Afrika
Er ist ein Sonderling. Fünf Jahre nahm er sich, sein Image und seine Mundart zu pflegen, indem er irgendwo in der Einsamkeit der Schweizer Alpen untertauchte und Schnulzen einkochte. Schnulzen wohlgemerkt, die diesen Namen noch verdienen. Die so bestrebt die Tränendrüse kneten, dass man sich die Frage stellt, ob das alles denn wirklich ernst gemeint sein kann.
Kann es. Dagoberts poetische Schmerzfreiheit, nicht zuletzt aber auch sein nasales Timbre und der markige Dialekt liefern den hinterwäldlerischen Liebesliedern ihre Daseinsberechtigung. Neben den ganzen weiblichen Wesen, wohlgemerkt, mit denen es partout nicht klappen will. Kompliziert und so. ‚Afrika‘ heißt nun die zweite Charge unverbogener Liebeslieder, und wieder lässt Dagobert Leonard Cohen und die Flippers miteinander reagieren – zu einer klebrigen Melasse ohne Scham vor zum Schmusen aufgelegten Karamelodien.
‚Manchmal traurig, manchmal froh / Das war bei mir schon immer so‘
, gibt er im letzten Stück das nichts, aber doch alles sagende Patentrezept für seinen musikalischen Output preis. Der Herzschmerz langt so weit, dass der Künstler beginnt, von alpenfernen Kontinenten und deren Fauna zu fantasieren.
‚Schalala-lala‘
s und
‚Ich hab‘ dich so lieb piep piep piep piep‘
s haben hier eine genau so sichere Bleibe gefunden wie glühende Aufopferung (
‚Du bist so schön / es fühlt sich an wie Liebe / wenn dein Planet / von meinem Himmel starrt / Wie ein Komet / verfolg‘ ich deine Bahnen / bis meine Welt / mit deiner kollidiert‘
), tapsige Paarreime und kitschige Background-Chants. Rosen dürfen aufblühen, Bienenvölker sich ringsumher vergnügen, Dates am Angelteich ins Auge gefasst werden. Dazu träumen von Doris Day und Bananensaft für Jenny: Dagobert ist Alumnus der vom Aussterben bedrohten „alten Schule“. Einer, der noch Buchstaben in Rinden ritzt, wo Andere Selfies taggen.
‚In einem Land, da stehen viele Bäume und jeder trägt ein Herz auf seinem Stamm. Und da hinein schnitz‘ ich unsere Namen mit einem Schwert – du und Dagobert‚
, tönt er in ‚Sehnsucht‘. Einer dieser vielen Momente, in denen sich die Kümmerlichkeit des unerwidert Liebenden in eine ganz, ganz merkwürdige Form von Überlegenheit umwandelt.
Auch wenn sich dieses zweite Album mehr Bandmusik erlaubt als noch das elektronischere Debüt – Dagobert eigenbrötlert sich weiter in paradox zielstrebigem Tonfall durch seine Miseren. Warum er einem dabei imponiert, ist ähnlich widerwillig zu beantworten wie die Frage nach der Ironie. Noch mal: Der Mann meint das alles exakt so; seine umschweifelose Lyrik, seine mittelgroßen Gesten, seine Einladung an Mille Petrozza (Kreator) auf mehr als bloß ein paar Gitarrensoli. Aber ist er darum naiv – oder doch eher sein Hörer zu cool oder verklemmt, ihm seine Direktheit zugute zu halten?
So oder so: Der ZDF-Fernsehgarten hat die versammelte popkulturelle Zeitgenossenschaft auf der Veranda warten. Get Well Soons Konstantin Gropper erarbeitete mit Schwester Verena die Streicher, produziert hat wieder Markus Ganter, der mit Tocotronic und Sizarr schon dick ins Jahr einstieg, aber sicherlich auch ‚Afrika‘ als Erfolgsplakettchen verbuchen wird. Und Dagobert selbst? Der
‚will nicht, dass es traurig tönt‘
– aber das geht gehörig schief. Zum Glück.