Scorpions Revisited
Die Scorpions wurden in dieser Woche mit dem Niedersächsischen Staatspreis geehrt, der höchsten Auszeichnung des Bundeslandes. Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs seien hervorragende Botschafter für Niedersachsen und für Deutschland, hieß es in der Begründung der Jury. Den Staatspreis gibt es seit 1978. Das ist das Jahr, in dem Uli Jon Roth als Gitarrist bei den Scorpions ausstieg.
Auch wenn Roth in der kommerziell erfolgreichsten Ära der Scorpions nicht mehr an Bord war, so hat er den Sound der Band auf den ersten fünf Alben doch maßgeblich geprägt – als Gitarrist und als Songwriter. Er ist verantwortlich für einige der stärksten Songs. Und genau diese Songs hat Uli jetzt neu aufgenommen. Mehr noch, er hat sie in ein modernes Soundgewand gepackt, das sie noch wuchtiger und zeitgemäßer wirken lässt.
Ganz oben steht wie immer die pure Spielfreude, die der Mann mit dem markanten Schnurrbart bis heute an den Tag legt. Wer ihn vor ein paar Jahren bei den Jubiläums-Auftritten mit den Scorpions (oder solo) gesehen hat, weiß, wovon ich rede. Musterbeispiele auf der CD sind „Longing For Fire“ oder „In Trance“, großartige Hardrock-Klassiker, die Klaus Meine und Co. bei ihren Konzerten leider vernachlässigen. Nicht zu vergessen „Dark Lady“ oder das Epos „Fly To The Rainbow“ (mit elfeinhalb Minuten jetzt noch drei Minuten länger als im Original).
Weitere Höhepunkte unter den 28 hochklassigen Hardrock-Tracks sind „Pictured Life“ und das unfassbare „Drifting Sun“. Der Song, ein Meisterwerk, wurde schon damals von Uli Jon Roth höchstselbst gesungen, Klaus Meine war nur als Background-Sänger zu hören. Diese neue Version kracht noch mehr als das fantastische Original, das zu dem Besten gehört, was die Scorpions jemals auf Vinyl oder ein anderes Format gepresst haben.
Sollte es tatsächlich Scorpions-Fans geben, die nur mit dem Material der Ära nach Roth vertraut sind, wird ihnen „Scorpions Revisited“ die Augen und Ohren öffnen. Die Doppel-CD ist auch ein Zeugnis davon, wie weit die Hannoversche Band ihrer Zeit voraus war. Als in den deutschen Hitparaden Howard Carpendale, Karel Gott und Cindy & Bert angesagt waren, kreierten die Scorpions monströsen Hardrock auf höchstem spielerischen Niveau. Sie sind unbestritten die deutschen Pioniere des Heavy Metal.
Und so ist „Scorpions Revisited“ die Best-Of-Compilation der vielleicht kreativsten Phase von Deutschland erfolgreichster Band. „Es war eine sehr intensive Reise in die Vergangenheit und ich denke, wir haben es geschafft, die Songs mit all ihrer Macht wiederzubeleben“, sagte Uli nach Abschluss der Neuaufnahmen. Er hat Recht behalten. Wenn der CD überhaupt irgendwas fehlt, dann ist es ironischerweise Klaus Meine. Stimmlich kommt Hauptsänger Nathan James nämlich nicht ganz an den Scorpions-Frontmann ran.
Uli Jon Roth spielte nicht wie seine Ex-Kollegen vor Hundertausenden beim Moscow Peace Festival. Er traf nicht Michail Gorbatschow und trat auch nicht an der Berliner Mauer auf. Als Düsseldorfer ist er wohl auch kein Botschafter für Niedersachsen. Er ist aber ein Botschafter des Hardrock. Mit seiner neuen Doppel-CD erinnert er an eine großartige Phase der Scorpions, die Meine und Schenker angesichts großer Erfolge fast vergessen haben. Umso besser, dass es Uli noch gibt. Und dass ein kleines „Volume 1“ auf der Rückseite des Booklets verrät, dass da noch mehr kommt.
Die CD kommt übrigens zeitlich nicht ganz unpassend. Einen Tag nach der Veröffentlichung feiert der Film „Forever And A Day“ von Katja von Garnier in Berlin seine Weltpremiere. Er ist ein Dokumentarfilm über die lange Geschichte der Scorpions.