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Cryptoriana – The Seductiveness Of Decay

Tendenziell weiß man ja schon, was von einem neuen Cradle Of Filth-Album zu erwarten ist. Die Zutaten sind klar: Gothic-Romantik, sinfonischer Bombast, komplexe Strukturen, Iron Maiden-Leads, Thrash-Riffs, wortreiche Lyrics mit Referenzen zu allem, was jemals in der (weit gefassten) Horrorliteratur veröffentlicht wurde – und immer noch ausreichend launiges Extrem-Metal-Getrümmer. Nur die Gewichtung der Zutaten ist jedesmal ein wenig anders, und Dani Filth gelingt es ja auch (fast) immer, der Chose noch einmal interessante Facetten abzuringen – weil er einfach ein begnadeter Songwriter ist. Nach dem Riffmassaker „The Manticore… And Other Horrors“ und dem eingängigen „Hammer Of The Witches“ hauen Cradle Of Filth mit ihrem neuen Werk „Cryptoriana“ vollkommen in die Pomp-Kerbe – und zwar so konsequent wie letztmalig auf „Damnation And A Day“.

Dabei klingen diesmal aufgrund der opulenten Chor-Arrangements sogar Musical-Anleihen durch, wie schon in der ersten Single ‚Heartbreak And Seance‘ zu vernehmen. Das passt durchaus zum viktorianischen Setting der Texte – auch wenn wir diesmal nicht bodenständigen Hammer-Horror serviert bekommen, sondern eher Tim Bortons „Corpse Bride“. Im Fokus der Scheibe steht dieses Mal neben Dani selbst hauptsächlich Lindsay Schoolcraft. Nicht nur zeigt sie gesanglich eine deutlich größere Bandbreite als das den bisherigen Cradle-Damen vergönnt war und wirkt trotz cleaner Vocals genauso fies und dunkel wie Dani selbst, auch ihre Beiträge als Keyboarderin sind deutlich prägender und kreativer als die der Vorgängerinnen. Weshalb man für das ansonsten sehr coole, mit Annihilator-Anleihen versehene ‚Vengeful Spirit‘ ausgerechnet Klischee-Trällerelse Liv Kristine engagiert hat, die Lindsay stimmlich nicht einmal annähernd das Wasser reichen kann, bleibt außerordentlich fraglich.

Die Keyboard- und Pomp-Lastigkeit des Albums hat aber leider zur Folge, daß die Gitarren für meinen Geschmack diesmal über weite Strecken ein wenig zu zahm ausgefallen sind. Das macht die ganze Produktion zwar angenehm dursichtig und ungewohnt luftig, nimmt aber ein ein wenig den Rotz aus der Sache. Besonders schade, wenn in ‚Wester Vespertine‘, ‚Vengeful Spirit‘ oder dem großartigen Quasi-Titelsong ‚The Seductiveness Of Decay‘ wieder mit knackigen Thrashriffs hantiert wird: das hätte ruhig aggressiver klingen dürfen. Besagter Titelsong zollt auch wieder einmal überdeutlich Maidens ‚Hallowed Be Thy Name‘ Tribut – so oft, wie Cradle diesen Song abgekupfert haben, wäre so langsam mal ein Songwriting-Credit für Harris drin, oder? Wie schon auf den letzten drei Alben hält sich Dani gesanglich hauptsächlich in den mittleren Lagen (seiner „Martin Walkyier“-Stimme), das nervenaufreibende Geschrei bleibt leider ein paar wenigen Passagen vorbehalten – die wirken dafür aber umso effektiver. Genau wie die immer wieder einsetzenden Black Metal-Ausbrüche: die letzten zwei Minuten des Rausschmeißers ‚You Will Know The Lion By His Claw‘ machen durchaus deutlich, daß Cradle Of Filth immer noch im Stil von „Cruelty And The Beast“ zulangen können – so sie denn wollen. Neues Terrain betritt die Band mit den Dream Theater-/Rush-mäßigen Cleangitarren im achteinhalbminütigen ‚Death And The Maiden‘ – passt überraschend gut und sorgt für zusätzliche Abwechslung im ehedem nicht gerade einseitigen Band-Stil.

Trotz potenziell massentauglicherer und extrem sauberer Produktion mag mir das Wort „kommerziell“ aber immer noch nicht so richtig über die Lippen kommen. Dafür ist „Cryptoriana“ nämlich einfach zu gut gemacht und zieht seinen Stiefel unterm Strich genauso kompromisslos durch wie seine Vorgänger – auch wenn die mir aufgrund des höheren Knurr-Faktors ein Stück besser gefallen haben. Auch wenn das gnadenlos subjektiven Punktabzug gibt, spielen Cradle Of Filth eben in ihrer ureigenen Liga.

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