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Skyclad – Im Wald und bei den Heiden

1991 begann sich das Gesicht des Heavy Metal zu verändern. Manch ein Keep It True!!!-Ticketabonnent behauptet gar, ab da sei alles nicht mehr das Gleiche gewesen, und der wahre Heavy Metal – nicht mit True Metal zu verwechseln – sei schlicht und elend in den frühen Neunzigern verendet. Nun, streng genommen ist das gar nicht mal so falsch. Zumindest in seiner reinrassigen Form hat sich der klassische Metal zurück in den Underground bewegt, dafür entstand durch Crossover mit anderen Genres eine Vielzahl von Spielarten, die alle irgendwo noch heavy oder hart (oder wie man’s auch immer nennen will) klangen, aber eben mit der Judas Priest/Iron Maiden/Saxon-Achse nicht mehr viel zu tun hatten. Eine der Hauptschuldigen dabei ist die britische Band Skyclad, die trotz zunächst weitgehend ablehnender Reaktionen einen Brückenschlag zwischen Thrash Metal und traditionell britischer Folklore wagten.

Die Basis der Band waren Sänger Martin Walkyier, dessen eigentümliches „Gebell“ bereits bei den Thrashern Sabbat erklungen war sowie Graeme English und Steve Ramsey, die zuvor bei der aus der NWOBHM-Kultband Satan hervorgegangenen Speed-Thrash-Combo Pariah aktiv gewesen waren.

Walkyiers Ziel, „die ultimative Pagan-Band“ zu kreieren, resultierte erst einmal im Debütalbum „Wayward Sons Of Mother Earth“, das über weite Strecken noch den typisch britischen Thrash-Sound von Sabbat fortsetzte. Für Aufsehen sorgten drei Dinge: einmal die wortreichen, gesellschaftskritischen und humorvollen Texte von Walkyier, in denen er seinem heidnischen Glauben frönte, allerdings ohne sich dabei in schmierig-braune Gefilde zu begeben. Etwas kritischer wurde das eigenwillige Robin Hood-Outfit der Band gesehen, das selbst den Mittsiebziger Jethro Tull noch die Show stahl. Doch für schiere Verwirrung sorgte ein einziger Song: ‚The Widdershins Jig‘, das mit Violine, Akustikgitarre, Flöte und allerlei Folk-Instrumetarium verziert war und auch melodisch klar vom Folk inspiriert war. Klar, auch Thin Lizzy und Gary Moore hatten mit Folkelementen experimentiert, im Prog war es gar fast üblich, und selbst im Punk gab’s die Pogues, aber waschechte Metal- und Thrashriffs mit Folk? Sowas gab’s bis dato definitiv noch nicht. Auch auf dem Rest der Scheibe übrigens nicht: Songs wie das siebenminütige ‚Our Dying Island‘ und das ‚mission statement‘ ‚Skyclad‚ waren unbestreitbar typischer Frühneunziger-Thrash, vollkommen ohne irgendwelche Fiedeln und sonstigen Klamauk. Lediglich der Ballade ‚Moongleam And Meadowsweet‘ konnte man noch mit etwas Fantasie ein Folkelement unterschieben, aber auch die war näher an typischen Thrash-Balladen wie ‚Fade To Black‘ oder ‚Return To Serenity‘. Dabei zeigte sich auch das Hauptproblem von „Wayward Sons Of Mother Earth“: das Ganze klang natürlich beileibe nicht übel, aber um aus dem Meer von ähnlichen Bands hervorzustechen, fehlten dann doch die Eigenheiten.

