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Ulcerate – Über die menschliche Ignoranz

WS: Ihr Jungs kommt aus Neuseeland, also vom sprichwörtlichen „anderen Ende der Welt“, zumindest aus europäischer Perspektive. Wie ist die kulturelle Atmosphäre bei euch, im Bezug auf’s Musikmachen oder im Bezug auf die Metalszene. Gibt’s da was typisch neuseeländisches?

JSM: Ich würde nicht sagen, dass die kulturelle Atmosphäre einen Einfluss auf das Komponieren von Musik hat. Zudem ist Neuseeland im Bezug auf Populärkultur, Kunst, Essen und Kultur im Allgemeinen genau wie jedes andere westlich entwickelte Land. Was wohl am ehesten einen Einfluss auf uns hatte, vor allen Dingen zu Beginn unserer Bandgeschichte, ist die geographisch isolierte Lage.
1.jpg „Unsere Metalszene ist klein und im Bezug auf Live-Aktivitäten schwankt das Angebot recht stark. Viele Bands kommen einfach auf ihren Tourneen nicht zu uns, vor allem im Bezug auf Extreme Metal Bands ist das sehr schade, denn viele dieser Bands bekommen deshalb nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen würden, vor allem wenn man es mit eher bekannteren Bands vergleicht. Aber die Möglichkeiten mit diesem Musikstil bei uns eine Tour auf die Beine zu stellen, sind schlicht sehr limitiert.

WS: Euren Stil könnte man ja durchaus als „experimentell“ oder „progressiv“ bezeichnen. Was bedeuten euch solche Labels wie „Progressive Death Metal“ oder wie würdet ihr sie spezifisch für euch als Band definieren?

JSM: Kann ich dir gar nicht sagen, und ehrlich gesagt interessiert mich das auch nicht besonders. Ich habe den Begriff selbst noch nie benutzt, um eine Metal-Band zu beschreiben. Ich denke, es ist einfach ein Trend, für den die Presse und das Internet verantwortlich sind. Da hat jeder den Eindruck, allem und jedem ein Etikett verpassen zu müssen. Wir schreiben und spielen einfach die Musik, die wir selber genre hören und versuchen uns da nicht von irgendwelchen Trends oder Bezeichnungen begrenzen zu lassen. Von daher stört es uns auch nicht, welchen Stempel wir da verpasst bekommen.

WS: Seht ihr euch selbst denn als einen Teil der Bewegung, die seit ca. 2005 dem Death Metal zu einer Art Erneuerung verholfen hat? Das war ja so um die Zeit, als ihr euer erstes Album veröffentlicht habt. Wie seht ihr denn die internationale Death Metal Szene 2016?

JSM: Das finde ich ebenfalls gar nicht so einfach zu beantworten. Es war jedenfalls kein Ziel von uns, das Genre zu reanimieren. Und wenn man selbst Teil einer Band ist, ist es schwer zu beantworten, ob man einen solchen Einfluss tatsächlich ausgeübt hat. Für unseren Geschmack wird nicht besonders viel spannendes Death Metal Material veröffentlicht, und das macht es nur noch schwerer zu beantworten. Was wir definitiv erleben ist ein Wiederaufleben eines gewissen ursprünglichen Death Metal Sounds, der der Szene nicht schaden kann. Ich spreche hier von Bands wie Dead Congregation, Lvcifvyre, Grave Miasma oder Denouncement Pyre. Um nur einige Namen zu nennen.

WS: Ihr seid ja eine Art Geheimtipp im Death Metal Untergrund. Was macht euch denn eurer Meinung nach aus? Du darfst jetzt hier schamlos etwas Eigenwerbung machen.

JSM: Das soll jeder für sich selbst entdecken, wir sind definitiv keine Band für jedermann. Und von daher sehen wir auch gar keinen Grund, „Werbung“ zu machen.

WS: Sprechen wir über euer neues Album „Shrines of Paralysis“. Was hat sich denn im Gegensatz zum Vorgänger verändert oder was ist euch ganz allgemein wichtig zu erwähnen?

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JSM: „Shrines“ haben wir bewusst zugänglicher und melodiöser gemacht. Das Ziel mit dem Vorgänger „Vermis“ dagegen war, es dreckiger und rauher zu machen als alles, was wir bis dahin komponiert hatten. Besonders im Bezug auf die Produktion und wie wir unsere Instrumente gestimmt haben. Bei „Shrines“ war das Ziel von Anfang an, den Songs mehr Melodie und emotionale Qualität zu verpassen. Damit ging natürlich auch einher, dass wir den teils sehr dissonanten Ansatz, den wir seit unserem ersten Album verfolgt haben, etwas abzuschwächen. Das ist für uns eine signifikante Änderung, die uns für die Zukunft auch mehr Möglichkeiten eröffnen wird. Was die Produktion betrifft, haben wir etwas an der Balance der einzelnen Instrumente gedreht. Der Bass ist zugunsten der Gitarren etwas mehr in den Vordergrund gerückt, was auch stark unsere momentane Live-Setting widerspiegelt. Auch das Schlagzeug ist wieder etwas prominenter vorhanden, nachdem wir es bei „Vermis“ bewusst etwas mehr in den Hintergrund gesetzt hatten. Um deine Frage nach den Unterschieden also nochmal auf den Punkt zu bringen: Es ist eine Kombination aus kleineren Anpassungen bei der Produktion und ein dynamischeres Songwriting.

WS: Was hat es denn mit dem Albumtitel auf sich? Hat der eine gesellschaftliche oder politische Bedeutung?

JSM: „Shrines of Paralysis“ (deutsch: Schreine der Lähmung) ist eine Metapher, die sich auf die menschliche Ignoranz bezieht, sich die Konsequenzen ihres Handelns vor Augen zu führen. Es geht auch um den mangelnden Willen, etwas an unserem Verhalten zu verändern. Wir verfügen über so viel Macht, aber letztlich scheitern wir immer wieder an der kollektiven Dummheit, diese Macht auch mit Kompetenz zum Vorteil aller zu nutzen.

WS: Eure Alben verfügen über recht eigenständige Cover-Artworks. Was ist euch in diesem Kontext wichtig und wie spiegelt das aktuelle Artwork die Musik wider?

JSM: Das Artwork liefert einen wichtigen ersten Eindruck und gibt einen Rahmen vor, in dem man die Musik und Texte einordnen kann. In diesem Kontext ist es ein unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen, dessen Wichtigkeit man gar nicht genug betonen kann.

WS: Ihr wart vor zwei, drei Jahren das letzte Mal in Europa auf Tour und seit aktuell in den USA. Plant ihr eine Europa-Tournee zu „Shrines“? Ich schätze, eure geographische Lage macht das logistisch nicht gerade einfach? Lohnt sich das denn überhaupt für euch?

JSM: In Europa auf Tour zu sein ist als Metalband unverzichtbar. Einige unserer besten Konzerte haben wir hier erlebt und wir werden im August auf jeden Fall wieder kommen. Logistisch gesehen ist vieles heutzutage einfach geworden, von daher ist es letztlich eine Frage der Planung, damit alles klappen kann.

Foto Copyright: Ulcerate/Relapse

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