LAURA JANE GRACE – Zeit zu überleben
„Stay Alive“ war eine komplett neue Art einer Soloplatte. Ohne Against Me!, ohne die Devouring Mothers. Wie hat sich das angefühlt?
Es fühlt sich einfach gut an, eine Platte herauszubringen, um sie mit anderen zu teilen und darüber zu sprechen. Keine der Umstände, unter denen dieses Album entstanden ist, waren so geplant oder ideal. Ich dachte, ich würde mit Against Me! ein Album machen. Anfang des Jahres kam das Virus. Keiner von uns lebt in derselben Stadt oder im selben Bundesstaat, daher schmolzen die Albumpläne. Wir können momentan auf keinen Fall zusammen in einem Raum sein. Ich bin mir nicht mal sicher, wann wir alle wieder zusammen sein können. Ich war dankbar, dass ich ins Studio gehen konnte um an Songs zu arbeiten, um mich nicht völlig hilflos zu fühlen. So vieles, was gerade um mich herum passiert liegt außerhalb meiner Kontrolle. Insgesamt denke ich, dass es sich so gut wie möglicht anfühlt – aber trotzdem irgendwie traurig.
Du hast das Zine „The innocent karma of owning a cage“ veröffentlicht. War das ein Ergebnis der Extra-Zeit?
Als ich jünger war, habe ich regelmäßig ein Zine gemacht. Als das Touren im Vollzeitmodus begann, blieb das natürlich auf der Strecke. Ich habe versucht, das Beste aus meiner Zeit ohne Touren zu machen. Dabei habe ich Dinge wiederentdeckt, die ich früher gerne gemacht habe, wie das Erstellen von Zines. Es ist auch schön Kunst zu machen die greifbar ist, und nichts mit einem Computer zu tun hat. So viel von unserem Leben hat sich in diesen Zeiten online verlagert. Ich kriege ziemlich schnell eine digitale Müdigkeit.
Du hast den Song „The Hanging Tree“ bereits vor einiger Zeit geschrieben. Wie frustrierend ist es dass der Song relevanter denn je ist?
Rassismus in den USA ist leider nichts Neues, dieses Land wurde darauf aufgebaut. Nur verschwindet er leider auch nicht wenn man ihn ignoriert.
Heutzutage ist es nötig die Stimme zu erheben – auf der Bühne genauso wie überall sonst. Ist das für dich anders als die – vielleicht – sichtbarste transgender Person des Punkrock?
Ich habe es immer für notwendig gehalten die Stimme zu erheben. Für mich war das immer das, worum es beim Punkrock ging und warum ich davon angezogen wurde. Bei Punkrock geht es immer darum, eine Botschaft des Wandels und der Revolution, der Ermächtigung und Inklusion zu verbreiten. Transgender zu sein ist ein unvermeidlicher Teil meiner Identität und da Transgender immer noch ein so missverstandener Teil der Gesellschaft sind, ist es zwangsläufig politisch, sichtbar transgender zu sein. Daher ist es mir wichtig, sichtbar zu sein.
Würdest Du sagen Du hast Dich mittlerweile selbst gefunden oder ist das mehr ein fortwährender Prozess?
Ich weiß es nicht. Eigentlich denke ich nicht wirklich in diesen Begriffen. Ich versuche nur zu überleben. Ich denke jeder muss – je älter man wird – sich stetig finden und herausfinden, wie man zu der Welt steht und wie die Welt zu einem steht. Das ist das Leben und da bin ich nicht anders.
Über Identität zu reden sollte Minderheiten schützen und das gegenseitige Verständnis stärken. Findest Du die Gesellschaften kämpfen zu sehr gegeneinander?
Ich bin mir nicht sicher. Ich versuche immer, eine Botschaft der Einheit und des gegenseitigen Verständnisses zu vermitteln. Es geht um Empathie und darum, sich in die anderen Personen hineinzuversetzen. Man muss versuchen zu verstehen wie sie erreicht werden können, wie man in einen Dialog treten kann und Menschen die Dinge lehren, die sie nicht verstehen.
Glaubst du es sollte eine größere Genderbalance in der Musik geben?
Ich stimme definitiv zu, dass es mehr Gleichheit und Vielfalt in der Musik geben sollte. Und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern auch für die Leute hinter den Kulissen, die an den Shows arbeiten und die Touren ermöglichen. Davon profitieren wir alle und es entsteht eine nachhaltigere Zukunft der Musik.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft des Feminismus?
Nun, die Lehrbuchdefinition des Feminismus ist für die Gleichstellung der Geschlechter einzutreten. Frauenrechte sind den Männerrechten gleichberechtigt. Ich denke, jeder sollte die gleichen Rechte haben. Jeder sollte frei leben können und sein Glück finden. Aber ich denke auch, dass das Leben weit größer ist als nur schwarz und weiß. Aber Gleichheit sollte immer inklusive sein, ganz egal ob man in die Schubladen der Geschlechter passt oder nicht.
Fotocredit: Alexa Viscius