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Mötley Crüe – The Final Tour

Um 19 Uhr eröffnen die Kanadier Saint Asonia, dem Nebenprojekt von Three Days Grace Frontmann Adam Gontier den denkwürdigen Abend. Der knallig-moderne Sound irgendwo zwischen Post-Grunge und Alternative Rock passt nicht so richtig zum klassischen Hardrock, der den Rest des Abends die Halle dominieren wird. Dennoch ist das Publikum schon beachtlich und die Herren machen ihren Job nicht übel, wofür sie auch Applaus ernten. Der eine oder andere Rockfan ist aber auch schon mit nachdenklich-vorfreudigem Blick auf die Schienenkonstruktion an der Decke vertieft. Diese geht von der Bühne aus zur Hallendecke, macht dort eine Wellenbewegung und endet weit im den Innenraum der Halle auf einer kleinen Plattform. Aber natürlich freuen sich alle auf Gruselrock-Altmeister Alice Cooper. Heerscharen von Roadies und Stagehands wimmeln nach dem Abgang von Saint Asonia über die Bühne, um alles für den Grand Seigneur und seine Band herzurichten. Bald schon hängt ein Vorhang mit den vom Filmplakat des autobiografischen Films „Super Duper Alice Cooper“ inspirieren Augen Coopers am Bühnenrand. Die Bewegungen am Vorhang lassen rege Betriebsamkeit dahinter erkennen und heizen die Vorfreude an.

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Als der Vorhang in einem Funkenregen zu den Klängen von ‚The Black Widow‘ von 1973 fällt, ist der Applaus und Jubel groß. Eine knappe Stunde lang zelebriert Cooper und seine Band eine komprimierte Version seines bewährten Bühnen-Konzepts mit den Show-Einlagen und Songs, die man erwarten darf. Auch wenn die Glam-Rock-Outfits der Band etwas aus der Zeit gefallen scheinen, bedient man mit den überzeichneten Posen natürlich auch Erwartungen. Die spiegeln sich auch im Querschnitt des Publikums wider. Unter 30 sieht man nicht sehr viele Besucher in der St.Jakobs Halle, der durchschnittliche Besucher des Abends ist um die 50 oder darüber. Bei den Klassikern ‚No More Mr. Nice Guy‘, ‚Under My Wheels‘ und ‚I’m Eighteen‘ ist die Action auf der Bühne abgesehen von der Musik noch verhältnismäßig zurückhaltend. Der Altrocker läßt seinen Gehstock bedrohlich durch seine obligatorischen Lederhandschuhe wirbeln und wirft ihn schließlich einem glücklichen Zuschauer im Publikum zu. Zu ‚Billion Dollar Babies‘ werden Dollarscheine bündelweise vom versilberten Degen dargereicht, bei ‚Dirty Diamonds‘ Perlenketten ins Publikum geworfen. Dazwischen platziert Cooper seinen Comeback-Hit ‚Poison‘ von 1989 – das Publikum dankt es mit Jubel und lautstarkem Mitsingen des Refrains.

In der zweiten Hälfte wird der Auftritt dann zur typischen Cooper-Show: Zu ‚Feed My Frankenstein‘ betritt der ehrwürdige Senior des Rock im blutverschmierten Arztkittel die Bühne, wird auf einen gekippten Labortisch geschnallt und ersteht aus Nebel, Funken und Rauch als überdimensionierter Alice-Frankenstein wieder auf. Die Riesen-Puppe stolziert erstaunlich agil über die Bühne und singt mit bedrohlichem Bass den Chorus mit. Zu ‚The Ballad of Dwight Fry‘ wird Alice von einer diabolischen Schwester und ihren maskierten Helfershelfern in eine Zwangsjacke bugsiert und mit hämischem Gelächter gedemütigt. Alle Gegenwehr zwischen den gefesselt präsentierten Gesangseinlagen bringt nichts, die eigentliche Ikone des Abends verliert auf dem Fallbeil seinen Kopf, nur um zu den Klängen von ‚I Love The Dead‘ mit der berühmt-berüchtigten Schlange um den Hals wieder aufzuerstehen. Der Hit ‚School’s Out‘, mit einem stimmig eingebauten Abschnitt aus Pink Floyds ‚Another Brick In The Wall‘ repräsentiert den Höhepunkt des gelungenen Auftritts.

