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Kissworld

Anläßlich der „End Of The Road“-Abschiedstour wird nun auch die bislang nur in Großbritannien erhältliche „Kissworld – The Best Of Kiss“ offiziell im Rest Europas veröffentlicht – faszinierenderweise pünktlich zum Brexit-Datum. Ob Simmons und Stanley damit Theresa May ärgern wollen, darf bezweifelt werden – wahrscheinlich geht’s mehr darum, die aufgrund der teils unverschämten Ticketpreise Unentschlossenen nochmal daran zu erinnern, was man an Kiss denn bislang so hatte. Natürlich, „Kissworld“ ist nicht die erste, und, sollte die Welt nicht SEHR bald enden, auch mit Sicherheit nicht die letzte Best-Of der „hottest band in the world“. Ob das jemand „braucht“, soll uns an dieser Stelle mal nicht interessieren, wir betrachten einfach mal ganz neutral, was „Kissworld“ bietet.

Zwanzig Songs sind auf der CD enthalten, und grundsätzlich muss man sagen, dass der Untertitel „The Best“ etwas unglücklich gewählt ist – wurde doch das Hauptaugenmerk ziemlich exklusiv auf die bekanntesten Sachen der Band gelegt und nicht unbedingt auf die kreativen Höhepunkte. Mit Ausnahme des etwas unmotiviert in der Tracklist versteckten Deep Cuts ‚I’m A Legend Tonight‘ kann man denn auch jeden einzelnen Song mindestens als Mini-Hit bezeichnen – selbst aus den letzten beiden Alben wurden mit ‚Modern Day Delilah‘ und ‚Hell Or Hallelujah‘ stilsicher die beiden nachhaltigsten Songs ausgewählt. Die beachtliche Hit-Vollbedienung geht so ziemlich gleichberechtigt durch alle Phasen der Band: ‚Shout It Out Loud‘, ‚Rock And Roll All Nite‘, ‚Lick It Up‘, ‚Detroit Rock City‘, ‚Love Gun‘, ‚I Was Made For Lovin‘ You‘ und natürlich die beiden Schmachtfetzen von Tante Peter, ‚Beth‘ und ‚Hard Luck Woman‘. Aber es gibt eben auch ‚Unholy‘, ‚Psycho Circus‘, ‚Crazy Crazy Nights‘, ‚God Gave Rock And Roll To You II‘ und, ähem, ‚Shandi‘, die im Verbund mit den Unumgänglichen nicht nur zeigen, dass Kiss in jeder Ära für feinen Stoff standen, sondern auch die oft übersehene Vielseitigkeit der Band betonen. Hätte man das wirklich nur bedingt mit Klassikerstatusanspruch ausgestattete ‚I’m A Legend Tonight‘ lieber durch die schmerzhaft fehlenden ‚I Love It Loud‘ oder ‚Strutter‘ ersetzt, wäre „Kissworld“ aber noch ein gutes Stück lohnenswerter ausgefallen.

Allerdings hat die Vielseitigkeit ihren Preis. Denn so gibt es beispielsweise mit Ausnahme von ‚Rock And Roll All Nite‘ keinen anderen Song von den ersten drei Alben, was bedeutet, das unsterbliche Hammersongs wie ‚Deuce‘, ‚Nothin‘ To Lose‘, ‚Hotter Than Hell‘, ‚C’mon And Love Me‘, ‚Black Diamond‘, ‚Firehouse‘ oder eben das erwähnte ‚Strutter‘ nicht auf „Kissworld“ vertreten sind. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Macher dieser Sammlung davon ausgingen, dass unabhängig vom eigentlichen Musikgeschmack ehedem jeder Rockfan „Alive!“ schon zuhause stehen hat und diese Songs deshalb auch Neulingen gar nicht mehr vorgestellt werden müssten. Da die Zusammenstellung von „Kissworld“ doch recht stimmig und somit für Neueinsteiger durchaus interessant ausgefallen ist, bleibt also zu empfehlen, dass man sich am Besten besagtes „Alive!“ gleich mit eintütet. Das ist nämlich nicht nur eine der geilsten Rock’n’Roll-Scheiben überhaupt und für Nachwuchs-Rock’n’Roller ein unbedingtes Pflichtalbum, sondern ergibt als die „wahre“ Kiss-Best-Of in Verbindung mit den kommerziellen Hits auf „Kissworld“ auch das kleine Einmaleins in Sachen „you wanted the best – you got the best“. Unter uns Pfarrerstöchtern: wer beides auf Vinyl kauft, kommt automatisch auch als Retro-Rock-Fashion-Blogger/-in auf Instagram authentischer rüber. Dankt mir später für den Tipp…

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