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Get To Heaven

‚So you think there’s no meaning, in anything that we do? / Maybe it’s the silence / Maybe it’s the war / Try to understand it / Try your best to understand the world‘

‚To The Blade‘

Schweigen oder Schimpfen. Zusehen oder Handeln. Mitlaufen oder gegen den Strom Schwimmen. Irgendwie Verstehen. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Auch in Hinblick auf das, was um einen herum passiert. Meist jedoch ermüdet die große hochtreibende Kritik an der Welt die sensible Musikwelt und das Publikum; zu abgedroschen klingt es, wenn über Krieg und Frieden gesungen wird. Wenn eine Band ab und zu doch über Themen abseits vom Liebeskummer und der Selbstfindung stolpert, muss das Argusauge einen Blick darauf werfen.

Dass auch Everything Everything lieber schimpfen als schweigen, machen sie mit ihrem neuen Album ‚Get To Heaven‘ mehr als deutlich. Sie zeigen keine Scheu zu verstehen, was unergründlich scheint und schwingen sich auf den schnellen Zug mit Endstation Gesellschaftskritik. Ihre neue LP verpasst dem Themenkosmos des Indie-Rocks einen frischen Anstrich aus Wut und Energie. Auf dem Weg zum Spektakel prescht das Quartett nach vorn.

Everything Everything überladen ihr drittes Werk mit Bedeutungsschwere und musikalischer Raffinesse. ‚To The Blade‘ läutet mit aller Heftigkeit den Grundton des Albums durch einen lauten energiegeladenen Schrei Jonathan Higgs ein, getrieben von einer Unruhe, die tiefe Elektrosounds und seine Stimme in allen Höhen und Tiefen auf die Spitze begleiten. Doch anstatt sich lediglich auf Gebrüll und Gezeter aus wummernden Sounds und schwerverdaulichen Beats zu verlassen, versuchen es Everything Everything dieses Mal um einiges poppiger. Bewegt eure Beine zur Gesellschaftskritik! Schaut und hört, zu was ihr hin und her wippt. Die vier schaffen eine wunderbare Gegenüberstellung von zwei grundsätzlich widersprüchlichen Dingen, der Unbeschwertheit und der tiefen Sorge. Musik und Text sind dabei Everything Everythings Oxymoron. Zu lässigem Sprechgesang und neu aufgelegtem R’n’B-Sound wie auf ‚Distant Past‘ schwingt die Hüfte zur Wut über traditionelle Denke, dann findet man sich beim Mitsingen zur IS-Kritik wider (‚Regret Regret‘). Beim Titeltrack ‚Get To Heaven‘, dessen Retromelodie locker zur neuen Sommerhymne werden könnte, tanzt man den Boogie zur Selbstzerstörung. Während Sänger Jonathan Higgs also in altbekannter Falsettmanier fröhlich mit Begleitchor trällert, versinkt die Welt um ihn im Chaos:

‚There’s an old man laying down in the flames / Tonight / Smiling to me / And he whistles as they’re sweeping him up / Alright‘.

‚It’s alright to feel / Like a fat child / In a pushchair / Old enough to run / Old enough to fire a gun‘

(‚No Reptiles‘). Everything Everything wettern in jeder Hinsicht gegen die Mitläuferkultur und gegen jede Form von Passivität. Mit ‚Get To Heaven‘ sind sie selbst so aktiv, dass man manchmal kaum noch hinterherkommt, was denn nun gerade am Pranger steht. Ob nun der gefährliche Aufstieg der Ukip-Partei, Konsumgesellschaft oder der Terrorismus im Nahen Osten, alles findet einen Kanal auf ‚Get To Heaven‘. Das Quartett treibt seine Wut und Angst an, füttert sie mit dunklen elektronischen Klängen und futuristischer Zukunftsmelodie. Diese Attacke spiegelt sich nicht nur in den Texten, sondern auch der Musik. Ekstatisch wummert der elektronische Teppich, beschwörendes Summen hypnotisiert, zwischendrin bauen sie kleine wilde Gitarrensoli ein (‚Spring / Sun / Winter / Dread‘). Die leichtfüßige Pop-Attitüde verliert dabei gerade zum Ende des Albums ein wenig an Fahrt und tauscht den Platz mit dunkler, aggressiver Atmosphäre und bedrohlichen Bläsern (‚Fortune 500‘). ‚Get To Heaven‘ gehört damit wahrlich nicht zur leicht konsumierten Kost. Ruhepausen sucht man zwischen den elf energischen Tracks vergebens.

Everything Everything piksen mit ihrem dritten Album den Menschen in den zu dick gewordenen Bauch und schlagen gegen ihre Köpfe. Leisten können sie sich das allemal, denn ‚Get To Heaven‘ trifft genau den richtigen Nerv und ist in keiner Weise nur plakativ. Zynismus paart sich mit Ironie, Ernst mit lockeren Ratschlägen. Während andere ihre Verblüffung eher heucheln, greift das Quartett energisch an. Ihr Zeigefinger erhebt sich und streckt sich noch um einiges höher als bei ‚Man Alive‘ oder ‚Arc‘. Denn ‚Get To Heaven‘ begleitet ein fettes Ausrufezeichen. Ein Angriff, der noch lange nachhallt, das Gehirn anschmeißt und Everything Everythings Können nachdrücklich unter Beweis stellt.

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