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From Here

I’ve always tried never to press too hard, I never wanted to leave a mark. I’m good with disappearing like I was never there. (Setting Sun)

Man möchte sich verwundert die Augen beziehungsweise die Ohren reiben. Worte wie diese ist man von New Model Army nun wirklich nicht gewohnt. Kämpferisch, das ist zumindest eines der Attribute, die sich die Band aus Bradford über vier Jahrzehnte verdient hat. Da lässt sich eine scheinbare Absage an jegliche Ambitionen, in diesem Leben etwas zu erreichen, nur schwer einordnen.

Ganz so anspruchslos dürfen sich diese Zeilen allerdings nicht interpretieren lassen. Auch wenn “From Here” (earMUSIC) tatsächlich Anklänge einer Lebensbilanz aufweist. Aber das sei Justin Sullivan mit seinen 63 Lebensjahren und dem 14. regulären Studioalbum seiner Band zugestanden. Zumal er auch das auf seine ganz charakteritische Weise tut, die New Model Army so faszinierend macht.

Da ist zum Einen die sehr persönliche Komponente, die Sullivans Texte kennzeichnet und glaubwürdig macht: Like once I believed that the waves move the water, now I know it isn’t true.” (Passing Through) Auch auf älteren Alben finden sich Eingeständnisse eigener Irrtümer und Revisionen früherer Überzeugungen. Die Einen wie die Anderen werden immer mit Konsequenz vertreten, was das zweite signifikante Merkmal ist, das auch auf “From Here” wieder auftaucht. Diesmal äußert es sich also in dem Bedürfnis, einem – und seinem eigenen – Menschenleben keine überhöhte Bedeutung beizumessen:

We climbed high in the mountains and carved our names deep in the stone. It will all be gone, weathered away – back to where we came from. There’s nothing to lose, nothing to lose. (Passing Through)

Und hier ist sie nun auch, die Hoffnung, die New Model Army als drittes Spezifikum auszeichnet. Denn tatsächlich muss im eigenen Verschwinden beziehungsweise dem Bewusstsein davon keine Verzweiflung liegen. Zumal bis dahin noch genügend Zeit bleibt, womit der Bogen zur Gegenwart doch geschlagen wird. Zu deren Abwegigkeiten kann die Band natürlich nicht schweigen. Brexit-gebeutelt schaut sie fast mit Entsetzen auf das, was heute alles (wieder) möglich ist: We’re long past being careful of what we wish for.” (End Of Days)

Es ist diesmal aber nicht die direkte Konfrontation, die New Model Army suchen. Sie machen ein, zwei Schritte zurück und schauen mit Weitblick auf das große Ganze. „From Here“ bietet kaum Verweise auf konkrete Begebenheiten oder politische Entwicklungen. Trotzdem sind Populismus, Individualisierung und Klimawandel sowie das Unbehagen darüber allgegenwärtig – zwischen den Zeilen, in poetischer und bildlicher Sprache:

Monkey observes, monkey makes
Same old monkey mistakes;
3D copies of the weapons to be used
And all the flags are fakes. (Watch And Learn)

Klug, erfahrungsreich und unverdrossen, das sind New Model Army im Jahre 2019. „From Here“ ist ein sehr starkes Album, textlich wie musikalisch. Eine solche Ansammlung von Hymnen gab es zuletzt auf „Purity“; der erste balladige Song lässt bis zur zweiten Albumhälfte auf sich warten. Das ist, so hört man, in gewisser Weise der Inspiration durch die raue Landschaft der norwegischen Insel Giske zu verdanken, wo das Album aufgenommen wurde. Vor allem aber sind die Briten immer noch eines: rastlos: Our spirits are all such restless things like the flying snow” (Setting Sun). Das steckt von Anfang an in der Band und in Sullivans Texten und verliert sich zum Glück auch nach 40 Jahren nicht. New Model Army liebt, wer den Ort between departing and arriving” kennt und niemals endgültig ankommt. Denn Ankommen wäre tatsächlich das Ende. Wer so fühlt, wird folgerichtig auch dieses Album lieben.

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