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He Saw It Coming

Erstmal zum „elephant in the room“: das hier der Name „Great White“ bemüht wird, ist natürlich ziemlicher Blödsinn, sowohl musikalisch als auch personell. Denn „He Saw It Coming“ hat stilistisch kaum Berührungspunkte mit dem, was Russell früher so mit seinen Kollegen Kendall und Lardie gemacht hat, und der einzige andere Mann mit Great White-Bezug ist hier Tony Montana, der bei Great White Bass spielte, hier allerdings für die Gitarre zuständig ist. Dafür klingt „He Saw It Coming“ umso mehr nach dem, was Jack auf seinen bisherigen Soloalben abgeliefert hat, wenn auch weniger balladesk. Also, relaxter Westcoast-Sound, ein paar Beatles-Harmonien, ein paar Aerosmith-Riffs und ein guter Schuß AOR, und schon haben wir im Grundsatz die durchaus leckere Mischung auf „He Saw It Coming“.

Lässt man die Erwartungen an den „Great White„-Namen nämlich außer Acht, muss man Jack Russell zugestehen, daß er ein cooles Album zusammengebastelt hat – und vor allem einige ziemlich großartige Songs versammelt hat. Die Ballade ‚Anything For You‘ hätte George Harrison stolz gemacht, ‚Crazy‘ ist mit seinem Aerosmith-Groove wohl am nächsten am Sound der Ex-Band, ‚Blame It On The Night‘ ist cooler AOR-Stoff, in ‚She Moves Me‘ gibt’s Latin-Elemente, und ‚My Addiction‘ mischt Country-Flair und Doors-mäßigen Düsterrock mit einem erschreckend offenen und schonungslosen Text über Jacks Drogenprobleme. Zusammengehalten wird der Gemischtwarenladen von der immer noch charismatischen Stimme und dem durchweg hochwertigen Songwriting, das – eine gewisse Offenheit vorausgesetzt – keine Schwächen offenbart.

Warum ich aber trotzdem nicht vor Begeisterung nackt durch die Walachei renne, liegt weniger am – saukalten! – Wetter, sondern daran, daß an den Vocals soviel mit Autotune herumgeschraubt wurde, daß Kollege Kanye West dagegen noch authentisch und roh klingt. Ob aus Budgetgründen gemogelt wurde oder warum auch immer, ist eigentlich egal. Der deutlich hörbare, permanent eingesetzte Effekt geht jedenfalls zu oft auf Kosten von Feeling und Charisma, und beides ist eben bei einer Charakterstimme Jack Russell das A und O. Speziell die eigentlich schweinecoole A-Capella-Nummer ‚Godspeed‘ wird dadurch komplett versaut – das klingt nach Achtziger-Jahre-Videospielsoundtrack, aber nicht mehr nach menschlichen Stimmen.

Wer diesbezüglich weniger empfindlich ist, kann sich hier ruhig eine ganze Note besser denken, für mich zieht deiser Punkt das eigentlich sehr coole Album aber ein gutes Stück nach unten.

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