ILLEGALE FARBEN – Das Beste aus dem Lockdown machen
Das erste Album war so intuitiv aus uns herausgeplumpst. Wir haben uns dafür gar nicht viel Zeit gegeben.
So blickt Thomas auf das selbstbetitelte Debüt vom März 2016 zurück. Zackiger Power-Pop wurde da geboten, zum Durchtanzen und sein-Leben-über-den-Haufen-Werfen. Im gleichen Modus ist schon ein Jahr später der Zweitling „Grau“ erschienen. Und dann musste die Band erst einmal durchatmen:
Dann kam die Frage: Was machen wir denn jetzt eigentlich als nächstes? Machen wir immer weiter so mit solchen Platten? Ist das jetzt das Konzept?
Als Band war man nach den ersten schnellen Jahren zumindest so gefestigt, dass Gitarrist Thilo und Bassist Chris ein eigenes Illegale Farben-Studio einrichteten. Um sich ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken zu geben, nahm der Fünfer im September 2019 noch einen Split mit Angelika Express auf. Offenbar war die Kooperation mit anderen Leute inspirierend, denn eine solche wurde dann auch für das neue Album gesucht, so Thomas:
Wir haben uns dann entschieden, diesmal nicht alleine zu produzieren, sondern uns ein bisschen zu öffnen für andere.
Der Weg führte ins Kölner Bear Cave Studio:
Dort haben wir in mehreren Sessions die Stücke entwickelt. Sie waren vorher noch gar nicht richtig fertig, also sind wir da sehr experimentell und offen rangegangen. Irgendwie sind dann diese Songs dabei herausgekommen. Wir hatten viel mehr Lieder, als jetzt auf dem Album sind. Bevor unsere Aufnahmen aber komplett abgeschlossen werden konnten, kam die Corona-Geschichte dazu.
Dann war an Musik erst einmal nicht zu denken, fährt Thomas fort. Und ans Touren schon gar nicht. Im Gegensatz zu vielen Bands, die neue Veröffentlichungen wegen der Corona-Krise immer weiter verschieben, wollten Illegale Farben ihr Album fertigstellen und herausgeben:
Wir wollten es nicht zurückhalten. Denn es fühlt sich komisch an, wenn man an etwas gearbeitet hat und es auf einmal legt so zur Seite legt. Das funktioniert irgendwie nicht.
Also wurde eine enge Auswahl an Songs getroffen,
die am ehesten repräsentiert haben, wie wir uns zu der Zeit gefühlt haben. Diese wollten wir auch visuell einrahmen, und so kam die Idee zum Film hinzu. Wir haben – bis auf zwei Lieder – auf Uptempo-Nummern verzichtet, die bisher ja immer unser Trademark waren.
Durch die ungewohnten Umstände und den Zeitgewinn hätte die Band „ein bisschen Luft in die Musik reingelassen“, sagt Thomas. Das wirkte sich auch auf die Länge der Stücke aus, die nun mitunter an der sechs-Minuten-Marke kratzt. Und am auffälligsten sind die experimentellen Zwischensounds, die die Songs zusammenhalten und aus „unbedeutend ungenau“ ein One-Track-Album machen:
‚Konzeptalbum‘ kann man dazu schon sagen. Auch wenn es das Konzept am Anfang noch nicht gab. Aber in der Rückschau hat es sich so zusammengefügt. Das passierte weniger durch die Art, wie wir die Songs geschrieben haben – denn die waren vorher schon da. Aber es wurde dann doch zu einem Corona-Lockdown-Album, auch wenn dies nicht geplant war. Weil es einfach für uns zu der Zeit passte.
Der Sound der Zeit ist bei Illegale Farben also ein kontemplativer. Aber es gibt einen weiteren, eher praktischen Grund, warum aus dem Pool an neuen Songs vor allem die ruhigeren Stücke ausgesucht wurden:
Wenn wir nun vielleicht auch mal Corona-konforme Konzerte spielen werden, dann sind dies Lieder, die man sich sitzend anhören kann. Deswegen kamen wir auch auf die Idee mit dem Film. Wir wussten, dass es in absehbarer Zeit keine klassische Punkrock- oder Rock-Show geben wird. Andererseits wollten wir jetzt auch nicht schlechte Coverversionen von unseren Liedern auf Akustikgitarren machen.
