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United

Wann immer jemand meine Begeisterung für AOR und Melodic Rock mit einem abfälligen „klingt doch alles gleich“ abtut, kontere ich mit der selben Reaktion: ich spiele dem Ignoranten/der Ignorantin ein paar Songs von Harem Scarem vor. Ein besseres Argument gibt es nämlich auch 2017 noch nicht. Harem Scarem sind vermutlich die einzige nach wie vor aktive Band des Genres, die trotz eines abwechslungsreichen Backkatalogs, der von typischen AOR-Klängen mit Achtziger-Flair über Pop-Punk bis zu Prog-Elementen und Alternative Metal-Einflüssen alles zu bieten hat, jederzeit einen klaren Wiedererkennungswert hat.

Dieser Spagat gelingt Harem Scarem hauptsächlich deshalb, weil sie ungeachtet der musikalischen Ausrichtung über eine starke, individuelle musikalische Identität verfügen – sowohl als Musiker als auch als Songwriter. So gibt es auch 2017 auf „United“ wieder alle Trademarks, die man an der Band so schätzt. Die kraftvollen, bei Bedarf auch ordentlich rauen bis aggressiven Vocals von Harry Hess, die Queen-mäßigen Backgroundchöre, die großen Ohrwurm-Hooklines und natürlich die virtuose, und trotzdem vollkommene klischeefreie Gitarrenarbeit von Pete Lesperance, die irgendwo zwischen den Eckpunkten Nuno Bettencourt, Neal Schon, Dave Navarro, Prince und Brian May angesiedelt ist. Im Vergleich zum Vorgänger „Thirteen“ erlauben sich Harem Scarem auf United wieder mehr stilistische Freiheiten. Das schlägt sich in jeder Menge Beatles– und Queen-Einflüssen nieder, die der Band schon immer gut zu Gesicht gestanden haben und an die frühen 00er Jahre und Alben wie „Weight Of The World“, „Higher“ und „Overload“ erinnern – wenn auch leider nicht so heavy wie auf Letzterem. Auch in Sachen Hooklines haben die Kanadier nochmals eine Schippe draufgelegt. Alleine die Eröffnungssalve mit dem Titelsong, dem Singalong ‚Here Today, Gone Tomorrow‘, dem groovigen ‚Gravity‘ und dem mit dem Riff des Jahres ausgestatteten ‚Sinking Ship‘ raucht so ziemlich die komplette Konkurrenz in der Pfeife. Das war’s aber noch lange nicht, denn mit dem pianogetragenen ‚One Of Life’s Mysteries‘ und dem Uptempo-Rocker ‚No Regrets‘ geht’s ebenso hochklassig weiter. Bevor ich nun alle Songs der Scheibe aufzähle, sei einfach versichert: hier hält jeder Song das Niveau. Auch gegen Ende kommt keine Langeweile auf, weil die Band sich mit dem Beatles-mäßigen Ohrwurm ‚The Sky Is Falling‘ und dem Ohrwurm ‚Heaven And Earth‘ noch zwei absolute Granaten aufgehoben hat. Doch das Highlight der Scheibe folgt erst ganz zum Schluss. Beim atmosphärischen, im Intro mit Country-Flair (!) ausgestatteten, unkonventionell arrangierten und mit einem unfassbaren Refrain gesegneten ‚Indestructible‘ haben sich Harem Scarem einmal mehr selbst übertroffen. Wer bei diesem Song nicht zumindest ein wenig Gänsehaut bekommt, ist vermutlich schon tot – oder von den die Szene überflutenden, autogetunten Schweden-Klon-Projektbands und müden Allstar-Bands abgestumpft.

Harem Scarem sind auch 2017 immer noch eine Ausnahmeerscheinung für den Melodic Rock. Traditionelles Melodieverständnis, moderne Herangehensweise und progressives Händchen für die Arrangements gehen hier Hand in Hand mit der kraftvollen Produktion, die auch noch genügend Schmackes und ein paar überraschende Kanten zulässt. Oder, anders gesagt: intelligente Musik völlig ohne Kopflastigkeit. Großartig.

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