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Aber natürlich geht es an diesem Abend ausnahmsweise mal nicht um das Rock-Urgestein Alice Cooper, sondern um den mittels notarieller Verpflichtung untermauerten Abschied der Mötley Crüe. Die Band hatte zum Abschied die größte Bühnenshow ihrer Karriere angekündigt und die an der Hallendecke installierte Schienenkonstruktion läßt tatsächlich einen spektakulären Abgang erwarten. Zumal die eigenwilligen, wenn auch grundsätzlich ja schon bekannten Schlagzeugfahrten von Skandal-Drummer Tommy Lee „nur“ ein Teil der zu erwartenden Show darstellen dürften. Nach einem Intro vom Tonband betritt die Band mit einem Knall und ‚Girls, Girls, Girls‘ die Bühne. Und natürlich dürfen – nomen est omen – zwei aufreizend gekleidete Tänzerinnen nicht fehlen, die auch während des weiteren Abends immer wieder die Hüften kreisen lassen. Schließlich hat man auch auf einer Abschiedstournee einen Ruf als Badass-Rocker zu verlieren. Nicht nur mit Klischees, sondern natürlich auch mit den entsprechenden Glam-Metal-Klängen. So wie beispielsweise bei ‚Wild Side‘, mit knalligen Riffs, einem straighten Beat von Tommy Lee und schön eingängigen Gesangslinien. Genau das, wofür die Crüe neben ihren Skandalen seit jeher bekannt und beliebt ist. Das folgende ‚Same Old Situation‘ mit dem typischen 80er-Beat und Hookline hat auch heute noch das Potential, das Publikum lautstark mitsingen zu lassen, auch wenn die Herren was ihre Agilität auf der Bühne betrifft doch deutlich nachgelassen haben. Immerhin, der mittlerweile 64-jährige Mick Mars, gesundheitlich mit einer rheumatischen Erkrankung stark beinträchtigt, steht (sprichwörtlich) nach wie vor seinen Mann. Der Gitarrensound von Mars ist richtig klasse und kann locker mit den drei (!) Gitarristen von Alice Cooper mithalten.

‚Smokin‘ In The Boys Room‘ transportiert den rebellischen Geist der Band auch ins Jahr 2015. Wer erkennt sich nicht wieder, in der Schule heimlich geraucht zu haben? Zu ‚Motherfucker of the Year‘ grüßt Sänger Vince Neil begeistert das Schweizer Publikum. Nach dem Sex Pistols Cover ‚Anarchy In The U.K.‘ geht es mit dem deutlich düsteren ‚Shout At The Devil‘ weiter. Die Bühne ist in rot getaucht, Feuersäulen explodieren im Rhythmus der Drums und Nikki Sixx entzündet im Beat des Songs den an seinen Bass montierten Flammenwerfer. Der von der Decke baumelnde Mikrofonhalter mit Pentagramm geht effektvoll in Flammen auf. Das nur zweieinhalb-minütige ‚Louder Than Hell‘ passt von Thematik und Sound hervorragend dazu und wird direkt nachgeschoben. Zuvor hatte sich Bandleader Nikki Sixx noch sichtlich berührt mit einem emotional-dankbaren Rückblick auf die 34-jährige Bandkarriere an das Publikum gewandt und apelliert, die eigenen Träume zu verwirklichen und sich auf dem Weg dorthin nicht beirren zu lassen.

