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Ibeyi

Es will was heißen, wenn XL-Boss Richard Russell höchstselbst sich für seine Künstler hinters Mischpult klemmt. Ganz besonders, wenn die dann erst 20 Jahre alt sind. Die Pariser Zwillinge Lisa-Kaindé und Naomi Díaz hatten die Gunst ihres jetzigen Verlegers mit einer gemeinsamen Youtube-Performance ergattert. Eilig nahm der Labelchef die beiden in seine Familie auf und kürte ihnen die Trauer zum Beruf. Denn auf nichts anderem sind die zutiefst wundersamen Lieder Ibeyis gewachsen: In Reaktion auf den Tod ihres Vaters Miguel „Angá“ Díaz, einem Mitglied des Buena Vista Social Club, griffen die damals Elfjährigen zu dessen Instrumenten und musizierten ihm hinterher. Jetzt, rund ein Jahrzehnt später, sind die Stücke zu einem ersten Album gebündelt: ‚Ibeyi‚.

Ibeyi‚ ist Ritus, ist Soul und Jazz, Yorùbá (traditionell-afrikanische, durch die Sklaverei bis nach Kuba überführte Kultur), Französisch und Englisch, und das mal mehr, mal weniger wild durcheinander. Alles andere als ein dankbarer Job für die Promo-Abteilung, einem diese Platte handlich zu texten. Dem Zwillingspaar als Hörer hinkend durch die Sprachbarrieren zu folgen, strengt anfangs nicht weniger an und führt zu einladenden Irrtümern. So heißt es in der nicht nur phonetisch gefährlich björkelnden ersten Single ‚Oya‘ nicht etwa

‚Take me higher!

, sondern – richtig! –

‚Take me, Oya!‘

. Bei letzterer handelt es sich um Wandlungsgöttin und – Gender-Fans aufgepasst – „Schutzherrin weiblicher Führerschaft“ zugleich. Nicht die einzige göttliche Instanz, die Ibeyi auf ihrem Debütalbum anrufen, und nur eine von vielen Nuancen, die sie sich wagen, anders zu sein. Nuancen, die in ihrer Gesamtheit einen hoffnungsvollen Inselstreifen im von überzüchteter Stangenware beherrschten Musikmarkt schaffen.

Die schlanke, unverwässerte Bauart dieses Albums lässt keine Verfälschungen zu, vermag aber ebenjenen kleinen Makel namens Authentizität zu transportieren. Nein, da ist wirklich nichts, wohinter Ibeyi sich verstecken, nichts, was sie verbergen könnten, nichts, was sie kleiner oder größer oder vermarktbarer machen würde, als sie sind. Da ist nur Stille, die nach Füllung giert, und in deren Mitte zwei Mädchen, die miteinander singen, weil sie etwas zu sagen haben, und deren zaghafte Instrumentierungs-Prisen den Titel „Begleitung“ mehr verdienen als vieles Andere da draußen in der weiten Welt der Klangkosmetik. Alles hat dabei Gewicht, auf jedem noch so beiläufig erscheinenden Moll-Geklimper lastet eine bedeutsame Schwere, die auch dann nicht verfliegt, wenn Naomi Cajón und Batá beiseite lässt und stattdessen mit den Fingern schnipst oder in die Hände klatscht. Im Gegenteil: Die Rhythmen werden betörender, gewinnen an Dringlichkeit noch hinzu.

Ob das jetzt poppig ist oder soulig oder jazzig, kann und darf nicht weiter interessieren. Von Bedeutung ist hier nur eines: Diese Musik kommt von Herzen. Um das zu spüren, bedarf es keines Einblicks in afroamerikanische Religionsausübung, keiner Fremdsprachenkenntnisse und erst recht keiner aufgeplusterten Rezensionen.

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