt auch nur ansatzweise schlüssige Geschichten zu erzählen, manipulieren sie ihr Gegenüber, lassen es ihren Finten aufsitzen. Es ist ein eigenwilliges, träumerisches und gleichgewichtsgestörtes Bild musikalischer Ästhetik, das trotz des nicht zu knappen Gesangsanteils seinen instrumentalen Schwerpunkt nie aus der Hand gibt.
Atmosphärisch ist all der Nebel ohne Frage prickelnd, allerdings nicht ersichtlich ergiebig genug für weitere Veröffentlichungen im selben Stil. Ein nächstes ‚Dystopium‘ ist gefährlich vorstellbar und würde sich vermutlich entsprechend schnell erledigen. Sollte das Klangbild nicht in Zukunft konsequent weiter in Richtung Song ausgefeilt werden, droht mit Album Nummer zwei das Versumpfen im allzu beliebigen Ambient-Underground – was schade wäre nach diesem geheimnisvollen Beginn. Doch Machine Est Mon Coeur sind bestens gewappnet, dies abzuwenden. Bleibt zu hoffen, dass sie es richtig anpacken. Und dass sich spätestens bis dahin geklärt haben wird, wann man solch beklemmende Musik denn nun hören soll.