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Led Zeppelin – Wandlungsworte vom Rock-Olymp (Rückblick Teil III)

Man könnte gehässig sein und ‚Physical Graffiti‘ als Led Zeppelins diskographische Aufräumkiste bezeichnen, hatte die Band doch entschieden, zu strecken statt zu beschneiden und einen Schlag bislang unveröffentlichter Songs zusätzlich beizufügen. Man könnte ‚Physical Graffiti‘, das als erstes Album über das bandeigene Label Swan Song Records erschienen ist, aber auch einfach zum besten Doppelalbum aller Zeiten ausrufen. Denn schließlich reißt die Kette legendären Songwritings auch im Jahre 1975 nicht ab.
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Tatsächlich ist die Bauchlastigkeit – CD 2 steht drei Tracks über – kein Indiz für Rosinenpickerei. Denn auch wenn das von über elf Minuten orgasmisch hochgeschaukelte, slidegitarrengesteuerte ‚In My Time Of Dying‘ eine strenge Duftmarke setzt und mit dem orchestralen ‚Kashmir‘ das ewige Hit-Aushängeschild dieses Albums als letzter Song von CD 1 eine gewisse Trennlinie zieht, steht der zweite Abschnitt in Sachen Kreativität dem ersten in nichts nach, und das, obwohl sich Basser John Paul Jones sein Haar für Bandverhältnisse bedrohlich gekürzt hatte und sich angeblich mit – letztendlich verworfenen – Ausstiegsgedanken getragen haben soll.

Das Upgrade zum Doppelalbum entstand aus der Situation heraus: Mit den acht neuen Songs hatte man die für damalige Verhältnisse übrliche Spielzeit einer LP gefährlich überschritten, und da man gerade nicht vorhatte, zu kürzen, beschloss man, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und ‚Physical Graffiti‘ mit Outtakes der vorangegangenen Alben aufzustocken – so etwa den verspäteten Titeltrack des Vorgängers ‚Houses Of The Holy‘. Oder schlurfige Nummern wie ‚Boogie With Stu‘ und ‚Black Country Woman‘, die wohl nicht völlig ohne Grund dort anlaufen, wo das Album schon längst nur noch gewinnen kann. Es wird offenbar: Schon in Headley Grange zog man ganz schön weite Kreise. Herausgekommen ist ein stilistisch bestechendes Resümee dessen, wozu Led Zeppelin fähig waren. Blues-, Soft- und Hardrock, Funk, Balladeskes und Akustisches – spätestens mit ‚Physical Graffiti‘ hatte die Band die Kritiker auf ihrer Seite. Und das völlig zu Recht. Die daraus hervorgehende, partielle Egalheit im Songwriting sollte der Band noch gut tun.

Gekürzt wurde dafür dann beim Cover-Artwork: 96-98 St. Mark’s Place, New York City, das Resultat etlicher Streifzüge des angeheuerten Grafikers Peter Corriston, wollte in natura nicht so recht ins quadratische Coverformat passen. Der vierte Stock musste weichen, es wurde nachgefenstert und -gekachelt, angrenzende Gebäude hatten sich anzupassen – alles im Sinne des Layouts, das dem Original auch diesmal wieder so nahe kommt, wie es eben geht. Auch das vergnügliche Wechselspiel mit den Inlays ist dank Aussparungen im Cover wieder gewährleistet. Im Gegenzug fliegt einem beim Auspacken aber natürlich wieder die ganze Chose um die Ohren, wenn man seine Vorfreude nicht einigermaßen im Griff hat.
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Auf der obligatorischen Companion Disc der Neuauflage findet sich abermals ein Sträußchen an Gimmicks aus dem Studio, allem voran „Initial-„, „Rough-Mixes“ oder „Early Versions“, sprich: höchstens dokumentarisch interessante frühe Versionen der bekannten Songs. Höhepunkt aber: ‚Everybody Makes It Through‘ als spooky Neben-der-Spur-Version von ‚In The Light‘. Weitaus spannender als die fürs Laienohr lediglich marginalen, falls denn überhaupt bemerkbaren Abweichungen im Sound der allermeisten Beigaben ist allerdings die abweichende, phantasievolle Betitelung. So scheint ‚Trampled Underfoot‘ einmal ‚Brandy & Coke‘ gerufen worden zu sein, während ‚In The Light‘ mit der Botschaft ‚Everybody Makes It Through‘ verknüpft ist. Praktisches Wissen, um beim nächsten Altrocker-Stammtisch eine gute Figur zu machen. Mindestens. Und sowieso: Wer irrigerweise glaubt, ein Re-Issue-Päckchen genüge, der hole sich wenigstens dieses hier.

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