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Feelings aus der Asche

Marc Oliver Schulz ist ein Phänomen. Nicht erst, seit er vor allem in den letzten beiden Jahren als TV-Entertainer abseits vom Mainstream-Allerlei mit „Circus Halligalli“, „Neo Paradise“ und „Schulz in the Box“ einem breiteren Publikum bekannt wurde. Schließlich ist der vor wenigen Wochen 40 Jahre alt gewordene zweifache Vater bereits seit 2003 ein produktiver Singer-Songwriter, der sich in keine Genre-Schublade einordnen lässt. Wenngleich Schulz schon immer sein Publikum (vor allem Live) mit gewitzten Texten und skurrilen Anekdoten aus dem Leben hervorragend zu unterhalten wußte, wurde das Etikett „witziger Liedermacher“ ihm nie auch nur im Ansatz gerecht. Wer daran je einen Zweifel hatte oder das wegen dem einen oder anderen Scherz anders sah, wird dem spätestens mit dem neuen Album „Feelings Aus Der Asche“ zustimmen. Schulz sinniert auf seinem sechsten Album weiterhin über (sein) Leben und die Liebe, Musik und Begegnungen, jedoch gereifter und vor allem musikalisch-stilistisch deutlich vielseitiger als bisher, die E-Gitarren und die launigen Hymnen sind gleichzeitig so gut wie passé . Auch wenn mal tragikkomische, mal selbstironische Seitenhiebe auch auf dem neuen Album immer wieder vorkommen, ist der Grundton deutlich melancholischer – was dem Album hervorragend zu Gesicht steht. Schulz gibt damit, so lassen es einzelne Passagen der Texte zumindest erahnen, eine ehrliche Momentaufnahme seines Innenlebens als Person. Das Ergebnis ist ein sehr gelungenes Album, aus dem vor allem die nachdenklichen Songes Songs besonders herausragen.

Der Albumauftakt ‚So muss es beginnen‘ lässt vom erwähnten melancholischen Grundton zumindest musikalisch zunächst nichts hören, denn dort sorgt eine helle Gitarre und eine schicker Groove für launigen Drive. Sehr wohl erkennt die Ausrichtung jedoch, wer auf die Töne und Zwischentöne in den Texten hört: „Meine Helden sind alt, meine Träume dahin, ich weiß nicht wie es endet, aber so muss es beginnen.“ ‚Phase‘, in dem Olli ironisch über ein „aufgehendes Sternchen“ sinniert mit dem er liiert ist, wurde als Singleauskopplung bereits vor etlichen Wochen und als Video zum Album-Release veröffentlicht. ‚Kinder der Sonne‘ ist eine wehmütige Ballade über eine gescheiterte Beziehungen, getragen von einem vom wunderbar melodischen Refrain. In der augenzwinkernd selbstironischen Beschreibung der Schattenseiten des Lebens als zunehmend bekannte öffentliche Person mit allen in ‚Passt Schon!‘ übt sich Olli erfolgreich in Sprechgesang und auch der Beat liegt irgendwo zwischen Drum’n’Bass und Hip-Hop. ‚Boogieman‘ portraitiert sehr anschaulich eine Hamburger Hafenkneipe, in der Olli gescheiterten und geltungsbedürftigen Existenzen begegnet. ‚Als Musik noch richtig groß war‘ ist ein feinfühliger (Rück)Blick auf die Bedeutung der Musik im eigenen Leben und einer der wohlklingenden Beweise, daß auch Olli’s Musik „richtig groß“ ist. ‚Mann im Regen‘ geht inhaltlich und auch stimmungsmäßig in eine ähnliche Richtung wie ‚Kinder der Sonne‘. Die krönende Abschluß des Albums ist der überragende Titelsong mit dem Bild des verbrennenden Fotografie im Aschenbecher als Metapher für eine gescheiterte Beziehung. Das Lied hat alles, was ein großer Popsong braucht: Ein atmosphärisches In- und Outro, musikalische Dynamik, Vielseitigkeit und Drama und einen Gänsehaut-Refrain, den man tagelang nicht los wird. Und viel, viel Gefühl. Wow!

Olli Schulz sprach mit seiner Musik vom „Gute-Laune-Hit“ ‚Mach den Bibo‘ mal abgesehen (und den ganz ohne Kalkül) nie ein Massenpublikum an. Stattdessen hat der charismatische Liedermacher über die Jahre (und bereits lange vor seiner TV-Karriere) eine begeisterte Fangemeinde irgendwo im deutschsprachigen „Indie-Rock-Untergrund“ aufgebaut, indem er sich so gab, wie er selber ist. Ein sympathischer Kerl mit Ecken und Kanten, nie um einen Scherz oder Streich verlegen, aber genausowenig, seine Meinung zu sagen oder das zu tun, was ihm Spaß macht – ohne Rücksicht auf Verluste. Vermutlich macht ihn genau diese Integrität zu einer so faszinierenden Person. Mit einer Vertiefung der eher traurigen Seiten seines Lebens auf feinfühlige und ansprechende Art und Weise hat er der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person eine weitere, deutliche Facette hinzugefügt. Womöglich wird das in seiner Fangemeinde nochmals die Spreu vom Weizen trennen. Vermutlich würde Olli dazu etwa folgendes sagen: „Wer mich nur für einen komischen, skurillen Entertainer hält und mir mit meinem neuen Album unterstellt, ich würde jetzt auf plötzlich intellektuell machen, soll sich verpissen. Er hat weder in der Vergangenheit noch jetzt verstanden, daß ich einerseits mehr als das bin und andererseits gar nicht den Geltungsdrang habe, etwas „Besonderes“ zu sein, möglichst viele Platten zu verkaufen oder irgendeinem Bild zu entsprechen.“

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