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Leftoverture Live And Beyond

Schön, das Kansas auf ihrer letzten Tour wenigstens ein ordentliches Doppel-Livealbum mitgeschnitten haben, wenn sie sich schon nicht zur Night Of The Prog auf der Loreley trauten. Aber, so gut der „Ersatzact“ Marillion natürlich war, „Leftoverture Live And Beyond“ stimmt mit Sicherheit die Kansas-Fans noch trauriger, diese Sause verpasst zu haben.

Dabei scheint das Ganze vordergründig gar nicht mal so was Besonderes zu sein. Ja, das komplette „Leftoverture“-Album wird gespielt, aber generell kommt ja eh keine Kansas-Show ohne mindestens die Hälfte des Klassikeralbums aus. So ist denn auch ‚Questions Of My Childhood‘ das einzige wirklich selten gespielte Stück aus dem „Leftoverture“-Set. Auch ansonsten gibt’s wenig, was nicht bereits auf anderen Kansas-Livescheiben drauf war. Auf das im Laufe der Tour durchaus regelmäßig gespielten ‚All I Wanted‘ aus der Steve Morse-Ära muss man leider ebenso verzichten wie auf Material der christlichen Phase. Auch vom bärenstarken letzten Album „The Prelude Implicit“ gibt’s nur drei Songs, und die fantastische Single ‚With This Heart‘ ist leider nicht dabei. Mehr noch, aus den vierzig Jahren zwischen „Point Of Know Return“ (1977) und dem letzten Album ist mit ‚Icarus II‘ gerade mal ein einziger Song vertreten. Mecker, mecker, mecker also?

Keineswegs. Denn „Leftoverture Live And Beyond“ hat – trotz der wenig originellen Setlist – einfach ungeheuer Schmackes. Die Band zelebriert die Klassiker mit Frische und jugendlicher Energie, daß es einfach Spaß macht, sich die zwei Stunden ums Ohr zu hauen. Daß dabei die beiden (!) Gitarren ganz deutlich heavier als in den Siebzigern tönen und das Hauptaugenmerk auf die Prog-Seite des Kansas-Sounds gelegt wurde, kommt dem Ganzen noch zusätzlich zugute. Und, sorry, liebe Walsh-Fans, so kraftvoll, beseelt und vor allem souverän wie Ronnie Platt hier hat der ausgeschiedene Steve Walsh das Material zuletzt in den Siebzigern gesungen. Ja, dieses Album bestätigt: die Neuzugänge Platt, Zak Rizvi (gtr) und David Manion (keys) sind das Beste, was der Band passieren konnte. Alles klingt verjüngt, voller Spielfreude und überraschend zeitgemäß – ohne das irgendein Ton an den klassischen Arrangements geändert wurde. Dazu passt auch der erfreulich unpolierte und alles Andere als klinisch sauber klingende Sound der Scheibe, für den einmal mehr Kansas-Stammproduzent Jeff Glixman verantwortlich ist. Audiophile Gemüter werden nun wieder den bösen „Loudness War“ verteufeln – aber hey, das hier ist trotz aller krummer Takte und komplexen Arrangements immer noch Rock’n’Roll, und der muss eben auch mal krachen. Gerade, wenn in der göttlichen Version von ‚Lamplight Syphony‘ von zarten Violinen zu krachendem Heavy Rock mit ekstatischem Drumming von Phil Ehart und zurück gewechselt wird, will man der kompletten Band ein High Five geben, zeigen Kansas doch hier: Prog Rock muss nicht statisch und zivilisiert sein, er wird gar umso besser, wenn man auch dem zweiten Teil des Wortes ordentlich Bedeutung beimisst.

Ich könnte jetzt noch Stunden weiterschwärmen, aber lassen wir’s einfach dabei: Kansas haben mit „Leftoverture Live And Beyond“ eine großartiges Livealbum veröffentlicht, das eine Band im zweiten Frühling zeigt und sich selbst im Vergleich zum – rattenscharfen! – Live-Klassiker „Two For The Show“ nicht zu verstecken braucht. Für alle Prog- und Classic Rock-Fans ein unumgänglicher Pflichtkauf – und für alle, die Kansas einfach mal kennenlernen wollen, ein perfekter Einstieg.

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