|

Led Zeppelin – Wandlungsworte vom Rock-Olymp (Rückblick Teil II)

‚Stairway To Heaven‘ überschattet alles, kristallisierte laut Jimmy Page die Essenz der Band in aller Endgültigkeit. Soll heißen: Alles, was Led Zeppelin je zu bieten gehabt haben (oder haben sollen – man denke an die satanischen Botschaften, die sich angeblich beim Rückwärtsgang offenbaren sollen) – es steckt in diesem einen Song. Ein schwerer Stand für das vierte Album von Led Zeppelin, das in Anbetracht des ausweislichen Kronjuwels scheinbar nie wirklich die Gelegenheit hatte, als Ganzes zu glänzen. Vielmehr stellte der Überhit lediglich höflich seine Mitreisenden vor, was dazu führte, dass sich auf ‚Led Zeppelin IV‘ die namhaftesten Stücke der Diskographie ballen. Vielleicht aber ist eine neue, umfassendere Welle der Würdigung im Anrollen, denn am 24. Oktober erscheint die unbetitelte Platte zusammen mit ihrem Nachfolger ‚Houses Of The Holy‘ neu – auf CD, als Vinyl und in entsprechenden Sonderausgaben. Pünktlich zur neuesten Plagiatsklage, wenn man so will: Der LedZeppelin-Kuchen ist groß, und die Band Spirit, mit welcher Led Zeppelin Ende der 60er tourten und die nun Rechte an der Introsequenz des Stückes geltend macht, will verständlicher Weise ein Stück abhaben. Man kann’s ja mal probieren.
led_zeppelin_iv_1.JPG
Obwohl das Fehlen eines Titels und auch anderweitiger Beschriftung oder Etikettierung der Erstauflage allen Anlass zur Sorge geboten hatte, reagierte der Markt prompt mit brillanten Zahlen. In Großbritannien stieg das vierte Led Zeppelin-Album auf der zehn ein, stürmte eine Woche darauf die Spitze und konnte sich noch 77 weitere Wochen in den Charts halten. Auch die missgestimmten Kritiker der Anfangsjahre hatten plötzlich kaum anderes als Lob für die Platte übrig, die Hard Rock und Folk wohl stimmiger denn je miteinander vereinbarte. Heute führt Nummer vier 23faches Platin und darf sich das zweitmeistverkaufte Album in der Geschichte der USA, nach – richtig! – Michael Jacksons ‚Thriller‘ nennen.

In den Londoner Basing Street Studios angeschnitten, vervollkommneten Led Zeppelin ihren Viertling später – auf einen Rat von Fleetwood Mac hin – in der meditativen Abgelegenheit von Headley Grange im Osten Hampshires. Fünf kryptische Symbole – für jedes Bandmitglied eines und daneben ein weiteres für Sandy Denny, die sich gesanglich in ‚The Battle Of Evermore‘ verewigte -, ein Mann, der ein Reisigbündel schultert… und das war’s auch schon fast mit der äußerlichen Preisgabe. Dafür besticht umso mehr der Inhalt. Ob es je wieder Alben geben wird, deren Tracks Stück für Stück in ellenlangen Wikipedia-Artikel erforscht werden (müssen)? Ungeklärt. Dabei liegt die Lösung oft so nahe. ‚Four Sticks‘ etwa heißt so, wie es heißt, weil Drummer John Bonham es mit vier Schlagzeugsticks eingespielt hat. Und in ‚Black Dog‘ gedenkt die Band eines schwarzen Labradors, der während der Aufnahmesessions im Gebiet um Headley Grange durchs Kraut streifte.
led_zeppelin_iv_2.JPG
‚Misty Mountain Hop‘ outete Texter Plant einmal mehr als Tolkien-Fan und daneben als Fürsprecher der Marihuana-Legalisierung; das urig anmutende ‚The Battle Of Evermore‘ hält sich dicht dahinter. Beide Songs erfahren eine Ehrung auf der wie gewohnt beiliegenden Companion Disc, die neben nur marginal abgewandelten, für den Feld-, Wald- und Wiesenhörer kaum zu differenzierenden Alternativmixen auch zwei Instrumentalstücke enthält. ‚Going To California‘ und ‚The Battle Of Evermore überlassen Gitarre und Mandoline das Feld, und wieder einmal ist man erstaunt, wie gewaltig das bloße Fehlen von Gesang am Fokus zu rütteln vermag.

