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Legacy

Für die einen ist es Tech-Metal, für die anderen vermutlich eine der genrelosesten Bands der Welt. Nachdem Hope For The Dying zwei Alben und eine EP mit einer wilden Mischung aus Symphonic-Death-Metal und Anleihen bei Metalcore-Kollegen gefüllt haben, geht das neue Album „Legacy“ noch einige Schritte weiter.

Anfänglich bekommen wir scheinbar gewohnte Töne serviert. Ein orchestrales Intro à la Filmmusik schmeichelt sich in die Ohren. Dass die Instrumente bei diesem Stück höchstwahrscheinlich synthetisch sind, ist erkennbar, stört aber durch das schöne Arrangement weit weniger als befürchtet. Der zweite Titel „Setting Sun“ zeigt dann an, wohin die Reise auf dem dritten Album der vier bärtigen Experten geht: ein Sturm aus Drums, Riffs, Screams, Growls und immer wieder dieses Orchester in sinnvoller Ergänzung zur geballten Klanggewalt. Manches davon erinnert entfernt an das letzte Album von Cyrax. Hope For The Dying lassen ihre Songs aber nie zur überzeichneten Selbstparodie verkommen und kriegen immer wieder die Kurve zu einem wahrhaft epischen Stück Musik.

Progressiver als auf den früheren Alben geht es auch in den nächsten Songs zu. „Flame Forged“ zitiert chillig orientalische Klänge, schraubt sich nach ein paar entspannten Takten aber unaufhaltsam weiter in die Höhe. In diesem Lied lässt sich das für die Band mittlerweile seltene Phänomen beobachten, dass bestimmte Melodien tatsächlich wiederholt werden. In den meisten der insgesamt zehn Titel pfeift man nämlich fröhlich auf etablierte Strukturen. Dass das Endprodukt dann trotzdem an keiner Stelle planlos oder gar chaotisch rüberkommt und sich Genrefans auch nicht durch zuviel Avantgarde anbiedern will, zeugt von großem Können. Wenn zu Stromgitarre und Drums noch scheinbar dissonanter Clean-Gesang und eine trotz aller Vorurteile gut dazupassende Orgel im Hintergrund erschallt, werden Erinnerungen an die besseren Songs von Becoming The Archetype wach. Aber diese Kollegen haben Hope For The Dying bei aller Qualität schon längst hinter sich gelassen.

Ein hervorragendes Stück harte Musik also, das allerdings in Ruhe genossen werden sollte. Um die Komplexität der Songs würdigen zu können, eignet sich die Stereoanlage besser als Handykopfhörer, das Sofa besser als die Straßenbahn. Auch die Länge der einzelnen Titel von bis zu zehn Minuten ist eher nichts für Zwischendurch. Lässt man sich aber erstmal auf die scheinbar eigenwillige Mischung ein, dann darf sich jeder Liebhaber anspruchsvoller Metalbands hier absolut gut aufgehoben fühlen.

(geschrieben von Michael Seiler)

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