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Kiss – 42 Jahre ungebrochener Enthusiasmus

Eröffnet wird der Konzertabend aber zunächst von den australisch-amerikanischen Rockern von The Dead Daisies. Das Musikerkollektiv um Gitarrist und Bandgründer David Lowy mit wechselnden Mitgliedern besteht derzeit aus Bassist Marco Mendoza (Thin Lizzy, Black Star Riders, Whitesnake), Drummer Tommy Clufetos (Black Sabbath, Ozzy Osbourne, Rob Zombie), Keyboarder Izzy Reed ( Guns ’n‘ Roses) sowie den Gitarristen Richard Fortus (Guns ’n‘ Roses, Thin Lizzy) und Sänger John Corabi (Mötley Crüe, The Scream, Union). Die allesamt erfahrenen Musiker, denen die Bühne sichtlich nicht zu groß ist, sorgen mit ihrer Mischung aus Classic Rock und Hardrock für zufriedene Bewegung vor der Bühne und auf den Rängen. Der Sound stimmt, die Posen stimmen und die Songs, die an Foreigner, Bon Jovi erinnern, rocken ohne Frage. Die Stimmfarbe von Sänger Lowy ähnelt der von Alice Cooper in den 90ern. Damit und einem launigen Cover von ‚Helter Skelter‘ macht das agile Sextett absolut nichts verkehrt. Direkt nach dem Auftritt beginnt auf der Bühne emsiges Treiben für den Umbau für den Hauptact des Abends – wenig später sieht man auf dem Videoscreen die Band auf dem Weg zur Bühne und kurz darauf fällt der riesige Vorhang und Kiss geben unter großem Jubel Vollgas – von der ersten Sekunde an.

Mit ‚Detroit Rock City‘ steht direkt einer der großen Hits der Band auf der Setliste und der Lautstärkepegel steigt nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Flammensäulen explodieren, das gigantische Kiss-Logo brennt sich auf den Netzhäuten des Publikums ein und die drei Herren an der Front stehen in einer geschlossenen Reihe am Bühnenrand. Was für ein Opener! Paul Stanley begrüßt „seine“ Army freundlich mit einer Anspielung auf die relativ geringe Besucherzahl. Natürlich nicht ohne zu versichern, daß das der Band unwichtig sei und der folgenden Party keinen Abbruch tun würde – und dieses Versprechen hält die Band in den nächsten rund 100 Minuten absolut ein. Ein erster richtiger musikalischer Höhepunkt (die perfekt choreographierte Show mit Licht, Pyro-Effekten und Sound lässt ohnehin jeden gebannt auf die Bühne starren) ist das düstere ‚Creatures of the Night‘ mit seinem treibenden Beat, den tiefer gestimmten Gitarren und dem dunkelblauen Licht.

Dieser perfekte Song hat einfach alles, was ein großer Rock-Klassiker braucht: Thayer streut lässig sein Gitarrensolo ein, der mehrstimmige Chorus lädt sowas von zum Mitsingen ein und wandelt sich überall in der Halle spürbar in Bewegungsenergie um, die beim hymnischen ‚I Love It Loud‘ anhält. Simmons singt im Chor mit seinen Bandkollegen und präsentiert dabei seine schier endlose Zunge mit irrem Blick – die Geste für die der „The Demon“ gehasst, geliebt und gefürchtet – und natürlich weltberühmt wurde. Es folgt das groovige ‚War Machine‘, bei dem Simmons zunächst Feuer spuckt und die Bühne danach in einem eindrucksvollen Gewitter aus grünen Lasern-Blitzen, explosivem Böller-Donnern und dem Jaulen eines weiteren von Thayers Gitarren-Soli versinkt. Dann schließt sich etwas ruhiger der bluesig-rockige Oldtimer ‚Do You Love Me‘ von 1978 und ‚Hell or Hallelujah‘ vom aktuellen Album „Monster“ an. Stanley feuert zwischendurch das Publikum weiter an oder kündigt die nächsten Songs an. 7000 Paar Augen hängen fasziniert an den Lippen des charismatischen „Starchild“. Der Mann weiß, wie man die Massen dirigiert!

