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Atheist’s Cornea

Solange man denken kann, wohnt der Musik Envys ein unbedingter Weltschmerz inne. Umso deutlicher zu spüren ist der, seit die Band ihre im Hardcore gelegenen Wurzeln mit epischen Post-Rock-Arrangements verbindet. Die kleinen Leidens- und Läuterungsgeschichten, die Vokalist Tetsuya Fukagawa Song für Song zu durchleben scheint, dehnen sich aus, werden von ausladenden, melancholischen Instrumentalpassagen umflutet, die – mal mehr, mal weniger plötzich – über (ja)panische Redeschwälle in herzzerreißenden Schrei-Attacken gipfeln, was man insbesondere 2006 auf der ‚Insomniac Doze‘-LP ausgiebigst praktizierte.

Wenn jedoch Fukagawas Scream-Tiraden am Schleifpunkt angelangt sind, sich aufbäumen und schließlich losreißen, schwingt bei aller Wüstheit doch zugleich etwas zutiefst Friedliches, ja, Reinigendes mit. Die fragilen Melodien drängen aus dem Lärm und ergießen sich in ausgewachsenen Soundscapes in den freien Raum hinein, bis sich schlussendlich der Puls wieder senkt und die Gitarren heim in den Stock schwärmen. Tetsu singt nunmehr klar, Streichersequenzen leiten zurück in ebenjene Stille, in der alles begann, und behüten die zarte, nie völlig begraben gewesene Knospe des Themas bis über das Trackende hinaus. Ein fast schon sakral anmutender Zyklus, der im grandiosen ‚Ticking Time And String‘ – ja, Envys Sprachtransfer ist mitunter ein holpriger – beispiellos zu bestaunen und auch im Anschluss noch ein ums andere Mal mitzuerleben ist. Dabei hatte man, indem man das zaghaft aufkeimende Thema des Openers ‚Blue Moonlight‘ bereits nach zwanzig Sekunden harsch niederknüppelte, doch noch so getan, als wäre neuerdings auf Zyklik und Entwicklung geschissen. Eine Finte in der Finte, wie sich ganz zur rechten Zeit herausstellt.

Das schließende ‚Your Heart And My Hand‘ sendet nicht allein mit seinem Titel einen transpazifischen Gruß an die Kollegen von Explosions In The Sky, sondern zollt auch musikalisch kaum zu überhörenden Tribut. Nicht ohne aber dabei diese eine, bestimmte, eigentümliche Emotion freizusetzen, die einzig und allein Envy heraufzubeschwören in der Lage sind. Ein bebendes Lippenbekenntnis, eine feste Umarmung im Platzregen, ein bittersüßes Willkommen im Schoße der Katharsis – man möchte die Arme gen Himmel recken vor lauter Bedienung. ‚Atheist’s Cornea‘ vervollkommnet nach fünf Jahren ganz offensichtlich lohnenswerter Absenz das Prinzip Envy mit alchemistischer Handfertigkeit – und rückt damit ein weiteres Stück ab vom überhaupt in Worte zu Fassenden. Während das Kollegium sich noch im Kleinen mit Kettensprechen und Knotenplatzen übt, sind Envy buchstäblich weltbewegend.

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