Somit war klar: dieses Folkding, das die Kritiker so doof fanden, aber live zum Konzerthöhepunkt avancierte, sollte die Richtung für den Nachfolger vorgeben. Und schon ein Jahr später stand „A Burnt Offering For The Bone Idol“ in den Läden. Obwohl die Riffs noch klar dem Thrash Metal verhaftet waren, gab man sich rhytmisch variabler, vertrackter, weniger heavy – und die akustischen Instrumente wurden diesmal ganz selbstverständlich über die komplette Albumdistanz in den Gesamtsound integriert. Dazu kam Walkyiers deutlich weniger Venom-lastiger Gesang und eine generell weit offenere Produktion, die auch die wunderbar melodischen Bassparts (beispielsweise im Opener ‚A Broken Promised Land‘) perfekt zur Geltung brachte. Und – mit Fritha Jenkins gehörte diesmal eine Violinistin zum festen Lineup. Die Presse war sich sicher, daß Skyclad nun vollkommen den Verstand verloren hatten, doch die Fans erfreuten sich an dem völlig eigenständigen und launigen Gebräu, das sowohl den Moshpit als auch den Tanz um den Maibaum evozierte. Bis heute haben Hits wie ‚Spinning Jenny‘ oder ‚The Declaration Of Indifference‘ nichts von ihrer Faszination verloren – auch wenn Skyclad im Vergleich zu späteren Kollegen immer relativ unkommerziell und angeschrägt zu Werke gingen. Mit ‚Salt On The Earth‘ verband die Band gar Iron Maiden-Galopp mit Bay-Area-Thrash-Riffing und gleichermaßen mittelalterlich wie punkig anmutenden Vibes und krönte das Ganze mit einem der genialsten Soloparts der kompletten Metal-History. Die psychedelische (!) Ballade ‚Alone In Death’s Shadow‘ bewies zweierlei Dinge: Klargesang konnte Walkyier ums Verrecken nicht, und auch die Spacerocker Hawkwind standen mit Sicherheit bei den Skyclad-Recken im Schrank. Wenn man nur ein Skyclad-Album besitzen will, MUSS es „A Burnt Offering For The Bone Idol“ sein.

Das dritte Album „Jonah’s Ark“ machte schon mit dem Coverartwork klar, daß sich hier etwas geändert hatte. Alles in freundlichem Grün, wo die Vorgänger noch in düsteren Farben gehalten waren – ja, die Band segelte vordergründig weg von den Untergangsszenarien und em Thrash-Einfluss. Schon der Opener ‚Thinking Allowed‘ (wieder eines von Walkyiers Wortspielen) klang deutlich weniger düster, das Riff war eher an Saxon als an Onslaught angelehnt – und der Refrain hatte diesmal gar echte Ohrwurmqualitäten. Generell hatte die Band auch eine Entschlackung ihrer Musik angeordnet. Wo die ersten beiden Alben noch diverse Songs über der Sechs-Minuten-Grenze enthielten, kamen Songs wie ‚Cry Of The Land‘ diesmal allesamt ziemlich fix auf den Punkt, nur das epische, zwischen Black Sabbath und einmal mehr Hawkwind angesiedelte ‚A Word To The Wise‘ überschritt noch knapp die Sechs-Minuten-Grenze. Dafür experimentierten Skyclad in ‚A Near Life Experience‘ mit Elementen aus dem gerade angesagten Funk- und Rap-Metal, ‚Earth Mother, The Sun And The Furious Host‘ erinnerte mit seinem rollenden Tom-Groove hingegen an Jethro Tull – auf Speed. Selbst die Klargesänge klangen nicht mehr ganz so kultig-schief wie noch auf dem Vorgänger, und mit dem gänsehautmäßigen ‚It Wasn’t Meant To End This Way‘ gab’s noch einen rein akustischen, tieftraurigen Abgesang auf die Welt in bester halbgesprochener Roger Waters-Manier. Die Neuauflage enthält übrigens noch eine Bonus Disc, auf der die EP „Tracks From The Wilderness“ verewigt ist. Die ist vor allem wegen des genialen Cover von Thin Lizzys ‚Emerald‘ empfehlenswert, der pure Thrasher ‚When All Else Fails‘ und die drei derben Livetracks zeigen die Band aber noch einmal von ihrer heaviesten Seite und runden somit das Album perfekt ab.