Das Jahr 1972 verbrachten Led Zeppelin weitgehend in Studioklausur, diesmal auf dem Grund und Boden Mick Jaggers im mit mobilen Gerätschaften geupgradeten Landanwesen Stargroves. Dort wuchs originär ‚Houses Of The Holy‘ heran – ein Album, das nicht nur als bedeutender Weichensteller in die Diskographie eingehen sollte, sondern auch lyrisch die bislang größte Mystifizierung betrieb. Wie als Zugeständnis ist ‚Houses Of The Holy‘ auch das einzige Album der Briten, dem die Lyrics je in gedruckter Form beilagen. Das große Experimentieren schlug bis zur Instrumentalebene durch, wo Led Zeppelin sich wie auch dem übertölpelten Althörer im bunten Glasperlenspiel der Referenzen vortrefflich gefallen. Während etwa ‚Dancing Days‘ auf einer Melodie beruht, die Robert Plant und Jimmy Page während einer Reise durch das indische Bombay aufschnappten, wendet ‚D’Yer Mak’er‘ (lies und sprich: Jamaica) auf seine eigene, reggae-getränkte Façon dem Blues seiner Vorläufer die Kehrseite zu. ‚The Crunge‘ schließlich ist eine teils scherzhaft-augenzwinkernde, in seiner Funkigkeit allerdings völlig ernst gemeinte Hommage an den gleich mehrfachen musikalischen Godfather James Brown. Die Frage an seinem Ende, ‚Where’s that confounded bridge?‘, spielt überspitzt auf dessen Gewohnheit an, während der Aufnahmen seine Band verbal durch die Songstruktur zu dirigieren.
led_zeppelin_hoth_1.JPG
Und dann wäre da noch der eingetrübte, aber darum nicht minder epische ‚Rain Song‘, der sich im Companion-Haufen einfach mal seines Klaviers entledigt. Dadurch werden nicht nur die Streicher vorteilhaft freigelegt, sondern das Stück bekommt eine neue, irgendwie seifige Note mit auf den Weg gegeben. Auch das geheimnisvoll unstete, effektiert wabernde ‚No Quarter‘ verdient Erwähnung, wuchs es doch schnell zum unverzichtbaren Grundpfeiler der Liveshows heran. Auf CD 2 gibt es den Track als verspielt mit Keyboards überdubbte Version ohne Plants Gesang nebst einer von so genannten Rough-Mixen dominierter Auswahl im besten Sinne ungarer Spielerein. Led Zeppelin in Transition sozusagen. Auch in Nuancendimension sind hier noch spannende Beobachtungen jenseits des Tellerrands der geschriebenen Musikgeschichte vorprogrammiert. Sollte man mal gemacht haben, muss man aber, um ganz ehrlich zu sein, kein zweites Mal über sich ergehen lassen.

Was die Aufmachung angeht, kommen Album vier und fünf in ihrer Neuauflage ähnlich originalgetreu daher wie ihre Vorgänger. Das CD-Package täuscht die Gatefold-Machart des Vinyls mehr als nur vor und ist frei von unangenehmen Überraschungen bedruckt ausgefallen, ‚Houses Of The Holy‘ erweist sich noch dazu als ganz besonders geschichtsbewusst: Wie auch seine Urform steckt es in einer weißen Banderole, die die nackten Gesäße der in der Gesteinslandschaft herumturnenden Zwillinge Stefan and Samantha Gates gewissermaßen zensiert, solange man sie nicht abgestreift hat. Ein außerordentlich schräges bleibt das von Arthur C. Clarkes Roman ‚Childhoods’s End‘ inspirierte Coverartwork dennoch. Was aber ganz gut das Wesen dieser paradiesvogeligen LP widerspiegelt. Die Rückseite beider Exemplare ziert das jeweilige Albumcover als Negativ. Nett. Hätte man sich aber auch daheim mit rudimentärsten Bildbearbeitungstools selbst generieren können.
led_zeppelin_hoth_2.JPG
Mag mit den ersten fünf Alben auch ein wesentlicher Teil der Hauptverdienste Led Zeppelins abgedeckt sein und Punkt vier und fünf der Diskographie für die meisten den Zenit der Band markieren – der eine oder andere größere Wurf sollte noch folgen. Und auch die Re-Issue-Reihe setzt sich fort: Mit ‚Physical Graffiti‘ und ‚Presence‘ werden in absehbarer Zeit zwei spannende Folgealben zu neuem Leben erwachen – im Gleichschritt mit Teil drei unserer großen Led Zeppelin-Rückschau.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar