Chrisi

Are We There Yet?

‚Sind wir schon da?‘. Diese Frage, gestellt ungefähr im Minutentakt, begleitete wohl jede Kindheit auf längeren Autofahrten. Als elterliche Reaktion wurden die Scheiben hochgekurbelt, damit es nicht so kalt in der Karre wird und eine neue Zigarette angezündet. Längere Zeit auf den Straßen verbringen mittlerweile wohl auch The Animen aus dem Genfer Vorort Carouge, die seit der Gründung 2008 regelmäßig die Clubs und Bars bespassen. Mit den Zutaten Beat, Surf, Garage, Soul und Indie Rock kloppte man Anfang 2014 mit ‚Hi!‘ ein Hit-Album raus, das sich gewaschen hat.

Für das zweite Album ‚Are We there Yet?‘ musste alles noch eine Spur fetter werden, da wurde die Stilschublade noch ein bisschen weiter aufgezogen und aufgenommen wurde diesmal gleich Übersee, in Nashville/Tennessee mit Hilfe von Andrija Tokic (Alabama Shakes). Die Südstaatenromantik hält in Form von Country auch massvoll Einzug im Sound der Schweizer, so erklingen dann und wann heimelige Pedal-Steel-Gitarren. Ansonsten setzt man auf die bewährte Zusammensetzung, auf catchy Refrains, vibrierende Vintage-Gitarren, schrullige Keyboardsounds und die kratzig aufgenommenen Vocals von Sänger Théo Wyser.

The Animen gefielen sich ja bisher in ihrer Party-Laune. ‚Auf Are We there Yet?‘ bedienen sie nun auch andere Gemütslagen, begleiten bei Zweifeln, Kater, Herzschmerz. Ein Beleg dafür, dass die Band innerhalb der zwei Jahre seit ‚Hi!‘ gereift ist.

The Limber Real

Troels Abrahamsen kennt man als Sänger des dänischen Elektro-Pop-Kollektivs Veto und auch als Solokünstler. Als Exec bekommt man Abrahamsen nun in Personalunion mit einem Klavier. Inspiriert von der nordischen Psalmtradition entstanden im Winter 2013 – ohne religiöse Färbung – 14 puristische Stücke für das Album ‚The Limber Real‘. Eine 34-minütige Monokultur vornehmlich aus Gesang und Klavier, manchmal Konzertgitarre.

Piano, Forte, an- und abschwellende Töne und tongewordene Emotionen. Die Stimme mal laut und gebieterisch, dann wieder nur ein Hauch, nahe am Brechen. Die zärtliche Annäherung eines Mannes an Holz, ganz ohne spanendes Verfahren. Derart reduziert nehmen sich die Songs wenig Zeit, enden mitunter abrupt, entfalten sich durch den mit auf den Tonträger gebannten Hall und das Umgebungsrauschen aber eindrucksvoll räumlich. Beeindruckend auch, wie Abrahamsen mit Produzent Mikkel Bolding Klangvariationen noch aus dem Innersten des Klangkörpers holen. Die Klangminiaturen wabern Hologrammen gleich durch den Raum, sind deutlich greifbarer und doch gerät man mitunter in Versuchung, konkreteren Gedanken nachzuhängen. Eingefangen wird die Aufmerksamkeit wieder mühsam von fordernderen Passagen wie etwa in ‚Peers‘. Dabei kann das Album mit seiner kargen Intensität auch fesseln, je nach Gemütslage.

‚The Limber Real‘ klingt nach einem Experiment, das einfach mal gemacht werden musste. Als persönliche Besinnung darauf, dass Kompositionen durchaus noch analog am Klavier entstehen können. Ein Album eher für den Weinkeller als den Spontankonsum.

Love

Bereits das erste Album ‚Rest Now Weary Head You Will Get Well Soon‚ der Band Get Well Soon, das in Homerecording entstand, begeisterte Hörer und Kritiker gleichermaßen. Schon damals herrschte eine eher nachdenkliche, melancholische Grundstimmung, die das zweite, todtraurige Album dann auf den Nullpunkt brachte. ‚Vexations‘ stellte aber auch einen Bruch in mehrerer Hinsicht dar. Man wandte sich thematisch der antiken Philosophie des Stoizismus zu, man ließ den Charme der Amateuraufnahmen und das eklektische Antikonzept hinter sich und veröffentlichte eine Perle des orchestralen Pop, die eine ganze Weile brauchte, bis sie sich dem Hörer in seiner vollen Pracht erschloss. Selbiges kann über Album Nummer drei, ‚The Scarlet Beast O‘ Seven Heads‘ berichtet werden, vielleicht mit etwas mehr Soundtrackbezug.

