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Vulnicura

‚My heart is enormous lake, black with potion / I am blind, drowning in this ocean / As I enter the atmosphere / I burn off layer by layer‘

Black Lake

Eine Vulva klafft zwischen ihren Brüsten. Neutraler: ein Riss auf ihrem Torso. Der Kopf ein bionisches Etwas zwischen Pusteblume und Nadelkissen, der Körper gefangen in enger, schwarzglänzender Zweithaut. Verletze sie, und sie wird zum Fabelwesen – verlasse sie, und sie wird komponieren. Diese Erfahrung muss jetzt auch Matthew Barney machen, der wohl die längste Zeit männliche Hälfte einer Bilderbuch-Künstlerehe gewesen ist. ‚Vulnicura‘ wird ihm die Wahrheiten nur so um die Ohren hauen, während die ganze Welt zuhört. Ob einen das interessiert? Sollte es. Die Gattin nämlich ist in ihrer dunkelsten Stunde künstlerisch entflammt, und fast – aber auch nur fast – möchte man Barney für seinen Beitrag danken.

So versessen jedoch Björk auf Bildsprache, Symbolik und doppelte Böden sein mag – die Tatsache, dass ausgerechnet ihr Konzeptalbum zum Thema „Wunden“ wenige Stunden nach offizieller Ankündigung leck schlug, kann und wird ihr nicht gefallen haben. Die Promo-Phase – dahin! Der Release pünktlich zur MoMA-Ausstellung – dahin! Die medienübergreifende Teaser-Kampagne – dahin! Es ist – um im Jargon zu verbleiben – zum Steinemelken. Das Schicksal kann eben manchmal sehr zynisch sein. Oder aber sehr konsequent, denn schon das Wurzelwerk dieser Musik ist faulig-schwarz. Björk selbst kündigte ‚Vulnicura‘ als ihr „Heartbreak-Album“ an und versprach damit nicht zu viel: Mit immensem Druck auf der Mine zeichnet die Isländerin das Zugrundegehen ihrer Liebes- und Ehebeziehung zu Matthew Barney nach, von den ersten Fissuren über Todesstoß und Nachbeben bis hin zum trügerischen Läuterfeuer. Dem Klartext ist sie dabei näher als jemals zuvor. Aber auch der Hilflosigkeit. Der Menschlichkeit.

‚These abstract und complex feelings / I don’t know how to handle them‘

, gesteht sie sich ihre Ohnmacht ein.

‚I demand clarity!‘

Klarheit erlangt Björk im Laufe dieses Albums zusehends – ein Erkenntnisverfahren spannender als in jedem noch so amerikanischen Scheidungsprozess.

Mitten in der Nacht wacht sie auf, weil es die letzte gemeinsame sein könnte. Ihre Körperoberfläche ist ein unfehlbarer Speicher, ein unlöschbares Archiv, Liebe ist Kunst. Auch und insbesondere dann, wenn sie im Sterben liegt.

‚We ever touch each other / Every single fuck we had together / Is in a one trust time lapse / With us here at this moment‘

, entdeckt Björk mit bebender Stimme ihre Macht über die Erinnerung. In alterslosem Singsang tastet sich die beinahe 50-Jährige durch ein schier endloses Gespinst wehmütiger Streicher. Noch immer gewinnt der Sound durch ihren eigentümlichen Akzent, noch immer wirkt ihre harmonisch unangepasste, sirenenhafte Intonation wie nicht von dieser Welt, noch immer fremdelt es arg zwischen ihr und ihrem Hörer. Dafür kann man durchaus schon mal den eigenen Atemwegen danken:

‚This tunnel has enabled / Thousands of sounds / I thank this trunk / Noise pipe‘

(‚Mouth Mantra‘). 

Gesangliche Gesellschaft bekommt Björk von Antony Hegarty. Die übernimmt in ‚Atom Dance‘ den gespenstischen Counterpart, sieht sich aber sogleich elektronischem Sperrfeuer ausgesetzt.

‚No one is a lover alone‘

, heißt es da; das Herz pumpt auf dem Trockenen. Wie ein Korallenriff bei Ebbe. Allein liebt es sich eben schlecht.

Unvermittelt steigen Björks hochkarätige Co-Produzenten von ihren Sockeln. Schattenläufer The Haxan Cloak und der junge Hoffnungsträger Arca, dessen futuristisch gedrechselte Beats mal an gurrende Tauben und dann wieder an Peitschenhiebe erinnern, pumpen ihre eisgekühlte elektronische DNA ins System, lassen die Wunde pochen; es wabert, es sirrt, es stampft, es brodelt. Den zweien Beweis genug, dabei gewesen zu sein, vor dem Hintergrund ihrer Funktion als Promo-Aushängeschild im Vorfeld des Releases aber unerwartet dünn. Tatsächlich ist ‚Vulnicura‘ in erster Linie Spielwiese für zügellose Streicherarrangements und Trägermaterial für die taoistische Katharsis: Zeit, so heißt es ja, heilt alle Wunden – oder lässt sie vernarben, um mit Kennedys Mama zu sprechen. Am Ende aber kann selbst das Narbengewebe weg:

‚Now I sacrifice this scar / Can you cut it off?‘

Skalpell, bitte ..!

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