„Prince Of The Poverty Line“, das vierte Werk in ebensovielen Jahren, zeigte die Band dann wieder deutlich härter. Nicht nur waren die Brat-Riffs wieder zurück, nein, Skyclad orientierten sich auch zum Beispiel auf ‚A Bellyfull Of Emptiness‘ an damals modernen Metal-Sounds, und in ‚Sins Of Emission‘ gab’s gar einen tanzbaren Groove zu hören. Am Auffälligsten war aber, daß die akustischen Folk-Instrumente fast durchweg in den Hintergrund gerückt wurden und stattdessen recht viel mit Synthesizern experimentiert wurde. Nicht wenige Fans der Folk-Seite der Band waren nach den beiden Vorgängern ein wenig enttäuscht (der Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen), aber dennoch hat sich „Prince Of The Poverty Line“ über die Jahre ganz gut gehalten. Songs wie ‚Civil War Dance‘ oder das harte ‚Gammadion Seed‘ sind nämlich trotzdem ziemlich geil, auch wenn dem Album ein echter Überflieger fehlt. Nur die typische flache Mittneunziger-Produktion klingt heute gar noch uncooler als damals. Mit ‚Brothers Beneath The Skin‘ und zwei Livetakes sind auch wieder drei Bonustracks vertreten, so daß auch „Prince Of The Poverty Line“ durchaus eine Empfehlung bekommt.

Am fünften Album der Band „The Silent Whales Of Lunar Sea“ scheiden sich bis heute die Geister. Im Vergleich zum Vorgänger gab’s hier eine weit melancholischere Grundstimmung, die modernen Element des Vorgängers waren ausnahmslos verschrottet worden und Walkyier zeigte sich – ungehindert von der Tatsache, daß er nach wie vor kein Stück „richtig“ singen konnte – so melodieverliebt wie nie zu vor. Selbst wenn es einmal härter wurde, wie beispielsweise im knurrigen ‚Art Nazi‘ und dem an Raven (!) erinnernden Speed-Metal-Brett ‚Desperanto‘, war das Songwriting so stark an klassische Folktradition angelehnt wie nie zuvor. Das war nicht mehr Metal mit Folkinstrumentierung, sondern pure Folksongs mit Metal-Gitarren und -Drums, oder auch mal, wie im abschließenden Instrumental ‚Dance Of The Dandy Hound‘, im Hillbilly-Gewand. Das sahen die Metaller höchst kritisch, doch in etwa zur Zeit der Veröffentlichung dieses Albums krochen auch Bands wie Subway To Sally und In Extremo aus ihren Löchern – und deren Fans nahmen Skyclad begeistert auf. In den Texten teilte Walkyier einmal mehr höchst lesenswert gegen alle Formen von sozialer Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung und Krieg aus – aber selten hat selbst er sein Anliegen so gnadenlos ins Ziel treffend formuliert wie im Antikriegssong ‚Jeopardy‘, der noch über zwanzig Jahre später wie ein Tiefschlag in die Magengrube trifft.

Leider endet hiermit schon die Reissue-Kampagne – „The Silent Whales Of Lunar Sea“ war das letzte Skyclad -Album für Noise Records. Zwar gibt es hier im Gegensatz zu den Reissues von Celtic Frost, Voivod und Running Wild nur wenig Bonusmaterial, doch die Reissues sind ebenfalls mit Linernotes und vielen Fotos als schicke Digipacks designt. Nur Eines ist vollkommen unverzeihlich: bei Skyclad keine Texte abzudrucken, geht gar nicht. Martin Walkyier ist ohne Frage einer der cleversten, originellsten und schlicht besten Texter des oft im Klischee erstickenden Metal-Genres. Ohne die eben nicht immer allzu verständlich gesungenen Lyrics mit ihren humorigen Wortspielen und der intelligent formulierten Gesellschaftskritik nimmt man Skyclad einen beträchtlichen Teil ihrer Wirkung. Dennoch, schön, daß die Alben endlich wieder alle zu vernünftigen Preisen erhältlich sind.

Benotung:

Wayward Sons Of Mother Earth: 2
A Burnt Offering For The Bone Idol: 1-
Jonah’s Ark: 2+
Prince Of The Poverty Line: 3
The Silent Whales Of Lunar Sea: 2

Fotos: CMM Marketing

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