Neptune
Es ist eigentlich echt schade, daß „Grey’s Anatomy“ abgesetzt wurde. Nun, vielleicht nicht unbedingt vom künstlerischen Standpunkt – aber wohin sollen nun all die folkig-ätherischen Indiepop-Bands? Nun, es gibt ja immer noch Starbucks und all die anderen Plätze, wo sich gereifte Hipster-Damen Mitte/Ende Zwanzig heute so treffen. Tall Heights zum Beispiel gehen einfach auf Tour und machen dabei unter anderem auf dem Southside- respektive Hurricane-Festival Station. Geht also wohl auch dort mit der Nachbarin.
Aber, sexistischen Scherz beiseite. Wobei, es ist eigentlich recht schwer, bei dem Duo nicht in süffisante Klischeephrasen abzurutschen. Denn natürlich bedienen Tall Heights die Hipster-Klischees bis ins Letzte, tragen Tim Harrington und Paul Dumas schrägen Schnurrbart, seltsame Obdachlosenheimfrisuren, Hornbrille, karierte Schals und feingeblümte Hemdchen auf den – natürlich! – ausgebleichten Bandfotos. Und, natürlich kommen die beiden aus der Folk- und Straßenmusikerszene, auch wenn auf „Neptune“ alles von Synthies und Drumloops getragen wird. Da liegt denn auch das Problem mit dem vollständigen Ernstnehmen der Scheibe. Denn auf „Neptune“ wurde, wie auf den letzten Coldplay-Scheiben, alles derart glattgebügelt, daß von der mit Sicherheit vorhandenen Eigenständigkeit der beiden Musiker leider schon nicht mehr viel durchscheint. Fast logischerweise klingt „Neptune“ auch immer dann am Überzeugendsten, wenn Tall Heights sich erlauben, einmal die akustischen Instrumente die Führung übernehmen zu lassen. Wenn zum Beispiel im mit schönen Paul Simon-Harmonien ausgestatteten ‚The Runaway‘ oder ‚No Man Alive‘ tatsächlich einmal Paul Dumas Cello-Spiel und die Akustikgitarre zu vernehmen sind, wünscht man sich, einfach mal das ganze Studiofein abschalten zu können und einfach nur den Spuren der beiden Musikern zuhören zu können. Natürlich sind die poppigen Songs wie die potenziellen Hits ‚Iron In The Fire‘, ‚Backwards And Forwards‘ oder ‚River Wider‘ auch perfekt angerichtet, aber hier wird doch ein wenig zu arg auf den Deal mit dem nächsten Microsoft-Werbespot geschielt. Besser kommen dann das mit leicht psychedelischen Effekten ausgestattete und ein wenig an David Gilmours Soloalben erinnernde ‚Cross My Mind‘ oder der zweiminütige Schlusstrack ‚Wayfarers‘ mit seinen Verneigungen vor Coldplays Prä(!)-„Parachutes“-Ära. Mehr davon, und es gäbe eine vollkommen uneingeschränkte Kaufempfehlung.
Andererseits macht/machen ja Bon Iver immer mehr auf elektronisch-unzugänglich, The Shins auf Folk-Rock, Coldplay auf Disco und Elbow auf Peter Gabriel. Und womöglich hat man ja auch heuer nicht mehr so viel Zeit wie vor zwölf Jahren, sich in ein anstrengendes Album einzuhören, mag aber immer noch die melancholischen Melodien und die ätherischen Stimmen. Dann bietet das Bostoner Duo, dem synthetischen Zuckerguss zum Trotz, zwölf schöne, balladesk-versponnene Popsongs gehobener Qualität, die durchaus im Ohr hängenbleiben und gefallen. Dem Musikfan, der nach einem neuem Lieblingsalbum sucht, werden aber Ecken und Kanten und konsequenterweise auch Boden- und Eigenständigkeit auf „Neptune“ ein wenig zu kurz kommen.