How Do We Want To Live?
Dystopien begleiten die Menschen schon seit der Antike. Diese Form der Erzählung scheint zwar Schwankungen unterworfen zu sein, aber in Literatur und Film nie wirklich aus der Mode zu kommen. Nun greifen auch Long Distance Calling diese auf und schmettern dem Hörer schon im Albumtitel die alles entscheidende Frage entgegen: „How Do We Want To Live?“ (Inside Out Music).
Die deutschen Vorzeige-Instrumental-Rocker geben darauf eine frustrierende Antwort: Für sie ist die Welt aus den Fugen geraten. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Ethik, Humanismus und individuelle Freiheit werden immer unkonkreter und kaum noch greifbar. Vor allem technische Weiterentwicklungen bei der Digitalisierung und die Gier nach Sensationen in Social Media durch Preisgabe privater Daten würden der Selbstbestimmung und Freiheit des Individuums im Wege stehen.
Dementsprechend schafft das mit fast drei Minuten sehr lange Intro „Curiosity (Part 1)“ eine düstere Stimmung, die vom unerbittlichen Schlagezug in „Curiosity (Part 2)“ wunderbar aufgenommen wird. Gleich zu Beginn von „How Do We Want To Live?“ schrauben Long Distance Calling die Atmosphäre dadurch gewohnt perfektionistisch in die Höhe. Untermalt werden die Lieder passend zum Thema des Albums mit deutlich hörbaren elektronischen Klängen. In die Instrumental-Musik eingeworfene Sätze, die das Leitthema skizzieren, werden dementsprechend durch den Voicecoder zu prophezeienden Botschaften aus dem Off. „Hazard“ und „Voices“ setzen diesen Sound fort bis mit „Fail/Opportunity“ ein kleiner überraschender Bruch kommt. Die Synthesizer werden durch Streicher ersetzt. Deren Verwendung ist jedoch nur von kurzer Dauer. Schon das folgende „Immunity“ setzt wieder mit Elektrobeat ein und erzeugt mit seinem stetig wachsenden Tempo einen schönen Spannungsbogen.
„Sharing Your Thoughts“ und „Beyond Your Limits“ als obligatorisches Gesangsstück verzichten anschließend weitestgehend auf elektronische Experimente und kleiden sich daher im klassischen Long-Distance-Calling-Gewand. Das Stimmungsbild bekommt dadurch einen optimistischeren Touch. „True/False“ nimmt als längeres Interlude die Synthesizer nochmals auf, bevor „How Do We Want To Live?“ mit „Ashes“ eher ruhiger ausklingt.
Long Distance Calling schaffen es, den inhaltlich dystopischen Ansatz des Longplayers musikalisch perfekt umzusetzen und eine größtenteils unangenehme, zum Nachdenken anregende Atmosphäre zu kreieren. „How Do We Want To Live?“ ist bei weitem nicht so rockig wie der Vorgänger „Boundless“ oder „Avoid The Light“. Es ist vielleicht eher mit dem selbstbetitelten Album zu vergleichen, in dessen progressiven Sound starke elektronische Elemente einfließen. Diese werden akzentuiert gesetzt, sodass es sich um eine gelungene Weiterentwicklung der Band handelt. Somit schaffen Long Distance Calling die schönste vorstellbare musikalische Dystopie, die möglich ist.
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