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Anxiety’s Kiss

Coliseum halten nicht lange an ein und derselben Sache fest. Dies gilt sowohl für Plattenlabels als auch für den eigenen Musikstil. Ihr fünftes Studioalbum heißt ‚Anxiety’s Kiss‘ und erscheint erneut auf einem anderen Label (dieses Mal Deathwish Inc.). Auch klanglich hat sich das Trio aus Louisville, Kentucky wieder einmal neu erfunden. Auf ihrem langen Weg vom D-Beat und Crust über Stoner und Sludge sind Coliseum in ihrer jüngsten Veröffentlichung irgendwo beim Post-Punk und Progressive Rock angelangt. Mangelnde Experimentierfreudigkeit kann man den Jungs, von denen kein Album klingt wie das vorherige, jedenfalls nicht vorwerfen. In eine vorgefertigte Schublade passte Coliseum noch nie und auch bei der Beschreibung von Anxiety’s Kiss sind mehr als nur ein paar alleinstehende Adjektive notwendig. Nicht zuletzt, weil das Werk sehr vielseitig geworden ist.

Instrumental erschaffen Coliseum trotz ihrer personellen ‚Sparbesetzung‘ ein überragendes Klangspektrum. Kayhan Vaziris knorriger Bass erzeugt prägnant die Konturen der Songs, die von Ryan Pattersons Gitarre mit ausgefeilten Melodien gefüllt werden, während Carter Wilson am Schlagzeug konsequent den Rhythmus vorgibt. Neu hinzugekommen ist die Nutzung von Synthesizern, die den Liedern einen Hauch von New Wave geben. Überhaupt wirkt Anxiety’s Kiss hin und wieder ziemlich retro und schwebt manchmal irgendwo zwischen Joy Division und The Smiths. ‚Sunlight In A Snowstorm‘ hätte mit seinem griffigem Refrain und der aus der Ferne klingenden Gitarre ohne Weiteres vor dreißig Jahren die Rockcharts anführen können. Ein anderes Mal erinnern Pattersons sphärische und ausufernde Melodien an Post-Rock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor, während sie einen auf einer Welle aus Sound regelrecht hinfort tragen. So zum Beispiel in der zweiten Hälfte von ‚Escape Yr Skull‘. Richtige Ausreißer sind ‚Comedown‘, das fast ausschließlich von elektronischen Klängen getragen wird und gänzlich ohne die Lead-Gitarre auskommt sowie ‚Driver At Dusk‘, welches mit seinen sphärischen Keyboard-Klängen und Pattersons monotoner Sprecherstimme auch die Tonspur eines Filmtrailers hätte sein können.

Was sich hingegen konstant durch das Album hindurch zieht, ist das relativ gemächliche Tempo. Die Mehrzahl der Tracks siedeln sich im mittleren Geschwindigkeitsbereich an. Einige liegen noch darunter. Wer also schnellen, aggressiven Punkrock sucht, sucht hier vergebens. Am ehesten in diese Schiene fällt wohl noch das etwas flottere ‚Drums & Amplifiers‘. Treu geblieben sind sich Coliseum auch, was ihren Hang zum Mystischen und Okkulten angeht, wie bereits das Cover erahnen lässt. Dies gilt jedoch vorwiegend für die optische Präsentation und die Atmosphäre. Die Texte widmen sich hingegen eher realen Themen, wie Polizeigewalt, Subkultur und Gesellschaft.

Um sich mit dem Stil des neuen Albums vertraut zu machen eignet sich der Opener ‚We Are The Water‘ wahrscheinlich am besten. Ausschweifende Melodien, elektronische Untermalung und der maschinengewehrartig feuernde Bass kulminieren in einem klanggewaltigen Höhepunkt, während Patterson ‚we are the water and we will rise‘ ins Mikro brüllt. Es sollte deutlich geworden sein, dass Anxiety’s Kiss alles andere als eine weitere 08/15-Punk-Rock-Scheibe geworden ist. Zugegeben, an einigen Stellen fehlt dem Album etwas der Punch, den man von den früheren Coliseum-Platten kennt doch das musikalische Experiment Anxiety’s Kiss wächst an einem mit jedem Durchgang, insbesondere aufgrund der beachtlichen musikalischen Breite, die das Trio hier auffährt.

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