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Nach dem Ende von ‚Louder Than Hell‘ wird es dunkel in der Halle und die pompösen Klänge von Orffs ‚Carmina Burana‘ kündigen Großes an. Tatsächlich steht Tommy Lees heißerwartete Achterbahnfahrt mit seinem Drumkit an. Der skandalumwobene Drummer hat schon in der Vergangenheit mit spektakulären Stunts mit seinem Schlagzeug für Aufsehen gesorgt. Zuletzt bei der 2011er Tour mit einer ringförmigen Schienenkonstruktion mit mehreren Metern Durchmessern, auf dem sich das Instrument seitwärts im Looping bewegte und auf dem Lee zum Höhepunkt kopfüber spielte. Doch zur Abschiedstour setzen Mötley Crüe noch einen drauf: Das Schlagzeug bewegt sich auf Schienen an der Hallendecke über dem Publikum entlang, während das auf einer Plattform befestigte Drumkit um die eigene Achse rotiert. Begleitet von Lichteffekten am Schlagzeug, Deckenschweinwerfern und Geblinke wohin man sieht geht die Reise auch optisch beeindruckend zur Sache. Bedingt durch die relativ langsame Geschwindigkeit der Konstruktion dauert das atemberaubende Spektakel rund fünf Minuten, bevor Lee am einen Ende über den Köpfen des Publikums angelangt ist und das Wunderwerk begeistert wie ein kleiner Junge vorstellt. „Cruecifly“ nennt Lee sein aufwändiges Spielzeug, auf das er nach eigener Bekundung sein ganzes Leben lange warten musste. Lee bedankt sich für die Treue der Fans über die ganzen Jahre, die „Rückfahrt“ zur Bühne dauert noch einmal so lange und endet mit einem Pyrogewitter und Lees Drums zu Beastie Boys ‚Sabotage‘. Was für eine abgefahrene Show, was für ein Abschied von Lee an seine Fangemeinde!

Direkt anschließend folgt im roten Halbdunkel der persönliche Abschied von Gitarrist Mick Mars. Ganz ohne Worte, nur mit seinem Instrument, das er wehmütig klagen und jaulen läßt. Die Gefühle sind da, Mars zaubert sie in die Halle, und sie stimmen. Allerdings täuscht die Crüe keine Müdigkeit vor und fackelt mit ‚The Saints of Los Angeles‘ einen Song vom neuesten und mit dem punkigen ‚Live Wire‘ einen vom Debüt-Album ab. Über 30 Jahre Bandgeschichte in knapp sieben Minuten! Zum Abschluß kommen die heiß erwarteten, mit Abstand bekanntesten Song der Jungs: ‚Dr. Feelgood‘ und ‚Kickstart My Heart‘ machen ihren Titeln alle Ehre und zeigen die Band, wie sie zum Finale nochmals Vollgas gibt und ihren Fans die Glücksgefühle sprichwörtlich mit dem Beat der Songs einprügelt. ‚Kickstart My Heart“ beginnt im Halbdunkel der Halle mit dem dröhnenden Motor, den Mars mit seiner Gitarre imitiert.

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Das Publikum singt mit und beobachtet gebannt die Fahrt von Neil und Sixx mit zwei schwenkbaren Kran-Armen über den Köpfen des Publikums. Von dort oben regnet es dann auch Konfetti und kurz darauf verbeugt sich die Band nach knapp 90 Minuten winkend vor ihrem Publikum und verschwindet Backstage. Eine Zugabe wünschen sich natürlich alle und warten gespannt darauf, daß sich auf der Bühne nochmals etwas regt. Nur den besonders Aufmerksamen entgeht nicht, daß die Band sich vom Seiteneingang mit Handstrahlern zur eingangs erwähnten Plattform am Ende der Cruecifly-Schienen begeben haben. Mitten im Publikum begleitet Tommy Lee auf dem Flügel seine Kollegen zur Crüe-Ballade ‚Home Sweet Home‘. „Wir werden Euch vermissen, Leute!“ verabschiedet sich die Band sichtlich bewegt. Wir Euch auch.

Setliste (CH-Basel, St. Jakobshalle, 09. November 2015)

So Long, Farewell (Playback Intro)
Girls, Girls, Girls
Wild Side
Primal Scream
Same Ol‘ Situation (S.O.S.)
Don’t Go Away Mad (Just Go Away)
Smokin‘ in the Boys‘ Room (Brownsville Station Cover)
Looks That Kill
Mutherfucker of the Year
Anarchy in the U.K. (Sex Pistols Cover)
Shout at the Devil
Louder Than Hell
O Fortuna (Playback: Carl Orff )
Drum Solo
Guitar Solo
Saints of Los Angeles
Live Wire
T.N.T. (Playback: Terror ‚N Tinseltown)
Dr. Feelgood
Kickstart My Heart

Zugabe:
Home Sweet Home
My Way (Playback Outro: Frank Sinatra)

Text und Fotos: Daniel Frick

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