Small Town Talk
Per Gessle hat als musikalischer Kopf und Songschreiber von Roxette in den letzten dreißig Jahren die Radiolandschaft in Europa nicht nur dominiert, sondern regelrecht geprägt. Nachdem Roxette aufgrund des Gesundheitszustandes seiner musikalischen Partnerin Marie Fredriksson nun wohl endgültig Geschichte sind, forciert Gessle nun auch außerhalb von Schweden seine Solokarriere – und beginnt mit „Small Town Talk“, einer englischsprachigen Best Of seiner 2017 in Schweden veröffentlichten Alben „En Vacker Natt“ und „En Vacker Dag“.
Wer dabei Musik a la Roxette erwartet, dem dürfte eine leichte Enttäuschung bevorstehen. Denn über weite Strecken bevorzugt Gessle statt Gute-Laune-Singalongs hier country- und akustikgitarrenorientierten Erwachsenenpop mit Singer/Songwriterflair, Fiedel, Pedal Steel und Mundharmonika. Natürlich, die Stimme ist unverkennbar, und ein paar Songs (beispielsweise ‚Simple Sound‘ oder ‚Name You Beautiful‘) könnte man mit einem „flashigen“ Remix durchaus ins Roxette-Revier bugsieren. Auch dem traditionellen Roxette-Songaufbau bleibt er mit Verpflichtung diverser weiblicher Duettpartnerinnen treu, und das Gespür für sofort hängenbleibende Hooklines hat Gessle natürlich auch nicht verloren. Aber die echten Highlights sind die spartanischer arrangierten ruhigen Stücke, die den erfolgreichen Americana-Hipster-Combos kräftig Konkurrenz im eigenen Gehege macht. Wie erwähnt, Gessle kennt seine stimmlichen Limitierungen und hat sich deshalb diverse Gastsängerinnen eingeladen, die viel zum Gelingen des Albums beitragen. Die mir bislang vollkommen unbekannte Sängerin Savannah Church stiehlt beispielsweise mit ihrem authentischen Südstatten-Flair dem Boss in ‚Far Too Close‘ fast schon die Show. Noch überraschender ist der Titelsong, den Gessle im Duett mit dem „Jesus Of Cool“ himself, Pub-Rock-Kultfigur, Punk-Miterfinder und Songwriter-Legende Nick Lowe zum Besten gibt – die vollkommen unterschiedlichen Stimmen entlocken dem Song jede Menge unerwarteter Facetten. Im beschwingteren ‚Being With You‘ zollt Per einmal mehr seinen Faves The Byrds Tribut, abgeschmeckt mit je einem Schuß Lindsey Buckingham und Crowded House. An deren Neil Finn erinnert auch das schöne Storyteller-Stück ‚It Came Too Fast‘, einer der Songs, die beim ersten Hören eher unscheinbar wirken, sich aber beim dritten oder vierten Durchgang als emotionales Highlight entpuppen.
Wenn man an „Small Town Talk“ eines kritisieren kann, dann höchstens, dass die Uptempo-Stücke mit Ausnahme von ‚Being With You‘ mit ihrer deutlich glatteren Produktion ein wenig wie Fremdkörper zwischen den intimeren und spartanischeren Songs wirken – da hätte man sich etwas mehr Mut zum Risiko gewünscht. Aber das ist pure Geschmackssache, und unabhängig vom persönlichen Geschmack hat Per Gessle mit „Small Town Talk“ eine ziemlich feine Scheibe abgeliefert, die den Brückenschlag zwischen dem Radiopop-Genie und dem reifen Songwriter überzeugend und vor allem glaubwürdig schlägt.