Mit ‚Lick It Up‘ folgt ein weiterer, rhythmisch-treibender Top-Hit der vier Herren in schwarz-weiß und danach die große Solo-Show von „The Demon“. Simmons weiß genau wie er sich inszeniert, weiß wie er sich positioniert und zieht vor den Kameras seiner Video-Crew in gespenstisches grünes Licht getaucht routiniert sein Ding durch. Der Bass rumpelt und dröhnt und wimmert, dann kommt das Blut. Die rote Zunge zappelt, der Kopf schüttelt sich, die Augen sind weit aufgerissen und verdrehen sich in Extase – bevor der Bassist mit ausgebreiteten Dämonenflügeln von Drahseilen auf eine Plattform an der Bühnendecke gezogen wird, wo er ‚God Of Thunder‘ zum Besten gibt. Kurz darauf fragt Paul Stanley das Schweizer Publikum, wer bisher noch nie eine Kiss-Show besucht hat – viele Hände gehen nach oben. „Wir werden dafür sorgen, daß ihr diesen Abend nicht vergesst, Leute!“, kündigt der Sänger geheimnisvoll die nächste Show-Einlage an. „Wollt ihr, daß ich zu Euch komme? Dann müsst ihr mich rufen!“, fordert der Spaceman seine Fans heraus. Nach sich steigernden „PAUL!“-Rufen steigt Stanley lässig mit einem Fuss in den Ring einer Seilbahn und „fliegt“ über die Köpfe der Zuschauer auf eine hydraulische Plattform im Publikum, wo er mit Unterstützung seiner Mitmusiker in Scheinwerferlicht getaucht auf der drehenden Plattform ‚Love Gun‘ performt. Den Abschluss des regulären Sets nach seinem „Rückflug“ bildet die bombastische Rock-Ballade ‚Black Diamond‘ vom Debütalbum, in der Drummer Eric Singer unter Beweis stellt, daß er ebenfalls singen kann. 40 Jahre sind nicht gänzlich spurlos an der Band vorbeigegangen, nicht an der Stimme Stanleys, nicht an der Haarpracht von Gene Simmons. Und doch haben die atemberaubenden Rock-Klassiker im Live-Zirkus etwas Zeitloses an sich.

Die ganz großen Hits stehen noch aus, doch schließlich stehen noch drei Zugaben aus – und Kiss wären nicht Kiss, wenn das Ende des Konzertes nicht in jeder Hinsicht der Höhepunkt der Show wäre. Und das ist er auch. Und zwar mit Mitsing-Garantie! Los geht’s nach einer kleinen Pause mit ‚Shout It Out Loud‘ mit seiner Ohrwurm-Melodie, direkt gefolgt vom noch bekannteren ‚I Was Made For Loving You‘. Der Song, den jeder Rockmusik-Fan im Schlaf erkennt und entsprechend auch im Zürcher Hallenstadion lautstark und mit nach oben gerissenen Armen begeistert mitgegröhlt wird. Und dann. Ja dann bringen alle enthusiastisch zum Ausdruck, daß sie am liebsten die ganze Nacht mit den großartigen Rock-Entertainern weiterfeiern würden. Aber jeder noch so denkwürdige Konzertabend muss einmal zu Ende gehen, und daß tut er sprichwörtlich mit einem riesigen Knall: ‚Rock’n’Roll All Nite‘ beginnt mit explodierenden Konfettikanonen und dem berühmten Riff und Schlagzeug-Beat – zum Refrain leuchtet das Kiss-Logo auf dem riesigen Videoschirm doppelt so hell wie bisher und das ganze Hallenstadion singt mit. Als alle schon das Ende des Songs erahnen werden Thayer und Simmons nochmals auf hydraulischen Kränen hoch hinaus über die Menge gefahren. Dann dröhnen nochmals alle Instrumente für drei Minuten, Singer gibt nochmal alles und Stanley zertrümmert als endgültigen Schlusspunkt symbolträchtig seine Gitarre unter dem Jubel der 7000 Besucher und einem wahnsinnigen Konfettiregen am Boden. Mehr wäre ohnehin nicht mehr gegangen nachdem die perfekt inszenierte Rockmusik-Dramaturgie in einem solchen Höhepunkt gipfelte. Doch sie wollen nach Zürich zurückkommen. Es gibt bestimmt noch genügend Rockmusik-Freunde, die noch nicht das Vergnügen eines Kiss-Konzertes hatten.

Mehr Fotos von KISS in Zürich gibt’s auf unserer Facebook-Seite.

Setliste (CH-Zürich, Hallenstadion, 10. Juni 2015)

Detroit Rock City
Deuce
Psycho Circus
Creatures of the Night
I Love It Loud
War Machine
Do You Love Me
Hell or Hallelujah
Calling Dr. Love
Lick It Up
God of Thunder
Cold Gin
Love Gun
Black Diamond

Zugabe:
Shout It Out Loud
I Was Made for Lovin‘ You
Rock and Roll All Nite

(Alle Fotos mit freundlicher Unterstützung von Kathrin Hirzel)

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