Mit ‚Love‘ ein Konzeptalbum zu einem beliebig einfachen wie auch komplizierten Thema Liebe zu veröffentlichen, das kann eigentlich nur Bandleader Konstantin Gropper einfallen. Erklärungsversuche der Liebe sind omnipräsent, ob in offiziellen und/oder professionellen Abhandlungen kirchlicher oder philosophischer Instanzen, ob in Weisheiten, die so mancher Küchenkalender absondert oder in den sozialen Medien, unter anderem in Form legasthenischer Sprüche auf mehr oder weniger passenden Bildern. Ob Feingeist oder ausgestattet mit robusterem Gemüt und jede Nuance dazwischen: Jeder Mensch wird zu diesen vier Lettern seinen ganz eigenen Bezug haben.

‚Liebe ist für alle da‘, das wussten auch schon Rammstein. Get Well Soon mag man aber eine subtilere Herangehensweise an das Thema zutrauen und wird auch nicht enttäuscht. Gropper stellt auf ‚Love‘ unter anderem seinen Bezug zur Liebe dar, erzählt aber auch Geschichten. Da hat die hemmungslose Romantik der Romane von Rosamunde Pilcher und deren zahllosen Verfilmungen ebenso einen Platz wie die Einsamkeit einer 33-jährigen, die demütigende Urinspiele über sich ergehen lässt. Love Is An Awful Enemy, My Dear!

Auch wenn es musikalisch etwas leichtfüssiger zugeht als zuletzt, ‚Love‘ ist in erster Linie gehaltvoller Orchester-Pop, wenngleich nicht immer klar ist, welche Instrumente denn nun echt sind. Da schwingt etwas Soul mit wie in ‚It’s A Catalogue‘, bei funky schnalzendem Bass, und Am Ende des süffigen Indiepops von ‚Marienbad‘ verschafft sich der Song mit einem kurzen Gitarrengewitter Luft. ’33‘ ist weitgehend auf die Stimme Groppers und eine akustische Gitarre heruntergebrochen. Flirrendes Keyboardlametta, speckige Gitarrenapplikationen und eine patzige Synthie-Posaune geben ‚Young Count Falls For Nurse‘ den nötigen Kitsch. ‚It’s A Fog‘, ein langsamer, elektronischer Walzer bekommt zum Ende hin eine Krautrock-Kante.

Ob Küchenkalender oder Philosoph, Papst oder Musikredakteur, die Liebe – respektive ‚Love‘ – wird wohl niemand hinreichend erklären können. Lässt man die auf ‚Love‘ gesammelten Informationen die dafür zuständigen Gehirnareale durchwandern, entsteht ein sehr heterogenes, ebenso herzerwärmendes wie auch kitschiges oder gar abgründig-verstörendes Bild. Klüger ist man hinterher vielleicht nicht, war dabei aber bestens unterhalten – Gropper, Du alter Fuchs!

Nevermen

Es hat ja schon irgendwie etwas Berechnendes, wenn sich drei erwiesenermaßen coole Socken zu einer Art Supergroup zusammentun. All Star Bands wollen den Duft des glamourösen Mysteriums verbreiten, müffeln mitunter aber gewaltig nach Altersabsicherung. Doch die Idee Nevermen besteht schon seit Anfang 2008, einer Zeit, in der Mike Pattons Band Faith No More daniederlag und der umtriebige Sänger in allen nur möglichen Projekten und Kooperationen zu hören war. TV On The Radio, die Band von Tunde Adebimpe, veröffentlichte zu diesem Zeitpunkt gerade ihr viertes Album ‚Dear Science‘ und stand unmittelbar vor dem Hype. Den dritten im Bunde, Künstler, Rapper und Spoken-Word-Artist Adam ‚Doseone‘ Drucker, kennt man hierzulande vielleicht auch aufgrund des Projekts 13&God mit The Notwist.

Adebimpe und Doseone tobten sich also kreativ in einem abbruchreifen Kaufhaus aus, nutzten in diesem zugegeben exzentrisch-coolen Ambiente zurückgelassene Gegenstände zur Klangerzeugung, zusammen mit Drummachines und Keyboards. Mike Patton verarbeitete diese fragmentarisch vorhandenen Songs weiter mit allerlei Instrumenten wie Glockenspiel, Gong, Percussion sowie Samples und diverser Studiotechnik.