Ein neuer, zurückgenommener Sound, und dann auch noch eine Album-Form, die von den Hörenden Zeit und Konzentration abfordert – das birgt ein gewisses Risiko für Band und Label. Und ist, laut Thomas, tatsächlich zunächst „auf Gegenwind gestoßen“. Allein in Streamingdiensten bricht „unbedeutend ungenau“ mit jeglichen Hörgewohnheiten:
Wir haben das natürlich bewusst ein wenig vor die Wand gefahren. Dies ist keine böse Absicht, sondern für uns irgendwie konsequent. Und vielleicht ist es ein schöner Gegenentwurf zu dieser Vereinzelung, wenn sich ein Album auflöst. Am besten sollte man ja jede Woche einen Track veröffentlichen, egal, ob diese dann irgendwie zusammenhängen. Wir sind vielleicht ein bisschen Oldschool, aber wird finden die Idee von einem durchgängigen Album schön.
In ersten Reaktionen aus Fankreisen hieß es sogar, die Band würde mit der One-Track-Konzeption die Hörenden bevormunden. Wie Thomas berichtet, schlug diese Haltung aber ins positive Gegenteil um, sobald sich die Leute für das Album die nötige Zeit genommen hatten:
Es freut uns eigentlich am meisten, dass da eine Auseinandersetzung stattfindet und dann eine Reaktion kommt. Das ist das Schönste. Ich finde es auch gut, wenn jemand sagt, das Album sei eine prätentiöse Scheiße. Es ist OK, wenn jemand es als verkopft ablehnt und lieber wieder schnelle Musik hören will. Wir selbst wollen ja auch mal schnelle und laute Musik hören und machen. Aber ich finde es auch schön, dass dies nun in der Illegale-Farben-Welt angekommen ist. Ab hier ist relativ viel möglich in der Bandbreite, die die Band gerade abdecken kann.
Dazu braucht es jetzt nur noch Bedingungen, in dem die Band als solche wieder zusammenkommen und funktionieren kann:
Das, was unsere Band ausmacht, kann gerade einfach nicht stattfinden. Wir leben ja davon, dass wir in einem Proberaum zusammen Musik machen, auf Tour gehen und gemeinsam Zeit verbringen. Das ist der nötige soziale Kitt, um auch mal durch die raue See zu fahren. So ein künstlerischer Prozess – gerade, wie wir das in der Band machen – ist teilweise sehr hart. Wir diskutieren viel, wir streiten uns. Das ist eben schwieriger, wenn man eine geringere Bindung hat, weil man sich nicht oft sieht. Dann entsteht fast eine Art Arbeitssituation, weil man nach einem Arbeitstag wieder vor dem Rechner sitzt, um in Videocalls und Telefonkonferenzen die Sachen abzuarbeiten, damit die Platte veröffentlicht werden kann.
Resignieren ist bei Illegale Farben trotzdem keine Option. Nicht umsonst heißt es im Song „Hunderttausend“: „Die Wahrheit ist, es muss einfach gehen.“ Also fand die Record-und-Filmrelease-Party im Februar per Zoom-Konferenz mit 80 Leuten statt, und am Ende war man auch betrunken und glücklich. Alles andere folgt, sagt Thomas:
Mit fortschreitender Impfung und Testmöglichkeiten werden wir uns zumindest mal wieder in den Proberaum setzen können, zusammen ein Bier trinken und ein bisschen Musik machen. Das ist der bescheidene erste Schritt. Dann werden wir schauen, wohin es uns weiter treibt und was wir als nächstes machen. Die Diskussionen darüber gehen schon los.
Hier könnt ihr euch die Audioversion des Beitrags anhören:
Foto: Chris Mock
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