Schon aufgrund der Konstellation und entsprechender Stimmgewalt war eine vocale Ausrichtung des Albums zu erwarten. Druckvoll gleich zu Beginn aber auch die Instrumentierung, ‚Dark Ear‘ mit übersteuerten Beats und einem zerrissenen, eklektischen Soundmix, mit kraftvollen Raps und Gesang. Wunderbar ist dabei jeder Musiker einzeln herauszuhören. Das morbide Umfeld, das Hallen der leeren Räume, der Staub und die greifbare Verlassenheit des Aufnahmeorts – kurz: der Horror – manifestiert sich eindrucksvoll etwa durch knarrende, ins Schloss fallenden Türen im Stück ‚Tough Towns‘.

Es wird viel allein mit den Stimmen gemacht, was an Acapella-Produktionen erinnert, auch werden viele Beats durch eine Human Beatbox generiert. ‚Wrong Animal Right Trap‘ mit seinen Rap-Vocals, Chören und Gitarrenattacken ist ein ausgebuffter Stilmix aus Alternative Rock, Gospel und Rap. Jede eingeschlagene Richtung währt dabei ungefähr 20 Sekunden, ein atemloses Spektakel. Der Song ‚Treat ‚em Right‘ ist dagegen straighter, mit Rap Vocals und catchy Refrain.

Einfallsreich und wandlungsfähig, von Shouts und Raps bis zu ebenmäßig vollendetem Gesang: Patton, Drucker und Adebimpe harmonieren stimmlich wie die Beach Boys (‚Mr. Mistake‘, ‚Hate On‘). ‚Nevermen‚ bringt atmosphärisch stimmig Filmsoundtrack, Gospel, Off Beat, Soul, Rap und Rock zusammen. Trotz der langen Entstehungszeit wurden die elf Songs nicht zwischen den Egos der Beteiligten zerrieben, klingen in ihrer liebenswerten Verschrobenheit frisch und einzigartig. Ein wahrhaft großartiges Album!

STARWALKER – Album Anfang April

Starwalker ist das Projekt des französichen Musikers Jean-Benoit Dunckel (Air) und des isländischen Komponisten Barði Jóhannsson. Nach der EP ‚Losers Can Win‘ (2014) folgt nun am 1. April 2016 das Album ‚Starwalker‚ auf dem Label Prototyp Recording, eine Songsammlung, die einerseits verschiedene Elemente aus den Diskografien der beiden Musiker verspricht, andererseits musikalisches Neuland betritt. Vorab…

LSD ON CIA – Albumrelease & neues Video zu ‚Assault‘

Vor kurzem noch haben LSD on CIA für zwei Konzerte die Bühne für die Sisters Of Mercy gefegt, nun kommen die Dänen mit dem neuen Album ‚Celestial Bodies‘ um die Ecke. Vorab ist ein Video zum Song ‚Assault‘ zu sehen, das Album erscheint dann am 08.01.2016. Etwas später diesen Monat geht es live weiter, diesmal…

Sonne, Synthetik und Endzeitstimmung: Chrisis Alben des Jahres 2015

2015 war ein Jahr der alten Hasen. So gab es ein Wiederhören mit dem schwedischen Hardcore-Gespann Refused, den britischen Dancefloor-Tüftlern Leftfield, der Hardrock-Institution Motörhead und auch den amerikanischen Crossover-Pionieren Faith No More. Allesamt Alben, die die jungen Wilden nicht zu fürchten brauchen. Doom-Metal, Stoner- und Bluesrock gab es auch dieses Jahr zu Hauf. Folgende Veröffentlichungen hinterließen aber dann doch die nachhaltigsten Eindrücke:

NEVERMEN – Neue Supergroup von Mike Patton und Tunde Adebimpe

Mike Patton (u.a. Faith No More), Tunde Adebimpe (TV On The Radio) und Adam Doseone Drucker (Crook & Flail) sind Nevermen. Da gibt es wohl nicht viel dazu zu sagen, der feuchte Traum der Freunde der exquisiteren Popmusik schlechthin. Und erste Hörproben gibt es auch schon. Schon etwas länger geistert der Song ‚Tough Towns‘ durchs…

BIRTH OF JOY – Neues Album Ende Februar

Birth Of Joy, die niederländischen Psychedelic-Rocker, tourten zuletzt unermüdlich, spielten allein im letzten Jahr 172 Support- und Headlinershows und dürften in den gängigsten Konzertstädten schon so ziemlich jedem Rockfan mal über den Weg gelaufen sein. Mit ‚Get Well‘ erscheint nun am 26.02.2016 das neue, dritte Studioalbum. Das psychedelische Gebräu aus 60er und 70er Blues Rock…